Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.abschnittes aus der Bibel fielen ihm einige Stellen wie brennende Tropfen geschmolzenen Eisens auf die Seele. Er erschrak fast, daß seine ganze Lage, sein Leben von einer ganzen Woche her darin mit den wahrhaftigsten Ausdrücken verzeichnet stand. Wörtlich hieß es in der Bibel, wo Moses, dem Tode nahe, noch einmal all seinen Segen über die Gläubigen seines Gesetzes ausbreitet und in eine Schale auch den Fluch gegen die Verächter desselben schüttet -- wörtlich hieß es in dem heiligen Buch: Dazu wirst du unter denselben Völkern kein bleibendes Wesen haben, und deine Fußsohlen werden keine Ruhe haben. Denn der Herr wird dir daselbst ein bebendes Herz geben und verschmachtete Augen und eine verdorrte Seele, daß dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: Ach, daß ich den Abend erleben möchte! Des Abends wirst du sagen: Ach, daß ich den Morgen erleben möchte! Vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird, und vor dem, das du mit deinen Augen sehen wirst. (5. B. M. C. 28, 65. 66. 67.) Waren diese heiligen Worte nicht buchstäblich eingetroffen? Jeder Buchstabe darin war eine Minute seines Lebens. Hörte er nicht den biblischen Fluch auf allen Schritten und Tritten ihm nachschleichen wie einen Dieb, der das Geheimste ausforscht, um es dann in abschnittes aus der Bibel fielen ihm einige Stellen wie brennende Tropfen geschmolzenen Eisens auf die Seele. Er erschrak fast, daß seine ganze Lage, sein Leben von einer ganzen Woche her darin mit den wahrhaftigsten Ausdrücken verzeichnet stand. Wörtlich hieß es in der Bibel, wo Moses, dem Tode nahe, noch einmal all seinen Segen über die Gläubigen seines Gesetzes ausbreitet und in eine Schale auch den Fluch gegen die Verächter desselben schüttet — wörtlich hieß es in dem heiligen Buch: Dazu wirst du unter denselben Völkern kein bleibendes Wesen haben, und deine Fußsohlen werden keine Ruhe haben. Denn der Herr wird dir daselbst ein bebendes Herz geben und verschmachtete Augen und eine verdorrte Seele, daß dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: Ach, daß ich den Abend erleben möchte! Des Abends wirst du sagen: Ach, daß ich den Morgen erleben möchte! Vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird, und vor dem, das du mit deinen Augen sehen wirst. (5. B. M. C. 28, 65. 66. 67.) Waren diese heiligen Worte nicht buchstäblich eingetroffen? Jeder Buchstabe darin war eine Minute seines Lebens. Hörte er nicht den biblischen Fluch auf allen Schritten und Tritten ihm nachschleichen wie einen Dieb, der das Geheimste ausforscht, um es dann in <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0101"/> abschnittes aus der Bibel fielen ihm einige Stellen wie brennende Tropfen geschmolzenen Eisens auf die Seele. Er erschrak fast, daß seine ganze Lage, sein Leben von einer ganzen Woche her darin mit den wahrhaftigsten Ausdrücken verzeichnet stand. Wörtlich hieß es in der Bibel, wo Moses, dem Tode nahe, noch einmal all seinen Segen über die Gläubigen seines Gesetzes ausbreitet und in eine Schale auch den Fluch gegen die Verächter desselben schüttet — wörtlich hieß es in dem heiligen Buch:</p><lb/> <p>Dazu wirst du unter denselben Völkern kein bleibendes Wesen haben, und deine Fußsohlen werden keine Ruhe haben. Denn der Herr wird dir daselbst ein bebendes Herz geben und verschmachtete Augen und eine verdorrte Seele, daß dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: Ach, daß ich den Abend erleben möchte! Des Abends wirst du sagen: Ach, daß ich den Morgen erleben möchte! Vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird, und vor dem, das du mit deinen Augen sehen wirst. (5. B. M. C. 28, 65. 66. 67.)</p><lb/> <p>Waren diese heiligen Worte nicht buchstäblich eingetroffen? Jeder Buchstabe darin war eine Minute seines Lebens. Hörte er nicht den biblischen Fluch auf allen Schritten und Tritten ihm nachschleichen wie einen Dieb, der das Geheimste ausforscht, um es dann in<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
abschnittes aus der Bibel fielen ihm einige Stellen wie brennende Tropfen geschmolzenen Eisens auf die Seele. Er erschrak fast, daß seine ganze Lage, sein Leben von einer ganzen Woche her darin mit den wahrhaftigsten Ausdrücken verzeichnet stand. Wörtlich hieß es in der Bibel, wo Moses, dem Tode nahe, noch einmal all seinen Segen über die Gläubigen seines Gesetzes ausbreitet und in eine Schale auch den Fluch gegen die Verächter desselben schüttet — wörtlich hieß es in dem heiligen Buch:
Dazu wirst du unter denselben Völkern kein bleibendes Wesen haben, und deine Fußsohlen werden keine Ruhe haben. Denn der Herr wird dir daselbst ein bebendes Herz geben und verschmachtete Augen und eine verdorrte Seele, daß dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: Ach, daß ich den Abend erleben möchte! Des Abends wirst du sagen: Ach, daß ich den Morgen erleben möchte! Vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird, und vor dem, das du mit deinen Augen sehen wirst. (5. B. M. C. 28, 65. 66. 67.)
Waren diese heiligen Worte nicht buchstäblich eingetroffen? Jeder Buchstabe darin war eine Minute seines Lebens. Hörte er nicht den biblischen Fluch auf allen Schritten und Tritten ihm nachschleichen wie einen Dieb, der das Geheimste ausforscht, um es dann in
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/101>, abgerufen am 20.07.2024. |