Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_050.001 pko_050.012 2. Das Schauspiel unterscheidet sich vom Trauerspiel nur durch die pko_050.013 pko_050.016 3. Zum Lustspiel rechnen alle dramatischen Arten, in denen Welt pko_050.017 pko_050.019 pko_050.030 1) pko_050.034 Das Tragische wie das Komische sind Denkformen (Weisen der Weltschau), nicht pko_050.035 Dichtungsformen (überhaupt nicht ästhetische, sondern noetische Begriffe); sie pko_050.036 können daher in jeder Gattung aufscheinen, die menschliche Schicksale gestaltet: pko_050.037 in der Ballade, im Versepos, in Roman und Novelle. 2) pko_050.038
griech. etwa "Kneipgesang"; sie ist hervorgegangen aus den Lustbarkeiten der pko_050.039 Dionysosfeste. pko_050.001 pko_050.012 2. Das Schauspiel unterscheidet sich vom Trauerspiel nur durch die pko_050.013 pko_050.016 3. Zum Lustspiel rechnen alle dramatischen Arten, in denen Welt pko_050.017 pko_050.019 pko_050.030 1) pko_050.034 Das Tragische wie das Komische sind Denkformen (Weisen der Weltschau), nicht pko_050.035 Dichtungsformen (überhaupt nicht ästhetische, sondern noetische Begriffe); sie pko_050.036 können daher in jeder Gattung aufscheinen, die menschliche Schicksale gestaltet: pko_050.037 in der Ballade, im Versepos, in Roman und Novelle. 2) pko_050.038
griech. etwa „Kneipgesang“; sie ist hervorgegangen aus den Lustbarkeiten der pko_050.039 Dionysosfeste. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0054" n="50"/><lb n="pko_050.001"/> Doch nur ein Trauerspiel, das jeden optimistischen Ausblick auf eine <lb n="pko_050.002"/> ausgleichende göttliche Gerechtigkeit verweigert, vielmehr durch Aufzeigen <lb n="pko_050.003"/> der sittlichen Unzulänglichkeit des Weltgeschehens das metaphysische <lb n="pko_050.004"/> Vertrauen zur Sinnhaftigkeit der Welt, zur Güte und Vernünftigkeit <lb n="pko_050.005"/> der waltenden Gottheit erschüttert, verdient im prägnanten Sinne <lb n="pko_050.006"/> den Namen der Tragödie als eines Dramas von tragischem Gehalt <lb n="pko_050.007"/> (Shakespeare: „König Lear“; Schiller: „Don Carlos“; Hebbel: „Agnes <lb n="pko_050.008"/> Bernauer“). Wo der Held sich seinen Untergang durch eigene Schuld <lb n="pko_050.009"/> bereitet, liegt bloßes Trauerspiel vor; nur wo er schuldlos oder noch <lb n="pko_050.010"/> besser im paradoxen Widerspruch zu seiner ethischen Verdienstlichkeit <lb n="pko_050.011"/> untergeht, darf man von Tragödie sprechen<note xml:id="PKO_050_1" place="foot" n="1)"><lb n="pko_050.034"/> Das Tragische wie das Komische sind Denkformen (Weisen der Weltschau), nicht <lb n="pko_050.035"/> Dichtungsformen (überhaupt nicht ästhetische, sondern noetische Begriffe); sie <lb n="pko_050.036"/> können daher in jeder Gattung aufscheinen, die menschliche Schicksale gestaltet: <lb n="pko_050.037"/> in der Ballade, im Versepos, in Roman und Novelle.</note>.</p> </div> <div n="5"> <lb n="pko_050.012"/> <head>2. Das <hi rendition="#i">Schauspiel</hi></head> <p>unterscheidet sich vom Trauerspiel nur durch die <lb n="pko_050.013"/> günstige Wendung, die ein ernster Konflikt im Abstieg der Handlung <lb n="pko_050.014"/> erfährt, so daß ein versöhnlicher Ausgang möglich wird (Goethe: „Iphigenie <lb n="pko_050.015"/> auf Tauris“).</p> </div> <div n="5"> <lb n="pko_050.016"/> <head>3. Zum <hi rendition="#i">Lustspiel</hi></head> <p> rechnen alle dramatischen Arten, in denen Welt <lb n="pko_050.017"/> und Menschen in erheiternder (komischer, satirischer, ironischer) Weise <lb n="pko_050.018"/> behandelt werden.</p> <p><lb n="pko_050.019"/> Wie neben dem Trauerspiel die Tragödie, steht neben dem Lustspiel <lb n="pko_050.020"/> die <hi rendition="#i">Komödie</hi><note xml:id="PKO_050_2" place="foot" n="2)"><lb n="pko_050.038"/> griech. etwa „Kneipgesang“; sie ist hervorgegangen aus den Lustbarkeiten der <lb n="pko_050.039"/> Dionysosfeste.</note>; das Komische<note sameAs="#PKO_050_1" xml:id="PKO_050_1a" place="foot" n="1)"/> ist die Umkehrung des Tragischen, die <lb n="pko_050.021"/> Beruhigung und Erheiterung (Lachen) auslösende Erkenntnis, daß in <lb n="pko_050.022"/> dieser verworrenen Welt nichts ganz ernst zu nehmen, daß die Wirklichkeit <lb n="pko_050.023"/> geistig unzulänglich sei. Von der zu so überlegener Weltschau <lb n="pko_050.024"/> gediehenen Komödie, die er für das Großartigste hielt, was Dichtung <lb n="pko_050.025"/> überhaupt leisten könne, sagt Schiller: „Ihr Ziel ist einerlei mit dem <lb n="pko_050.026"/> Höchsten, wonach der Mensch zu ringen hat, frei von Leidenschaft zu <lb n="pko_050.027"/> sein, immer klar, immer ruhig um sich und in sich zu schauen, überall <lb n="pko_050.028"/> mehr Zufall als Schicksal zu finden und mehr über Ungereimtheit zu <lb n="pko_050.029"/> lachen als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen.“</p> <p><lb n="pko_050.030"/> Das <hi rendition="#i">Lustspiel im engeren Sinne</hi> führt von solcher philosophischen <lb n="pko_050.031"/> Höhe ein mächtiges Stück hinab auf die Ebene harmlosen oder auch <lb n="pko_050.032"/> bissigen Spotts über die Schwächen, Beschränkungen und Verkehrtheiten <lb n="pko_050.033"/> der Gesellschaft oder einzelner Individuen (Lessing: „Minna von Barnhelm“, </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0054]
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Doch nur ein Trauerspiel, das jeden optimistischen Ausblick auf eine pko_050.002
ausgleichende göttliche Gerechtigkeit verweigert, vielmehr durch Aufzeigen pko_050.003
der sittlichen Unzulänglichkeit des Weltgeschehens das metaphysische pko_050.004
Vertrauen zur Sinnhaftigkeit der Welt, zur Güte und Vernünftigkeit pko_050.005
der waltenden Gottheit erschüttert, verdient im prägnanten Sinne pko_050.006
den Namen der Tragödie als eines Dramas von tragischem Gehalt pko_050.007
(Shakespeare: „König Lear“; Schiller: „Don Carlos“; Hebbel: „Agnes pko_050.008
Bernauer“). Wo der Held sich seinen Untergang durch eigene Schuld pko_050.009
bereitet, liegt bloßes Trauerspiel vor; nur wo er schuldlos oder noch pko_050.010
besser im paradoxen Widerspruch zu seiner ethischen Verdienstlichkeit pko_050.011
untergeht, darf man von Tragödie sprechen 1).
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2. Das Schauspielunterscheidet sich vom Trauerspiel nur durch die pko_050.013
günstige Wendung, die ein ernster Konflikt im Abstieg der Handlung pko_050.014
erfährt, so daß ein versöhnlicher Ausgang möglich wird (Goethe: „Iphigenie pko_050.015
auf Tauris“).
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3. Zum Lustspiel rechnen alle dramatischen Arten, in denen Welt pko_050.017
und Menschen in erheiternder (komischer, satirischer, ironischer) Weise pko_050.018
behandelt werden.
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Wie neben dem Trauerspiel die Tragödie, steht neben dem Lustspiel pko_050.020
die Komödie 2); das Komische 1) ist die Umkehrung des Tragischen, die pko_050.021
Beruhigung und Erheiterung (Lachen) auslösende Erkenntnis, daß in pko_050.022
dieser verworrenen Welt nichts ganz ernst zu nehmen, daß die Wirklichkeit pko_050.023
geistig unzulänglich sei. Von der zu so überlegener Weltschau pko_050.024
gediehenen Komödie, die er für das Großartigste hielt, was Dichtung pko_050.025
überhaupt leisten könne, sagt Schiller: „Ihr Ziel ist einerlei mit dem pko_050.026
Höchsten, wonach der Mensch zu ringen hat, frei von Leidenschaft zu pko_050.027
sein, immer klar, immer ruhig um sich und in sich zu schauen, überall pko_050.028
mehr Zufall als Schicksal zu finden und mehr über Ungereimtheit zu pko_050.029
lachen als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen.“
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Das Lustspiel im engeren Sinne führt von solcher philosophischen pko_050.031
Höhe ein mächtiges Stück hinab auf die Ebene harmlosen oder auch pko_050.032
bissigen Spotts über die Schwächen, Beschränkungen und Verkehrtheiten pko_050.033
der Gesellschaft oder einzelner Individuen (Lessing: „Minna von Barnhelm“,
1) pko_050.034
Das Tragische wie das Komische sind Denkformen (Weisen der Weltschau), nicht pko_050.035
Dichtungsformen (überhaupt nicht ästhetische, sondern noetische Begriffe); sie pko_050.036
können daher in jeder Gattung aufscheinen, die menschliche Schicksale gestaltet: pko_050.037
in der Ballade, im Versepos, in Roman und Novelle.
2) pko_050.038
griech. etwa „Kneipgesang“; sie ist hervorgegangen aus den Lustbarkeiten der pko_050.039
Dionysosfeste.
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Zitationshilfe: | Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949/54>, abgerufen am 22.07.2024. |