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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
womit dann, da diese dem Scrotum entsprechen, eine vollkommene
Analogie beider Geschlechter hergestellt ist.

So leicht im Ganzen die einzelnen Stadien des Descensus derErklärung des
Descensus.

Geschlechtsdrüsen zu ermitteln sind, so schwierig ist es, den eigent-
lichen Factor bei demselben nachzuweisen und zeigen schon die
vielen aufgestellten Hypothesen an, dass wir uns bei einem Versuche
hierzu auf ein sehr dunkles Gebiet begeben. Von jeher ist man, wie
schon der Name besagt, geneigt gewesen, dem Hunter'schen Leitbande
eine wesentliche Rolle beim Descensus zuzuschreiben und wird es
vor Allem nöthig noch etwas genauer auf die Verhältnisse desselben
einzugehen. Nach meinen Erfahrungen, die mit denen verschiedener
anderer Beobachter übereinstimmen, besteht das Leitband ursprüng-
lich aus zelligen Elementen und später aus einem Fasergewebe, in
dem sich glatte Muskelfasern, quergestreifte von den Bauchmuskeln
abstammende Elemente und reichliche Mengen von Bindegewebs-
bündeln erkennen lassen. Die quergestreiften Muskelfasern gehen
von der Gegend des Leistenkanales theils abwärts, und diess ist der
spätere Cremaster, theils aufwärts gegen den Hoden, und diese letz-
teren Fasern finden sich auch im entsprechenden Gebilde des weib-
lichen Fötus und sind bekanntlich auch noch bei Erwachsenen im
Ligamentum uteri rotundum nachzuweisen. Da mithin im Leitbande
Muskeln vorkommen, Muskeln, welche schon ältere Beobachter ge-
sehen zu haben glaubten, so ist es begreiflich, dass man vor Allem
den Versuch gemacht hat, den Descensus durch den Zug derselben
zu erklären. Sie werden jedoch leicht einsehen, dass durch Mus-
keln, welche vom Leistenkanale her im Gubernaculum gerade zum
Hoden verlaufen, wohl eine etwelche Lageveränderung des Hodens
aber unmöglich ein vollständiger Descensus desselben bewirkt wer-
den kann, und kommen wir daher zum Schlusse, dass diese Mus-
keln, wenn sie überhaupt beim Descensus eine Rolle spielen, was
mir nichts weniger als bewiesen ist, doch keinenfalls von wesent-
licher Bedeutung sind. Aus diesem Grunde kann ich auch einer
neueren, von verschiedenen Autoren angenommenen Theorie von E.
H. Weber keinen Beifall schenken, welcher zufolge der Hoden durch
Muskelwirkungen in das von Weber als ein hohler Sack geschilderte
Gubernaculum Hunteri eingestülpt werden soll. Ich habe mich nicht
davon überzeugen können, dass das Gubernaculum ein hohler mit
Muskelfasern belegter cylindrischer Beutel ist, aber auch wenn dem
so wäre, so würde ich doch immer bei der gegebenen einfachen An-

Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
womit dann, da diese dem Scrotum entsprechen, eine vollkommene
Analogie beider Geschlechter hergestellt ist.

So leicht im Ganzen die einzelnen Stadien des Descensus derErklärung des
Descensus.

Geschlechtsdrüsen zu ermitteln sind, so schwierig ist es, den eigent-
lichen Factor bei demselben nachzuweisen und zeigen schon die
vielen aufgestellten Hypothesen an, dass wir uns bei einem Versuche
hierzu auf ein sehr dunkles Gebiet begeben. Von jeher ist man, wie
schon der Name besagt, geneigt gewesen, dem Hunter’schen Leitbande
eine wesentliche Rolle beim Descensus zuzuschreiben und wird es
vor Allem nöthig noch etwas genauer auf die Verhältnisse desselben
einzugehen. Nach meinen Erfahrungen, die mit denen verschiedener
anderer Beobachter übereinstimmen, besteht das Leitband ursprüng-
lich aus zelligen Elementen und später aus einem Fasergewebe, in
dem sich glatte Muskelfasern, quergestreifte von den Bauchmuskeln
abstammende Elemente und reichliche Mengen von Bindegewebs-
bündeln erkennen lassen. Die quergestreiften Muskelfasern gehen
von der Gegend des Leistenkanales theils abwärts, und diess ist der
spätere Cremaster, theils aufwärts gegen den Hoden, und diese letz-
teren Fasern finden sich auch im entsprechenden Gebilde des weib-
lichen Fötus und sind bekanntlich auch noch bei Erwachsenen im
Ligamentum uteri rotundum nachzuweisen. Da mithin im Leitbande
Muskeln vorkommen, Muskeln, welche schon ältere Beobachter ge-
sehen zu haben glaubten, so ist es begreiflich, dass man vor Allem
den Versuch gemacht hat, den Descensus durch den Zug derselben
zu erklären. Sie werden jedoch leicht einsehen, dass durch Mus-
keln, welche vom Leistenkanale her im Gubernaculum gerade zum
Hoden verlaufen, wohl eine etwelche Lageveränderung des Hodens
aber unmöglich ein vollständiger Descensus desselben bewirkt wer-
den kann, und kommen wir daher zum Schlusse, dass diese Mus-
keln, wenn sie überhaupt beim Descensus eine Rolle spielen, was
mir nichts weniger als bewiesen ist, doch keinenfalls von wesent-
licher Bedeutung sind. Aus diesem Grunde kann ich auch einer
neueren, von verschiedenen Autoren angenommenen Theorie von E.
H. Weber keinen Beifall schenken, welcher zufolge der Hoden durch
Muskelwirkungen in das von Weber als ein hohler Sack geschilderte
Gubernaculum Hunteri eingestülpt werden soll. Ich habe mich nicht
davon überzeugen können, dass das Gubernaculum ein hohler mit
Muskelfasern belegter cylindrischer Beutel ist, aber auch wenn dem
so wäre, so würde ich doch immer bei der gegebenen einfachen An-

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[457/0473] Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane. womit dann, da diese dem Scrotum entsprechen, eine vollkommene Analogie beider Geschlechter hergestellt ist. So leicht im Ganzen die einzelnen Stadien des Descensus der Geschlechtsdrüsen zu ermitteln sind, so schwierig ist es, den eigent- lichen Factor bei demselben nachzuweisen und zeigen schon die vielen aufgestellten Hypothesen an, dass wir uns bei einem Versuche hierzu auf ein sehr dunkles Gebiet begeben. Von jeher ist man, wie schon der Name besagt, geneigt gewesen, dem Hunter’schen Leitbande eine wesentliche Rolle beim Descensus zuzuschreiben und wird es vor Allem nöthig noch etwas genauer auf die Verhältnisse desselben einzugehen. Nach meinen Erfahrungen, die mit denen verschiedener anderer Beobachter übereinstimmen, besteht das Leitband ursprüng- lich aus zelligen Elementen und später aus einem Fasergewebe, in dem sich glatte Muskelfasern, quergestreifte von den Bauchmuskeln abstammende Elemente und reichliche Mengen von Bindegewebs- bündeln erkennen lassen. Die quergestreiften Muskelfasern gehen von der Gegend des Leistenkanales theils abwärts, und diess ist der spätere Cremaster, theils aufwärts gegen den Hoden, und diese letz- teren Fasern finden sich auch im entsprechenden Gebilde des weib- lichen Fötus und sind bekanntlich auch noch bei Erwachsenen im Ligamentum uteri rotundum nachzuweisen. Da mithin im Leitbande Muskeln vorkommen, Muskeln, welche schon ältere Beobachter ge- sehen zu haben glaubten, so ist es begreiflich, dass man vor Allem den Versuch gemacht hat, den Descensus durch den Zug derselben zu erklären. Sie werden jedoch leicht einsehen, dass durch Mus- keln, welche vom Leistenkanale her im Gubernaculum gerade zum Hoden verlaufen, wohl eine etwelche Lageveränderung des Hodens aber unmöglich ein vollständiger Descensus desselben bewirkt wer- den kann, und kommen wir daher zum Schlusse, dass diese Mus- keln, wenn sie überhaupt beim Descensus eine Rolle spielen, was mir nichts weniger als bewiesen ist, doch keinenfalls von wesent- licher Bedeutung sind. Aus diesem Grunde kann ich auch einer neueren, von verschiedenen Autoren angenommenen Theorie von E. H. Weber keinen Beifall schenken, welcher zufolge der Hoden durch Muskelwirkungen in das von Weber als ein hohler Sack geschilderte Gubernaculum Hunteri eingestülpt werden soll. Ich habe mich nicht davon überzeugen können, dass das Gubernaculum ein hohler mit Muskelfasern belegter cylindrischer Beutel ist, aber auch wenn dem so wäre, so würde ich doch immer bei der gegebenen einfachen An- Erklärung des Descensus.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/473>, abgerufen am 25.11.2024.