Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Entwicklung des Nervensystems.
missur, theils gegen die vorderen Wurzeln. Bedeckt wird nun die
graue Substanz noch von den Anlagen der weissen Stränge, die beide
entgegen den Angaben von Remak entschieden von Anfang an als
paarige Bildungen auftreten. Die vorderen Stränge liegen anfänglich
vorn seitlich neben der Commissur, breiten sich aber bald auch auf
die vorderen Seitentheile aus, so dass mithin von besonderen Seiten-
strängen keine Rede sein kann. Die hinteren Stränge sind auf dem
Querschnitte elliptisch, kleiner und nehmen die hinteren Seitentheile
ein, erreichen jedoch am fünften Tage die Vorderstränge noch nicht.
Alle Stränge und auch die Commissur bestehen, wie Bidder und
Kupfer und Remak richtig melden, aus kernlosen äusserst feinen
Fasern. Zwischen dem fünften und neunten bis zehnten Tage um-
wachsen nun die Stränge das ganze Mark mit Ausnahme der Gegend
der vorderen Commissur und werden zu einer ziemlich mächtigen
Rindenschicht. Zugleich wächst auch die graue Substanz und zwar,
wie mir schien, in doppelter Weise. Einmal von sich aus durch Ver-
mehrung ihrer Elemente und zweitens wohl auch dadurch, dass die
äusseren Zellen der Auskleidung des Centralkanales in ihren Bereich
gezogen werden. Was man nämlich in dieser frühen Zeit als Epithel
des Centralkanales bezeichnet, ist nicht als eine scharf abgegrenzte
Bildung aufzufassen, sondern als eine noch indifferente Zellenmasse,
die auch später noch am Wachsthume der grauen Substanz sich be-
theiligt. Hierdurch und durch Aufhören des Wachsthums wird die-
ser Centralkanal bald absolut und relativ kleiner, doch ist derselbe
noch bei 40tägigen Embryonen ein ziemlich weiter Kanal.

Wie beim Hühnchen so habe ich auch beim Menschen einigeMark des
Menschen.

[Abbildung] Fig. 128.
Erfahrungen über die Entwicklung des Rücken-
markes aufzuweisen, welche, da sie bis jetzt
die einzigen sind, die über die feineren Ver-
hältnisse Aufschluss geben, wohl nicht ohne
Werth sind. Den frühesten von mir beobach-
teten Zustand zeigt Ihnen die Fig. 128, die in
[Abbildung]

Fig. 128. Querschnitt des Halstheils des Rücken-
marks eines vier Wochen alten menschlichen Embryo,
36mal vergrössert. c Centralkanal, e epithelartige Aus-
kleidung desselben, g vordere graue Substanz mit
einem dunkleren Kern, aus dem die vordere nicht dargestellte Wurzel ent-
springt, g' hintere graue Substanz, v Vorderstrang, h Hinterstrang.

Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 17

Entwicklung des Nervensystems.
missur, theils gegen die vorderen Wurzeln. Bedeckt wird nun die
graue Substanz noch von den Anlagen der weissen Stränge, die beide
entgegen den Angaben von Remak entschieden von Anfang an als
paarige Bildungen auftreten. Die vorderen Stränge liegen anfänglich
vorn seitlich neben der Commissur, breiten sich aber bald auch auf
die vorderen Seitentheile aus, so dass mithin von besonderen Seiten-
strängen keine Rede sein kann. Die hinteren Stränge sind auf dem
Querschnitte elliptisch, kleiner und nehmen die hinteren Seitentheile
ein, erreichen jedoch am fünften Tage die Vorderstränge noch nicht.
Alle Stränge und auch die Commissur bestehen, wie Bidder und
Kupfer und Remak richtig melden, aus kernlosen äusserst feinen
Fasern. Zwischen dem fünften und neunten bis zehnten Tage um-
wachsen nun die Stränge das ganze Mark mit Ausnahme der Gegend
der vorderen Commissur und werden zu einer ziemlich mächtigen
Rindenschicht. Zugleich wächst auch die graue Substanz und zwar,
wie mir schien, in doppelter Weise. Einmal von sich aus durch Ver-
mehrung ihrer Elemente und zweitens wohl auch dadurch, dass die
äusseren Zellen der Auskleidung des Centralkanales in ihren Bereich
gezogen werden. Was man nämlich in dieser frühen Zeit als Epithel
des Centralkanales bezeichnet, ist nicht als eine scharf abgegrenzte
Bildung aufzufassen, sondern als eine noch indifferente Zellenmasse,
die auch später noch am Wachsthume der grauen Substanz sich be-
theiligt. Hierdurch und durch Aufhören des Wachsthums wird die-
ser Centralkanal bald absolut und relativ kleiner, doch ist derselbe
noch bei 40tägigen Embryonen ein ziemlich weiter Kanal.

Wie beim Hühnchen so habe ich auch beim Menschen einigeMark des
Menschen.

[Abbildung] Fig. 128.
Erfahrungen über die Entwicklung des Rücken-
markes aufzuweisen, welche, da sie bis jetzt
die einzigen sind, die über die feineren Ver-
hältnisse Aufschluss geben, wohl nicht ohne
Werth sind. Den frühesten von mir beobach-
teten Zustand zeigt Ihnen die Fig. 128, die in
[Abbildung]

Fig. 128. Querschnitt des Halstheils des Rücken-
marks eines vier Wochen alten menschlichen Embryo,
36mal vergrössert. c Centralkanal, e epithelartige Aus-
kleidung desselben, g vordere graue Substanz mit
einem dunkleren Kern, aus dem die vordere nicht dargestellte Wurzel ent-
springt, g′ hintere graue Substanz, v Vorderstrang, h Hinterstrang.

Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0273" n="257"/><fw place="top" type="header">Entwicklung des Nervensystems.</fw><lb/>
missur, theils gegen die vorderen Wurzeln. Bedeckt wird nun die<lb/>
graue Substanz noch von den Anlagen der weissen Stränge, die beide<lb/>
entgegen den Angaben von <hi rendition="#k">Remak</hi> entschieden von Anfang an als<lb/>
paarige Bildungen auftreten. Die vorderen Stränge liegen anfänglich<lb/>
vorn seitlich neben der Commissur, breiten sich aber bald auch auf<lb/>
die vorderen Seitentheile aus, so dass mithin von besonderen Seiten-<lb/>
strängen keine Rede sein kann. Die hinteren Stränge sind auf dem<lb/>
Querschnitte elliptisch, kleiner und nehmen die hinteren Seitentheile<lb/>
ein, erreichen jedoch am fünften Tage die Vorderstränge noch nicht.<lb/>
Alle Stränge und auch die Commissur bestehen, wie <hi rendition="#k">Bidder</hi> und<lb/><hi rendition="#k">Kupfer</hi> und <hi rendition="#k">Remak</hi> richtig melden, aus kernlosen äusserst feinen<lb/>
Fasern. Zwischen dem fünften und neunten bis zehnten Tage um-<lb/>
wachsen nun die Stränge das ganze Mark mit Ausnahme der Gegend<lb/>
der vorderen Commissur und werden zu einer ziemlich mächtigen<lb/>
Rindenschicht. Zugleich wächst auch die graue Substanz und zwar,<lb/>
wie mir schien, in doppelter Weise. Einmal von sich aus durch Ver-<lb/>
mehrung ihrer Elemente und zweitens wohl auch dadurch, dass die<lb/>
äusseren Zellen der Auskleidung des Centralkanales in ihren Bereich<lb/>
gezogen werden. Was man nämlich in dieser frühen Zeit als Epithel<lb/>
des Centralkanales bezeichnet, ist nicht als eine scharf abgegrenzte<lb/>
Bildung aufzufassen, sondern als eine noch indifferente Zellenmasse,<lb/>
die auch später noch am Wachsthume der grauen Substanz sich be-<lb/>
theiligt. Hierdurch und durch Aufhören des Wachsthums wird die-<lb/>
ser Centralkanal bald absolut und relativ kleiner, doch ist derselbe<lb/>
noch bei 40tägigen Embryonen ein ziemlich weiter Kanal.</p><lb/>
        <p>Wie beim Hühnchen so habe ich auch beim <hi rendition="#g">Menschen</hi> einige<note place="right">Mark des<lb/>
Menschen.</note><lb/><figure><head>Fig. 128.</head></figure><lb/>
Erfahrungen über die Entwicklung des Rücken-<lb/>
markes aufzuweisen, welche, da sie bis jetzt<lb/>
die einzigen sind, die über die feineren Ver-<lb/>
hältnisse Aufschluss geben, wohl nicht ohne<lb/>
Werth sind. Den frühesten von mir beobach-<lb/>
teten Zustand zeigt Ihnen die Fig. 128, die in<lb/><figure><p>Fig. 128. Querschnitt des Halstheils des Rücken-<lb/>
marks eines vier Wochen alten menschlichen Embryo,<lb/>
36mal vergrössert. <hi rendition="#i">c</hi> Centralkanal, <hi rendition="#i">e</hi> epithelartige Aus-<lb/>
kleidung desselben, <hi rendition="#i">g</hi> vordere graue Substanz mit<lb/>
einem dunkleren Kern, aus dem die vordere nicht dargestellte Wurzel ent-<lb/>
springt, <hi rendition="#i">g&#x2032;</hi> hintere graue Substanz, <hi rendition="#i">v</hi> Vorderstrang, <hi rendition="#i">h</hi> Hinterstrang.</p></figure><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Kölliker</hi>, Entwicklungsgeschichte. 17</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0273] Entwicklung des Nervensystems. missur, theils gegen die vorderen Wurzeln. Bedeckt wird nun die graue Substanz noch von den Anlagen der weissen Stränge, die beide entgegen den Angaben von Remak entschieden von Anfang an als paarige Bildungen auftreten. Die vorderen Stränge liegen anfänglich vorn seitlich neben der Commissur, breiten sich aber bald auch auf die vorderen Seitentheile aus, so dass mithin von besonderen Seiten- strängen keine Rede sein kann. Die hinteren Stränge sind auf dem Querschnitte elliptisch, kleiner und nehmen die hinteren Seitentheile ein, erreichen jedoch am fünften Tage die Vorderstränge noch nicht. Alle Stränge und auch die Commissur bestehen, wie Bidder und Kupfer und Remak richtig melden, aus kernlosen äusserst feinen Fasern. Zwischen dem fünften und neunten bis zehnten Tage um- wachsen nun die Stränge das ganze Mark mit Ausnahme der Gegend der vorderen Commissur und werden zu einer ziemlich mächtigen Rindenschicht. Zugleich wächst auch die graue Substanz und zwar, wie mir schien, in doppelter Weise. Einmal von sich aus durch Ver- mehrung ihrer Elemente und zweitens wohl auch dadurch, dass die äusseren Zellen der Auskleidung des Centralkanales in ihren Bereich gezogen werden. Was man nämlich in dieser frühen Zeit als Epithel des Centralkanales bezeichnet, ist nicht als eine scharf abgegrenzte Bildung aufzufassen, sondern als eine noch indifferente Zellenmasse, die auch später noch am Wachsthume der grauen Substanz sich be- theiligt. Hierdurch und durch Aufhören des Wachsthums wird die- ser Centralkanal bald absolut und relativ kleiner, doch ist derselbe noch bei 40tägigen Embryonen ein ziemlich weiter Kanal. Wie beim Hühnchen so habe ich auch beim Menschen einige [Abbildung Fig. 128.] Erfahrungen über die Entwicklung des Rücken- markes aufzuweisen, welche, da sie bis jetzt die einzigen sind, die über die feineren Ver- hältnisse Aufschluss geben, wohl nicht ohne Werth sind. Den frühesten von mir beobach- teten Zustand zeigt Ihnen die Fig. 128, die in [Abbildung Fig. 128. Querschnitt des Halstheils des Rücken- marks eines vier Wochen alten menschlichen Embryo, 36mal vergrössert. c Centralkanal, e epithelartige Aus- kleidung desselben, g vordere graue Substanz mit einem dunkleren Kern, aus dem die vordere nicht dargestellte Wurzel ent- springt, g′ hintere graue Substanz, v Vorderstrang, h Hinterstrang.] Mark des Menschen. Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/273
Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/273>, abgerufen am 24.11.2024.