Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünfundzwanzigste Vorlesung.
geprägter ist, als an der Schädelbasis, indem die Concavität dersel-
ben hoch über der anfänglich sehr wenig ausgesprochenen Sattel-
lehne steht. Es muss daher noch ein besonderes Moment bei der
Gestaltung des Gehirns im Spiele sein. Entweder leistet der Schädel
bei fortdauerndem Längenwachsthum des Gehirns einen schliesslich
nicht mehr zu überwindenden Widerstand und krümmt sich daher
das Gehirn selbständig weiter oder es bilden sich in der Schädel-
höhle selbst gewisse Theile aus, welche einer einfachen Fortsetzung
der Krümmung in den zwei zuerst auftretenden Hauptrichtungen
sich entgegenstemmen. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden
Möglichkeiten ist schwer zu geben, doch will ich mir erlauben, Ihre
Aufmerksamkeit auf ein Gebilde zu lenken, das in dieser Beziehung
Tentorium
cerebelli
.
vielleicht sehr maassgebend ist, nämlich auf das Tentorium cere-
belli
, welches schon bei ganz jungen Embryonen, wenn auch in
anderer Richtung und Lagerung als später, angelegt ist. Es erstreckt
sich nämlich (Fig. 93) von der Schädelbasis in der Gegend der kaum
angedeuteten Sattellehne ein häutiger Fortsatz, den Sie als der Dura
mater
angehörig betrachten können, aufwärts bis an die untere
Fläche des Mittelhirns und weicht dann in zwei Schenkel aus ein-
ander, welche das Mittelhirn umfassen. Es scheint mir nun, dass
durch die frühe Entwicklung dieser Scheidewand, welche offenbar
das Tentorium in einem frühen Stadium ist, die Krümmung am Pons
und auch die starke Einkeilung in der Gegend des Mittelhirns be-
wirkt wird. Das grosse Längenwachsthum des Gehirns wird auch
bei dieser Auffassung als die Hauptursache der Verlängerung der
Hirnaxe angesehen, jedoch angenommen, dass das vom sich ent-
wickelnden Tentorium gesetzte Hinderniss derselben eine besondere
Richtung aufpräge.

Das Tentorium cerebelli stellt übrigens in diesem Stadium eine
fast senkrecht stehende Scheidewand durch die ganze Schädelhöhle
dar, die, ganz verschieden von später, an ihrem unteren Theile, der
an der Sella ansitzt, sehr breit und oben ganz schmal ist, mit an-
dern Worten, es ist dasselbe einem Diaphragma mit einem ganz ex-
centrisch oben sitzenden kleineren Loche zu vergleichen, wie die Fig.
93 Ihnen dies einigermaassen versinnlicht. Später entwickelt sich der
obere Theil immer mehr und rückt in Folge der Ausbildung der vor-
deren und mittleren Theile der Schädelhöhle weiter nach hinten, bis
endlich die bekannten Verhältnisse des späteren Kleinhirnzeltes da
sind. Zugleich ändert sich auch die Beziehung desselben zu den

Fünfundzwanzigste Vorlesung.
geprägter ist, als an der Schädelbasis, indem die Concavität dersel-
ben hoch über der anfänglich sehr wenig ausgesprochenen Sattel-
lehne steht. Es muss daher noch ein besonderes Moment bei der
Gestaltung des Gehirns im Spiele sein. Entweder leistet der Schädel
bei fortdauerndem Längenwachsthum des Gehirns einen schliesslich
nicht mehr zu überwindenden Widerstand und krümmt sich daher
das Gehirn selbständig weiter oder es bilden sich in der Schädel-
höhle selbst gewisse Theile aus, welche einer einfachen Fortsetzung
der Krümmung in den zwei zuerst auftretenden Hauptrichtungen
sich entgegenstemmen. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden
Möglichkeiten ist schwer zu geben, doch will ich mir erlauben, Ihre
Aufmerksamkeit auf ein Gebilde zu lenken, das in dieser Beziehung
Tentorium
cerebelli
.
vielleicht sehr maassgebend ist, nämlich auf das Tentorium cere-
belli
, welches schon bei ganz jungen Embryonen, wenn auch in
anderer Richtung und Lagerung als später, angelegt ist. Es erstreckt
sich nämlich (Fig. 93) von der Schädelbasis in der Gegend der kaum
angedeuteten Sattellehne ein häutiger Fortsatz, den Sie als der Dura
mater
angehörig betrachten können, aufwärts bis an die untere
Fläche des Mittelhirns und weicht dann in zwei Schenkel aus ein-
ander, welche das Mittelhirn umfassen. Es scheint mir nun, dass
durch die frühe Entwicklung dieser Scheidewand, welche offenbar
das Tentorium in einem frühen Stadium ist, die Krümmung am Pons
und auch die starke Einkeilung in der Gegend des Mittelhirns be-
wirkt wird. Das grosse Längenwachsthum des Gehirns wird auch
bei dieser Auffassung als die Hauptursache der Verlängerung der
Hirnaxe angesehen, jedoch angenommen, dass das vom sich ent-
wickelnden Tentorium gesetzte Hinderniss derselben eine besondere
Richtung aufpräge.

Das Tentorium cerebelli stellt übrigens in diesem Stadium eine
fast senkrecht stehende Scheidewand durch die ganze Schädelhöhle
dar, die, ganz verschieden von später, an ihrem unteren Theile, der
an der Sella ansitzt, sehr breit und oben ganz schmal ist, mit an-
dern Worten, es ist dasselbe einem Diaphragma mit einem ganz ex-
centrisch oben sitzenden kleineren Loche zu vergleichen, wie die Fig.
93 Ihnen dies einigermaassen versinnlicht. Später entwickelt sich der
obere Theil immer mehr und rückt in Folge der Ausbildung der vor-
deren und mittleren Theile der Schädelhöhle weiter nach hinten, bis
endlich die bekannten Verhältnisse des späteren Kleinhirnzeltes da
sind. Zugleich ändert sich auch die Beziehung desselben zu den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0246" n="230"/><fw place="top" type="header">Fünfundzwanzigste Vorlesung.</fw><lb/>
geprägter ist, als an der Schädelbasis, indem die Concavität dersel-<lb/>
ben hoch über der anfänglich sehr wenig ausgesprochenen Sattel-<lb/>
lehne steht. Es muss daher noch ein besonderes Moment bei der<lb/>
Gestaltung des Gehirns im Spiele sein. Entweder leistet der Schädel<lb/>
bei fortdauerndem Längenwachsthum des Gehirns einen schliesslich<lb/>
nicht mehr zu überwindenden Widerstand und krümmt sich daher<lb/>
das Gehirn selbständig weiter oder es bilden sich in der Schädel-<lb/>
höhle selbst gewisse Theile aus, welche einer einfachen Fortsetzung<lb/>
der Krümmung in den zwei zuerst auftretenden Hauptrichtungen<lb/>
sich entgegenstemmen. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden<lb/>
Möglichkeiten ist schwer zu geben, doch will ich mir erlauben, Ihre<lb/>
Aufmerksamkeit auf ein Gebilde zu lenken, das in dieser Beziehung<lb/><note place="left"><hi rendition="#i">Tentorium<lb/>
cerebelli</hi>.</note>vielleicht sehr maassgebend ist, nämlich auf das <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Tentorium cere-<lb/>
belli</hi></hi>, welches schon bei ganz jungen Embryonen, wenn auch in<lb/>
anderer Richtung und Lagerung als später, angelegt ist. Es erstreckt<lb/>
sich nämlich (Fig. 93) von der Schädelbasis in der Gegend der kaum<lb/>
angedeuteten Sattellehne ein häutiger Fortsatz, den Sie als der <hi rendition="#i">Dura<lb/>
mater</hi> angehörig betrachten können, aufwärts bis an die untere<lb/>
Fläche des Mittelhirns und weicht dann in zwei Schenkel aus ein-<lb/>
ander, welche das Mittelhirn umfassen. Es scheint mir nun, dass<lb/>
durch die frühe Entwicklung dieser Scheidewand, welche offenbar<lb/>
das Tentorium in einem frühen Stadium ist, die Krümmung am Pons<lb/>
und auch die starke Einkeilung in der Gegend des Mittelhirns be-<lb/>
wirkt wird. Das grosse Längenwachsthum des Gehirns wird auch<lb/>
bei dieser Auffassung als die Hauptursache der Verlängerung der<lb/>
Hirnaxe angesehen, jedoch angenommen, dass das vom sich ent-<lb/>
wickelnden Tentorium gesetzte Hinderniss derselben eine besondere<lb/>
Richtung aufpräge.</p><lb/>
          <p>Das <hi rendition="#i">Tentorium cerebelli</hi> stellt übrigens in diesem Stadium eine<lb/>
fast senkrecht stehende Scheidewand durch die ganze Schädelhöhle<lb/>
dar, die, ganz verschieden von später, an ihrem unteren Theile, der<lb/>
an der Sella ansitzt, sehr breit und oben ganz schmal ist, mit an-<lb/>
dern Worten, es ist dasselbe einem Diaphragma mit einem ganz ex-<lb/>
centrisch oben sitzenden kleineren Loche zu vergleichen, wie die Fig.<lb/>
93 Ihnen dies einigermaassen versinnlicht. Später entwickelt sich der<lb/>
obere Theil immer mehr und rückt in Folge der Ausbildung der vor-<lb/>
deren und mittleren Theile der Schädelhöhle weiter nach hinten, bis<lb/>
endlich die bekannten Verhältnisse des späteren Kleinhirnzeltes da<lb/>
sind. Zugleich ändert sich auch die Beziehung desselben zu den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0246] Fünfundzwanzigste Vorlesung. geprägter ist, als an der Schädelbasis, indem die Concavität dersel- ben hoch über der anfänglich sehr wenig ausgesprochenen Sattel- lehne steht. Es muss daher noch ein besonderes Moment bei der Gestaltung des Gehirns im Spiele sein. Entweder leistet der Schädel bei fortdauerndem Längenwachsthum des Gehirns einen schliesslich nicht mehr zu überwindenden Widerstand und krümmt sich daher das Gehirn selbständig weiter oder es bilden sich in der Schädel- höhle selbst gewisse Theile aus, welche einer einfachen Fortsetzung der Krümmung in den zwei zuerst auftretenden Hauptrichtungen sich entgegenstemmen. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist schwer zu geben, doch will ich mir erlauben, Ihre Aufmerksamkeit auf ein Gebilde zu lenken, das in dieser Beziehung vielleicht sehr maassgebend ist, nämlich auf das Tentorium cere- belli, welches schon bei ganz jungen Embryonen, wenn auch in anderer Richtung und Lagerung als später, angelegt ist. Es erstreckt sich nämlich (Fig. 93) von der Schädelbasis in der Gegend der kaum angedeuteten Sattellehne ein häutiger Fortsatz, den Sie als der Dura mater angehörig betrachten können, aufwärts bis an die untere Fläche des Mittelhirns und weicht dann in zwei Schenkel aus ein- ander, welche das Mittelhirn umfassen. Es scheint mir nun, dass durch die frühe Entwicklung dieser Scheidewand, welche offenbar das Tentorium in einem frühen Stadium ist, die Krümmung am Pons und auch die starke Einkeilung in der Gegend des Mittelhirns be- wirkt wird. Das grosse Längenwachsthum des Gehirns wird auch bei dieser Auffassung als die Hauptursache der Verlängerung der Hirnaxe angesehen, jedoch angenommen, dass das vom sich ent- wickelnden Tentorium gesetzte Hinderniss derselben eine besondere Richtung aufpräge. Tentorium cerebelli. Das Tentorium cerebelli stellt übrigens in diesem Stadium eine fast senkrecht stehende Scheidewand durch die ganze Schädelhöhle dar, die, ganz verschieden von später, an ihrem unteren Theile, der an der Sella ansitzt, sehr breit und oben ganz schmal ist, mit an- dern Worten, es ist dasselbe einem Diaphragma mit einem ganz ex- centrisch oben sitzenden kleineren Loche zu vergleichen, wie die Fig. 93 Ihnen dies einigermaassen versinnlicht. Später entwickelt sich der obere Theil immer mehr und rückt in Folge der Ausbildung der vor- deren und mittleren Theile der Schädelhöhle weiter nach hinten, bis endlich die bekannten Verhältnisse des späteren Kleinhirnzeltes da sind. Zugleich ändert sich auch die Beziehung desselben zu den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/246
Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/246>, abgerufen am 05.05.2024.