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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Zweiundzwanzigste Vorlesung.
wächst, die vorn durch einen geringeren, weiter rückwärts dagegen
durch einen grösseren Zwischenraum von einander getrennt sind.
Diess sind die sogenannten seitlichen Schädelbalken Rathke's.
Ein unpaarer mittlerer, nach oben gekrümmter Fortsatz findet sich
ferner gerade da, wo das Gehirn seine vordere Krümmung macht,
der mittlere Schädelfortsatz, der aber nur eine vorüberge-
hende Existenz besitzt und in keine bleibenden Theile sich umwan-
delt, namentlich nicht in die Sattellehne, an deren Stelle er sich be-
findet. Unmittelbar vor diesem Fortsatze nun und zwischen den
paarigen Schädelbalken stülpt sich nach Rathke's früheren Angaben
die Rachenschleimhaut in die Schädelhöhle hinein, um dann später
zur Hypophysis Cerebri sich abzuschnüren. Abgesehen von dieser
Lücke ist übrigens nach Rathke's Auffassung die Schädelhöhle doch
auch zwischen den Schädelbalken, jedoch nur durch eine dünne
Membran, geschlossen, doch wird nach ihm die eigentliche Schädel-
basis vorn erst dadurch erzeugt, dass später die Schädelbalken un-
ter einander verschmelzen.

Reichert's Auffassung, die in der Dissertation von A. Bidder
(De cranii conformatione, Dorpati 1847) und in Müller's Arch. (1849
St. 443) niedergelegt ist, weicht in Manchem von der von Rathke
ab. Nach diesem Autor reicht die Chorda anfänglich bis an's vor-
dere Ende der Urwirbelplatten bis in die Gegend der Stirn, ver-
kümmert dann aber während der Ausbildung der häutigen Schädel-
anlage in ihrem vorderen Theile. Die Existenz der seitlichen Schä-
delbalken läugnet Reichert für die Säugethiere, Vögel und Schlan-
gen, doch geht auch aus seinen Angaben hervor, dass in der That
an der Schädelbasis mehr nach vorn zu die Mitte anfänglich in grös-
serer oder geringerer Ausdehnung von einer andern Beschaffenheit
und dünner ist als die seitlichen Theile. Den mittleren Schädelbal-
ken fasst Reichert als Sattellehne und, wie es scheint, zum Theil
auch als Fortsatz der harten Hirnhaut auf, und was die Hypophysis
anlangt, so läugnet er, dass die Schädelbasis jemals durchbro-
chen sei.

Wollen Sie nun meine Stellung zu diesen streitigen Puncten
kennen lernen, so habe ich Ihnen zunächst zu sagen, dass es mir
scheint, als ob mit Bezug auf die Frage der paarigen Schädelbalken
als Grundlage des vorderen Theiles des Schädels Rathke und Rei-
chert
nicht so weit aus einander stehen, als es auf den ersten Blick
erscheint. Auch Rathke nimmt, abgesehen von der Stelle der Hypo-

Zweiundzwanzigste Vorlesung.
wächst, die vorn durch einen geringeren, weiter rückwärts dagegen
durch einen grösseren Zwischenraum von einander getrennt sind.
Diess sind die sogenannten seitlichen Schädelbalken Rathke’s.
Ein unpaarer mittlerer, nach oben gekrümmter Fortsatz findet sich
ferner gerade da, wo das Gehirn seine vordere Krümmung macht,
der mittlere Schädelfortsatz, der aber nur eine vorüberge-
hende Existenz besitzt und in keine bleibenden Theile sich umwan-
delt, namentlich nicht in die Sattellehne, an deren Stelle er sich be-
findet. Unmittelbar vor diesem Fortsatze nun und zwischen den
paarigen Schädelbalken stülpt sich nach Rathke’s früheren Angaben
die Rachenschleimhaut in die Schädelhöhle hinein, um dann später
zur Hypophysis Cerebri sich abzuschnüren. Abgesehen von dieser
Lücke ist übrigens nach Rathke’s Auffassung die Schädelhöhle doch
auch zwischen den Schädelbalken, jedoch nur durch eine dünne
Membran, geschlossen, doch wird nach ihm die eigentliche Schädel-
basis vorn erst dadurch erzeugt, dass später die Schädelbalken un-
ter einander verschmelzen.

Reichert’s Auffassung, die in der Dissertation von A. Bidder
(De cranii conformatione, Dorpati 1847) und in Müller’s Arch. (1849
St. 443) niedergelegt ist, weicht in Manchem von der von Rathke
ab. Nach diesem Autor reicht die Chorda anfänglich bis an’s vor-
dere Ende der Urwirbelplatten bis in die Gegend der Stirn, ver-
kümmert dann aber während der Ausbildung der häutigen Schädel-
anlage in ihrem vorderen Theile. Die Existenz der seitlichen Schä-
delbalken läugnet Reichert für die Säugethiere, Vögel und Schlan-
gen, doch geht auch aus seinen Angaben hervor, dass in der That
an der Schädelbasis mehr nach vorn zu die Mitte anfänglich in grös-
serer oder geringerer Ausdehnung von einer andern Beschaffenheit
und dünner ist als die seitlichen Theile. Den mittleren Schädelbal-
ken fasst Reichert als Sattellehne und, wie es scheint, zum Theil
auch als Fortsatz der harten Hirnhaut auf, und was die Hypophysis
anlangt, so läugnet er, dass die Schädelbasis jemals durchbro-
chen sei.

Wollen Sie nun meine Stellung zu diesen streitigen Puncten
kennen lernen, so habe ich Ihnen zunächst zu sagen, dass es mir
scheint, als ob mit Bezug auf die Frage der paarigen Schädelbalken
als Grundlage des vorderen Theiles des Schädels Rathke und Rei-
chert
nicht so weit aus einander stehen, als es auf den ersten Blick
erscheint. Auch Rathke nimmt, abgesehen von der Stelle der Hypo-

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[194/0210] Zweiundzwanzigste Vorlesung. wächst, die vorn durch einen geringeren, weiter rückwärts dagegen durch einen grösseren Zwischenraum von einander getrennt sind. Diess sind die sogenannten seitlichen Schädelbalken Rathke’s. Ein unpaarer mittlerer, nach oben gekrümmter Fortsatz findet sich ferner gerade da, wo das Gehirn seine vordere Krümmung macht, der mittlere Schädelfortsatz, der aber nur eine vorüberge- hende Existenz besitzt und in keine bleibenden Theile sich umwan- delt, namentlich nicht in die Sattellehne, an deren Stelle er sich be- findet. Unmittelbar vor diesem Fortsatze nun und zwischen den paarigen Schädelbalken stülpt sich nach Rathke’s früheren Angaben die Rachenschleimhaut in die Schädelhöhle hinein, um dann später zur Hypophysis Cerebri sich abzuschnüren. Abgesehen von dieser Lücke ist übrigens nach Rathke’s Auffassung die Schädelhöhle doch auch zwischen den Schädelbalken, jedoch nur durch eine dünne Membran, geschlossen, doch wird nach ihm die eigentliche Schädel- basis vorn erst dadurch erzeugt, dass später die Schädelbalken un- ter einander verschmelzen. Reichert’s Auffassung, die in der Dissertation von A. Bidder (De cranii conformatione, Dorpati 1847) und in Müller’s Arch. (1849 St. 443) niedergelegt ist, weicht in Manchem von der von Rathke ab. Nach diesem Autor reicht die Chorda anfänglich bis an’s vor- dere Ende der Urwirbelplatten bis in die Gegend der Stirn, ver- kümmert dann aber während der Ausbildung der häutigen Schädel- anlage in ihrem vorderen Theile. Die Existenz der seitlichen Schä- delbalken läugnet Reichert für die Säugethiere, Vögel und Schlan- gen, doch geht auch aus seinen Angaben hervor, dass in der That an der Schädelbasis mehr nach vorn zu die Mitte anfänglich in grös- serer oder geringerer Ausdehnung von einer andern Beschaffenheit und dünner ist als die seitlichen Theile. Den mittleren Schädelbal- ken fasst Reichert als Sattellehne und, wie es scheint, zum Theil auch als Fortsatz der harten Hirnhaut auf, und was die Hypophysis anlangt, so läugnet er, dass die Schädelbasis jemals durchbro- chen sei. Wollen Sie nun meine Stellung zu diesen streitigen Puncten kennen lernen, so habe ich Ihnen zunächst zu sagen, dass es mir scheint, als ob mit Bezug auf die Frage der paarigen Schädelbalken als Grundlage des vorderen Theiles des Schädels Rathke und Rei- chert nicht so weit aus einander stehen, als es auf den ersten Blick erscheint. Auch Rathke nimmt, abgesehen von der Stelle der Hypo-

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/210>, abgerufen am 24.11.2024.