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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Neunzehnte Vorlesung.
C. Vogt, Rees, Scherer (Zeitschr. f. wiss. Zool. 1849 Bd. I. pag. 88),
Majewski (de Substant., quae Liquor. Amnii et Allant. insunt, rationi-
bus
, Dorp. 1858) und Andern geprüft worden, wobei sich ergeben
hat, dass die Amniosflüssigkeit, auch Fruchtwasser genannt, alka-
lisch reagirt und sich im Allgemeinen wie ein verdünntes Blutse-
rum verhält. Sie enthält beim reifen Embryo nur etwa 1 % feste
Bestandtheile, ist dagegen in früheren Monaten etwas concentrirter.
Bei Thieren (Herbivoren) ist nach Majewski das Amnioswasser ge-
rade umgekehrt in späteren Zeiten reicher an festen Theilen. Von
organischen Materien hat man immer Eiweiss gefunden, ausserdem
in gewissen Fällen Harnstoff, unzweifelhaft von den Nieren abstam-
mend, den auch Majewski bestätigt und beim Menschen in zwei Fäl-
len zu 0,34 % und 0,42 % bestimmte. Zucker findet sich, wie
Bernard zuerst angab, im Amnioswasser von Herbivoren, fehlt da-
gegen nach Majewski beim Menschen. Bei ersteren fand er denselben
entgegen Bernard auch bei älteren Embryonen.

Nabelstrang.Ich habe Ihnen nun noch Einiges über das Verhalten des Na-
belstranges
am Ende der Schwangerschaft anzugeben. Der voll-
ständig ausgebildete Nabelstrang hat eine beträchtliche Länge, die
Sie im Mittel zu 18 und 20" annehmen können. Als Extreme sind
auf der einen Seite 60 und 65", auf der andern 21/2" beobachtet.
Die Dicke ist 5--6'''. Immer ist derselbe spiralig gedreht in der
Art, dass einmal der ganze Strang eine Drehung zeigt und zweitens
im Innern die Nabelarterien noch stärker gewunden sind und um
die weniger gedrehte Vene herumlaufen. Diese Drehung, deren An-
fang schon in frühere Zeiten fällt und die in den meisten Fällen
vom Embryo aus von links nach rechts gegen die Placenta hin ver-
läuft, hat Anlass zu ziemlich langwierigen Discussionen über die ihr
zu Grunde liegenden Ursachen gegeben. Sehr wahrscheinlich ist
es, dass durch ein eigenthümliches in Spiralen fortschreitendes
Wachsthum eine Drehung zunächst an den Nabelstranggefässen zu
Stande kommt, welche dann auch den Embryo zu Drehungen ver-
anlasst, denen er, weil er ganz frei im Schafwasser schwimmt,
keinen Widerstand entgegen zu setzen vermag. Dadurch wird dann
auch die Scheide des Nabelstranges, jedoch etwas weniger als die
Gefässe in der angegebenen Richtung gewunden. Die Zusammen-
setzung des Nabelstranges des reifen Embryo ist dieselbe wie früher,
nur sind die Dottersackgefässe jetzt nicht mehr vorhanden. -- Mit
der Placenta verbindet sich der Nabelstrang selten genau central;

Neunzehnte Vorlesung.
C. Vogt, Rees, Scherer (Zeitschr. f. wiss. Zool. 1849 Bd. I. pag. 88),
Majewski (de Substant., quae Liquor. Amnii et Allant. insunt, rationi-
bus
, Dorp. 1858) und Andern geprüft worden, wobei sich ergeben
hat, dass die Amniosflüssigkeit, auch Fruchtwasser genannt, alka-
lisch reagirt und sich im Allgemeinen wie ein verdünntes Blutse-
rum verhält. Sie enthält beim reifen Embryo nur etwa 1 % feste
Bestandtheile, ist dagegen in früheren Monaten etwas concentrirter.
Bei Thieren (Herbivoren) ist nach Majewski das Amnioswasser ge-
rade umgekehrt in späteren Zeiten reicher an festen Theilen. Von
organischen Materien hat man immer Eiweiss gefunden, ausserdem
in gewissen Fällen Harnstoff, unzweifelhaft von den Nieren abstam-
mend, den auch Majewski bestätigt und beim Menschen in zwei Fäl-
len zu 0,34 % und 0,42 % bestimmte. Zucker findet sich, wie
Bernard zuerst angab, im Amnioswasser von Herbivoren, fehlt da-
gegen nach Majewski beim Menschen. Bei ersteren fand er denselben
entgegen Bernard auch bei älteren Embryonen.

Nabelstrang.Ich habe Ihnen nun noch Einiges über das Verhalten des Na-
belstranges
am Ende der Schwangerschaft anzugeben. Der voll-
ständig ausgebildete Nabelstrang hat eine beträchtliche Länge, die
Sie im Mittel zu 18 und 20″ annehmen können. Als Extreme sind
auf der einen Seite 60 und 65″, auf der andern 2½″ beobachtet.
Die Dicke ist 5—6‴. Immer ist derselbe spiralig gedreht in der
Art, dass einmal der ganze Strang eine Drehung zeigt und zweitens
im Innern die Nabelarterien noch stärker gewunden sind und um
die weniger gedrehte Vene herumlaufen. Diese Drehung, deren An-
fang schon in frühere Zeiten fällt und die in den meisten Fällen
vom Embryo aus von links nach rechts gegen die Placenta hin ver-
läuft, hat Anlass zu ziemlich langwierigen Discussionen über die ihr
zu Grunde liegenden Ursachen gegeben. Sehr wahrscheinlich ist
es, dass durch ein eigenthümliches in Spiralen fortschreitendes
Wachsthum eine Drehung zunächst an den Nabelstranggefässen zu
Stande kommt, welche dann auch den Embryo zu Drehungen ver-
anlasst, denen er, weil er ganz frei im Schafwasser schwimmt,
keinen Widerstand entgegen zu setzen vermag. Dadurch wird dann
auch die Scheide des Nabelstranges, jedoch etwas weniger als die
Gefässe in der angegebenen Richtung gewunden. Die Zusammen-
setzung des Nabelstranges des reifen Embryo ist dieselbe wie früher,
nur sind die Dottersackgefässe jetzt nicht mehr vorhanden. — Mit
der Placenta verbindet sich der Nabelstrang selten genau central;

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[156/0172] Neunzehnte Vorlesung. C. Vogt, Rees, Scherer (Zeitschr. f. wiss. Zool. 1849 Bd. I. pag. 88), Majewski (de Substant., quae Liquor. Amnii et Allant. insunt, rationi- bus, Dorp. 1858) und Andern geprüft worden, wobei sich ergeben hat, dass die Amniosflüssigkeit, auch Fruchtwasser genannt, alka- lisch reagirt und sich im Allgemeinen wie ein verdünntes Blutse- rum verhält. Sie enthält beim reifen Embryo nur etwa 1 % feste Bestandtheile, ist dagegen in früheren Monaten etwas concentrirter. Bei Thieren (Herbivoren) ist nach Majewski das Amnioswasser ge- rade umgekehrt in späteren Zeiten reicher an festen Theilen. Von organischen Materien hat man immer Eiweiss gefunden, ausserdem in gewissen Fällen Harnstoff, unzweifelhaft von den Nieren abstam- mend, den auch Majewski bestätigt und beim Menschen in zwei Fäl- len zu 0,34 % und 0,42 % bestimmte. Zucker findet sich, wie Bernard zuerst angab, im Amnioswasser von Herbivoren, fehlt da- gegen nach Majewski beim Menschen. Bei ersteren fand er denselben entgegen Bernard auch bei älteren Embryonen. Ich habe Ihnen nun noch Einiges über das Verhalten des Na- belstranges am Ende der Schwangerschaft anzugeben. Der voll- ständig ausgebildete Nabelstrang hat eine beträchtliche Länge, die Sie im Mittel zu 18 und 20″ annehmen können. Als Extreme sind auf der einen Seite 60 und 65″, auf der andern 2½″ beobachtet. Die Dicke ist 5—6‴. Immer ist derselbe spiralig gedreht in der Art, dass einmal der ganze Strang eine Drehung zeigt und zweitens im Innern die Nabelarterien noch stärker gewunden sind und um die weniger gedrehte Vene herumlaufen. Diese Drehung, deren An- fang schon in frühere Zeiten fällt und die in den meisten Fällen vom Embryo aus von links nach rechts gegen die Placenta hin ver- läuft, hat Anlass zu ziemlich langwierigen Discussionen über die ihr zu Grunde liegenden Ursachen gegeben. Sehr wahrscheinlich ist es, dass durch ein eigenthümliches in Spiralen fortschreitendes Wachsthum eine Drehung zunächst an den Nabelstranggefässen zu Stande kommt, welche dann auch den Embryo zu Drehungen ver- anlasst, denen er, weil er ganz frei im Schafwasser schwimmt, keinen Widerstand entgegen zu setzen vermag. Dadurch wird dann auch die Scheide des Nabelstranges, jedoch etwas weniger als die Gefässe in der angegebenen Richtung gewunden. Die Zusammen- setzung des Nabelstranges des reifen Embryo ist dieselbe wie früher, nur sind die Dottersackgefässe jetzt nicht mehr vorhanden. — Mit der Placenta verbindet sich der Nabelstrang selten genau central; Nabelstrang.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/172>, abgerufen am 04.05.2024.