Sollte nicht diese entworfene Geschichte ein Märchen sein? höre ich manchen hinter der Sze- ne rufen; aber bei dem helleuchtenden Schim- mer der Warheit, sie ist es nicht -- ich habe in dem Hause gewohnt, wo sie sich in der Mitte dieses Zeitalters zugetragen, man hat mich sogar für den herumwandelnden Schatten des entleib- ten Bösewichts, furchtsam machen wollen -- aber ich habe nie an Gespenster und Geister geglaubt, habe sie immer als Bilder der erhizten Fantasie angesehen, und wie könnte auch ein Mensch, dessen ganzes Leben eine Kette von Niederträch- tigkeit und Bosheit war, der so vielen im Leben Ruhe und Glük raubte, auch noch im Tode die Ruhe anderer stören können? Aber oft in der Hülle der Mitternacht, wann der Mond me- lancholische Schatten über die Vorhänge meines Bettes warf, wann meine Fantasie in düstern Bildern umher gaukelte, stand ein Bild vor mir -- es war, als pakte es mich mit Riesenstärke, und eine klagende Stimme hallte mir zu: Schreib sie nieder die Geschichte -- schreib sie nieder für Welt und Nachwelt! -- --
Sollte nicht dieſe entworfene Geſchichte ein Maͤrchen ſein? hoͤre ich manchen hinter der Sze- ne rufen; aber bei dem helleuchtenden Schim- mer der Warheit, ſie iſt es nicht — ich habe in dem Hauſe gewohnt, wo ſie ſich in der Mitte dieſes Zeitalters zugetragen, man hat mich ſogar fuͤr den herumwandelnden Schatten des entleib- ten Boͤſewichts, furchtſam machen wollen — aber ich habe nie an Geſpenſter und Geiſter geglaubt, habe ſie immer als Bilder der erhizten Fantaſie angeſehen, und wie koͤnnte auch ein Menſch, deſſen ganzes Leben eine Kette von Niedertraͤch- tigkeit und Bosheit war, der ſo vielen im Leben Ruhe und Gluͤk raubte, auch noch im Tode die Ruhe anderer ſtoͤren koͤnnen? Aber oft in der Huͤlle der Mitternacht, wann der Mond me- lancholiſche Schatten uͤber die Vorhaͤnge meines Bettes warf, wann meine Fantaſie in duͤſtern Bildern umher gaukelte, ſtand ein Bild vor mir — es war, als pakte es mich mit Rieſenſtaͤrke, und eine klagende Stimme hallte mir zu: Schreib ſie nieder die Geſchichte — ſchreib ſie nieder fuͤr Welt und Nachwelt! — —
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Sollte nicht dieſe entworfene Geſchichte ein
Maͤrchen ſein? hoͤre ich manchen hinter der Sze-
ne rufen; aber bei dem helleuchtenden Schim-
mer der Warheit, ſie iſt es nicht — ich habe in
dem Hauſe gewohnt, wo ſie ſich in der Mitte
dieſes Zeitalters zugetragen, man hat mich ſogar
fuͤr den herumwandelnden Schatten des entleib-
ten Boͤſewichts, furchtſam machen wollen — aber
ich habe nie an Geſpenſter und Geiſter geglaubt,
habe ſie immer als Bilder der erhizten Fantaſie
angeſehen, und wie koͤnnte auch ein Menſch,
deſſen ganzes Leben eine Kette von Niedertraͤch-
tigkeit und Bosheit war, der ſo vielen im Leben
Ruhe und Gluͤk raubte, auch noch im Tode die
Ruhe anderer ſtoͤren koͤnnen? Aber oft in der
Huͤlle der Mitternacht, wann der Mond me-
lancholiſche Schatten uͤber die Vorhaͤnge meines
Bettes warf, wann meine Fantaſie in duͤſtern
Bildern umher gaukelte, ſtand ein Bild vor mir
— es war, als pakte es mich mit Rieſenſtaͤrke,
und eine klagende Stimme hallte mir zu:
Schreib ſie nieder die Geſchichte — ſchreib
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/54>, abgerufen am 03.12.2024.
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