Hier wandelte dem Alten eine Schwachheit an, die unzertrennlich das Elend zu begleiten pflegt: ich brachte ihn zu einer Hütte, ließ ihm Speise reichen, und durch einen Labetrunk seine erschöpften Lebensgeister erquikken.
Sein Gesicht war so edel, und eine stille Würde bezeichnete jeden Zug, die ihn auch im Unglük nicht verlassen hatte, daß ich schliessen konnte, er sei nicht der gewönlichen Brüder des Elends einer, die in einer armseligen Hütte ihr Dasein empfangen, und so in die weite Welt verstossen werden. Ueberdies waren seine Worte von solchem Gehalt, daß man an ihnen den aus- gebildeten Mann nicht verkennen konnte. Dis machte mich um so mehr auf seine Geschichte auf- merksam, und ich sezte so lange in ihm, bis er sie mir folgendermaßen enthüllte.
Mein Vater war Prediger zu N. im B. -- der nach erfüllten Pflichten seines Berufs, die übrigen Stunden zu meiner Bildung anwandte, und meinem Geist eine solche Richtung gab, wie er in dem Kreise seines Lebens einst bedurfte. Jch schlüpfe über die frohe Zeit meiner Knabenjahre hinweg, die ich in der väterlichen Flur zubrachte, da würdige Aeltern meine Tritte leiteten, und
S 2
Hier wandelte dem Alten eine Schwachheit an, die unzertrennlich das Elend zu begleiten pflegt: ich brachte ihn zu einer Huͤtte, ließ ihm Speiſe reichen, und durch einen Labetrunk ſeine erſchoͤpften Lebensgeiſter erquikken.
Sein Geſicht war ſo edel, und eine ſtille Wuͤrde bezeichnete jeden Zug, die ihn auch im Ungluͤk nicht verlaſſen hatte, daß ich ſchlieſſen konnte, er ſei nicht der gewoͤnlichen Bruͤder des Elends einer, die in einer armſeligen Huͤtte ihr Daſein empfangen, und ſo in die weite Welt verſtoſſen werden. Ueberdies waren ſeine Worte von ſolchem Gehalt, daß man an ihnen den aus- gebildeten Mann nicht verkennen konnte. Dis machte mich um ſo mehr auf ſeine Geſchichte auf- merkſam, und ich ſezte ſo lange in ihm, bis er ſie mir folgendermaßen enthuͤllte.
Mein Vater war Prediger zu N. im B. — der nach erfuͤllten Pflichten ſeines Berufs, die uͤbrigen Stunden zu meiner Bildung anwandte, und meinem Geiſt eine ſolche Richtung gab, wie er in dem Kreiſe ſeines Lebens einſt bedurfte. Jch ſchluͤpfe uͤber die frohe Zeit meiner Knabenjahre hinweg, die ich in der vaͤterlichen Flur zubrachte, da wuͤrdige Aeltern meine Tritte leiteten, und
S 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0283"n="275"/><p>Hier wandelte dem <hirendition="#fr">Alten</hi> eine Schwachheit<lb/>
an, die unzertrennlich das Elend zu begleiten<lb/>
pflegt: ich brachte ihn zu einer Huͤtte, ließ ihm<lb/>
Speiſe reichen, und durch einen Labetrunk ſeine<lb/>
erſchoͤpften Lebensgeiſter erquikken.</p><lb/><p>Sein Geſicht war ſo edel, und eine ſtille<lb/>
Wuͤrde bezeichnete jeden Zug, die ihn auch im<lb/>
Ungluͤk nicht verlaſſen hatte, daß ich ſchlieſſen<lb/>
konnte, er ſei nicht der gewoͤnlichen Bruͤder des<lb/>
Elends einer, die in einer armſeligen Huͤtte ihr<lb/>
Daſein empfangen, und ſo in die weite Welt<lb/>
verſtoſſen werden. Ueberdies waren ſeine Worte<lb/>
von ſolchem Gehalt, daß man an ihnen den aus-<lb/>
gebildeten Mann nicht verkennen konnte. Dis<lb/>
machte mich um ſo mehr auf ſeine Geſchichte auf-<lb/>
merkſam, und ich ſezte ſo lange in ihm, bis er ſie<lb/>
mir folgendermaßen enthuͤllte.</p><lb/><p>Mein Vater war Prediger zu N. im B. —<lb/>
der nach erfuͤllten Pflichten ſeines Berufs, die<lb/>
uͤbrigen Stunden zu meiner Bildung anwandte,<lb/>
und meinem Geiſt eine ſolche Richtung gab, wie<lb/>
er in dem Kreiſe ſeines Lebens einſt bedurfte. Jch<lb/>ſchluͤpfe uͤber die frohe Zeit meiner Knabenjahre<lb/>
hinweg, die ich in der vaͤterlichen Flur zubrachte,<lb/>
da wuͤrdige Aeltern meine Tritte leiteten, und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">S 2</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[275/0283]
Hier wandelte dem Alten eine Schwachheit
an, die unzertrennlich das Elend zu begleiten
pflegt: ich brachte ihn zu einer Huͤtte, ließ ihm
Speiſe reichen, und durch einen Labetrunk ſeine
erſchoͤpften Lebensgeiſter erquikken.
Sein Geſicht war ſo edel, und eine ſtille
Wuͤrde bezeichnete jeden Zug, die ihn auch im
Ungluͤk nicht verlaſſen hatte, daß ich ſchlieſſen
konnte, er ſei nicht der gewoͤnlichen Bruͤder des
Elends einer, die in einer armſeligen Huͤtte ihr
Daſein empfangen, und ſo in die weite Welt
verſtoſſen werden. Ueberdies waren ſeine Worte
von ſolchem Gehalt, daß man an ihnen den aus-
gebildeten Mann nicht verkennen konnte. Dis
machte mich um ſo mehr auf ſeine Geſchichte auf-
merkſam, und ich ſezte ſo lange in ihm, bis er ſie
mir folgendermaßen enthuͤllte.
Mein Vater war Prediger zu N. im B. —
der nach erfuͤllten Pflichten ſeines Berufs, die
uͤbrigen Stunden zu meiner Bildung anwandte,
und meinem Geiſt eine ſolche Richtung gab, wie
er in dem Kreiſe ſeines Lebens einſt bedurfte. Jch
ſchluͤpfe uͤber die frohe Zeit meiner Knabenjahre
hinweg, die ich in der vaͤterlichen Flur zubrachte,
da wuͤrdige Aeltern meine Tritte leiteten, und
S 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/283>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.