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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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Hier wandelte dem Alten eine Schwachheit
an, die unzertrennlich das Elend zu begleiten
pflegt: ich brachte ihn zu einer Hütte, ließ ihm
Speise reichen, und durch einen Labetrunk seine
erschöpften Lebensgeister erquikken.

Sein Gesicht war so edel, und eine stille
Würde bezeichnete jeden Zug, die ihn auch im
Unglük nicht verlassen hatte, daß ich schliessen
konnte, er sei nicht der gewönlichen Brüder des
Elends einer, die in einer armseligen Hütte ihr
Dasein empfangen, und so in die weite Welt
verstossen werden. Ueberdies waren seine Worte
von solchem Gehalt, daß man an ihnen den aus-
gebildeten Mann nicht verkennen konnte. Dis
machte mich um so mehr auf seine Geschichte auf-
merksam, und ich sezte so lange in ihm, bis er sie
mir folgendermaßen enthüllte.

Mein Vater war Prediger zu N. im B. --
der nach erfüllten Pflichten seines Berufs, die
übrigen Stunden zu meiner Bildung anwandte,
und meinem Geist eine solche Richtung gab, wie
er in dem Kreise seines Lebens einst bedurfte. Jch
schlüpfe über die frohe Zeit meiner Knabenjahre
hinweg, die ich in der väterlichen Flur zubrachte,
da würdige Aeltern meine Tritte leiteten, und

S 2

Hier wandelte dem Alten eine Schwachheit
an, die unzertrennlich das Elend zu begleiten
pflegt: ich brachte ihn zu einer Huͤtte, ließ ihm
Speiſe reichen, und durch einen Labetrunk ſeine
erſchoͤpften Lebensgeiſter erquikken.

Sein Geſicht war ſo edel, und eine ſtille
Wuͤrde bezeichnete jeden Zug, die ihn auch im
Ungluͤk nicht verlaſſen hatte, daß ich ſchlieſſen
konnte, er ſei nicht der gewoͤnlichen Bruͤder des
Elends einer, die in einer armſeligen Huͤtte ihr
Daſein empfangen, und ſo in die weite Welt
verſtoſſen werden. Ueberdies waren ſeine Worte
von ſolchem Gehalt, daß man an ihnen den aus-
gebildeten Mann nicht verkennen konnte. Dis
machte mich um ſo mehr auf ſeine Geſchichte auf-
merkſam, und ich ſezte ſo lange in ihm, bis er ſie
mir folgendermaßen enthuͤllte.

Mein Vater war Prediger zu N. im B. —
der nach erfuͤllten Pflichten ſeines Berufs, die
uͤbrigen Stunden zu meiner Bildung anwandte,
und meinem Geiſt eine ſolche Richtung gab, wie
er in dem Kreiſe ſeines Lebens einſt bedurfte. Jch
ſchluͤpfe uͤber die frohe Zeit meiner Knabenjahre
hinweg, die ich in der vaͤterlichen Flur zubrachte,
da wuͤrdige Aeltern meine Tritte leiteten, und

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[275/0283] Hier wandelte dem Alten eine Schwachheit an, die unzertrennlich das Elend zu begleiten pflegt: ich brachte ihn zu einer Huͤtte, ließ ihm Speiſe reichen, und durch einen Labetrunk ſeine erſchoͤpften Lebensgeiſter erquikken. Sein Geſicht war ſo edel, und eine ſtille Wuͤrde bezeichnete jeden Zug, die ihn auch im Ungluͤk nicht verlaſſen hatte, daß ich ſchlieſſen konnte, er ſei nicht der gewoͤnlichen Bruͤder des Elends einer, die in einer armſeligen Huͤtte ihr Daſein empfangen, und ſo in die weite Welt verſtoſſen werden. Ueberdies waren ſeine Worte von ſolchem Gehalt, daß man an ihnen den aus- gebildeten Mann nicht verkennen konnte. Dis machte mich um ſo mehr auf ſeine Geſchichte auf- merkſam, und ich ſezte ſo lange in ihm, bis er ſie mir folgendermaßen enthuͤllte. Mein Vater war Prediger zu N. im B. — der nach erfuͤllten Pflichten ſeines Berufs, die uͤbrigen Stunden zu meiner Bildung anwandte, und meinem Geiſt eine ſolche Richtung gab, wie er in dem Kreiſe ſeines Lebens einſt bedurfte. Jch ſchluͤpfe uͤber die frohe Zeit meiner Knabenjahre hinweg, die ich in der vaͤterlichen Flur zubrachte, da wuͤrdige Aeltern meine Tritte leiteten, und S 2

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/283>, abgerufen am 21.05.2024.