Seele sich so hoch empor schwingen, ohne vom Schwindel ergriffen, in gänzlicher Erschlaf- fung dahin zu sinken. Jhr kennt die Liebe, jenen Hauch aus Gott nicht, denn sie hat nie in eurem Herzen, dem Sammelplaz der Lüste und Begier- den Wonung machen können, daher nennt ihr sie auch ein Hirngespinste, die Schwärmerei und Dichterglut schuf, und dennoch lebt sie in der Natur, und wirkt durch sie -- alles entsteht, lebt, athmet durch sie. Aber ihr berauscht euch aus dem Kelch der Wollust, schwelgt im Arm der Bulerinn, bis alle eure Nerven erschlafft, und der Körper gänzlich zernichtet, dahin sinkt. All' eure Sinne sind mit Bildern der Wollust er- füllt, und jene feinen Empfindungen, die ein Ausfluß der Gottheit sind, sind von euch ge- wichen, und haben den groben Bestandteilen Plaz gemacht, die euch mit dem Thier in eine Klasse sezzen.
Jhr Freuden des Vaters! den Erstling sei- ner Kraft auf seinem Schoos zu wiegen, das Pfand der Liebe an der mütterlichen Brust durch Küsse zu wekken, und sich in jene Szenen der Freude, und der berauschenden Wonne zu ver- sezzen, da die Stimme erscholl, dir ist ein
Sohn
Seele ſich ſo hoch empor ſchwingen, ohne vom Schwindel ergriffen, in gaͤnzlicher Erſchlaf- fung dahin zu ſinken. Jhr kennt die Liebe, jenen Hauch aus Gott nicht, denn ſie hat nie in eurem Herzen, dem Sammelplaz der Luͤſte und Begier- den Wonung machen koͤnnen, daher nennt ihr ſie auch ein Hirngeſpinſte, die Schwaͤrmerei und Dichterglut ſchuf, und dennoch lebt ſie in der Natur, und wirkt durch ſie — alles entſteht, lebt, athmet durch ſie. Aber ihr berauſcht euch aus dem Kelch der Wolluſt, ſchwelgt im Arm der Bulerinn, bis alle eure Nerven erſchlafft, und der Koͤrper gaͤnzlich zernichtet, dahin ſinkt. All’ eure Sinne ſind mit Bildern der Wolluſt er- fuͤllt, und jene feinen Empfindungen, die ein Ausfluß der Gottheit ſind, ſind von euch ge- wichen, und haben den groben Beſtandteilen Plaz gemacht, die euch mit dem Thier in eine Klaſſe ſezzen.
Jhr Freuden des Vaters! den Erſtling ſei- ner Kraft auf ſeinem Schoos zu wiegen, das Pfand der Liebe an der muͤtterlichen Bruſt durch Kuͤſſe zu wekken, und ſich in jene Szenen der Freude, und der berauſchenden Wonne zu ver- ſezzen, da die Stimme erſcholl, dir iſt ein
Sohn
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Seele ſich ſo hoch empor ſchwingen, ohne
vom Schwindel ergriffen, in gaͤnzlicher Erſchlaf-
fung dahin zu ſinken. Jhr kennt die Liebe, jenen
Hauch aus Gott nicht, denn ſie hat nie in eurem
Herzen, dem Sammelplaz der Luͤſte und Begier-
den Wonung machen koͤnnen, daher nennt ihr
ſie auch ein Hirngeſpinſte, die Schwaͤrmerei und
Dichterglut ſchuf, und dennoch lebt ſie in der
Natur, und wirkt durch ſie — alles entſteht,
lebt, athmet durch ſie. Aber ihr berauſcht euch
aus dem Kelch der Wolluſt, ſchwelgt im Arm der
Bulerinn, bis alle eure Nerven erſchlafft, und
der Koͤrper gaͤnzlich zernichtet, dahin ſinkt. All’
eure Sinne ſind mit Bildern der Wolluſt er-
fuͤllt, und jene feinen Empfindungen, die ein
Ausfluß der Gottheit ſind, ſind von euch ge-
wichen, und haben den groben Beſtandteilen
Plaz gemacht, die euch mit dem Thier in eine
Klaſſe ſezzen.
Jhr Freuden des Vaters! den Erſtling ſei-
ner Kraft auf ſeinem Schoos zu wiegen, das
Pfand der Liebe an der muͤtterlichen Bruſt durch
Kuͤſſe zu wekken, und ſich in jene Szenen der
Freude, und der berauſchenden Wonne zu ver-
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/232>, abgerufen am 23.11.2024.
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