Hier endete der junge Mann, sein Herz schien erleichtert, und gab ihm Tränen. Wie konnt ich kalt hineinblikken in seinen Schmerz? meine Tränen mischten sich mit den seinigen; ich umarmte ihn feurig, drükte seine Rechte, und verließ ihn -- Aber der Gedanke stand so fest in meiner Seele, unerschüttert stand er da, zu wallfahrten zum Hügel der Vollendeten, und ihren Aschenkrug mit meinen Tränen zu nezzen. Jch bin dir das Opfer schuldig, theures Mäd- chen! mag dich der verdammen, der kalt und fühllos seinen Weg fortschlendert; der Garten und das Feld hat keine Blume mehr, sonst wollte ich deinen Grabhügel damit bestreuen: aber wenn die ersten Veilchen blühen, will ich sie auf deine Gruft streuen, vielleicht schwebt dein Geist un- sichtbar einher, und lispelt im lauen West, Ruhe und Trost in meine Seele. Und sollte der Jüng- ling kommen, der das Mädchen liebte, sollte er den Ueberrest seines schwachen Körpers wankend zu ihrem Grabhügel schleppen, so will ich mich entfernen, denn das Grab gehört ihm, ist ein Stük von seinem Herzen; ich will den Lauf seiner Tränen nicht aufhalten, denn sie machen
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Hier endete der junge Mann, ſein Herz ſchien erleichtert, und gab ihm Traͤnen. Wie konnt ich kalt hineinblikken in ſeinen Schmerz? meine Traͤnen miſchten ſich mit den ſeinigen; ich umarmte ihn feurig, druͤkte ſeine Rechte, und verließ ihn — Aber der Gedanke ſtand ſo feſt in meiner Seele, unerſchuͤttert ſtand er da, zu wallfahrten zum Huͤgel der Vollendeten, und ihren Aſchenkrug mit meinen Traͤnen zu nezzen. Jch bin dir das Opfer ſchuldig, theures Maͤd- chen! mag dich der verdammen, der kalt und fuͤhllos ſeinen Weg fortſchlendert; der Garten und das Feld hat keine Blume mehr, ſonſt wollte ich deinen Grabhuͤgel damit beſtreuen: aber wenn die erſten Veilchen bluͤhen, will ich ſie auf deine Gruft ſtreuen, vielleicht ſchwebt dein Geiſt un- ſichtbar einher, und liſpelt im lauen Weſt, Ruhe und Troſt in meine Seele. Und ſollte der Juͤng- ling kommen, der das Maͤdchen liebte, ſollte er den Ueberreſt ſeines ſchwachen Koͤrpers wankend zu ihrem Grabhuͤgel ſchleppen, ſo will ich mich entfernen, denn das Grab gehoͤrt ihm, iſt ein Stuͤk von ſeinem Herzen; ich will den Lauf ſeiner Traͤnen nicht aufhalten, denn ſie machen
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Hier endete der junge Mann, ſein Herz
ſchien erleichtert, und gab ihm Traͤnen. Wie
konnt ich kalt hineinblikken in ſeinen Schmerz?
meine Traͤnen miſchten ſich mit den ſeinigen;
ich umarmte ihn feurig, druͤkte ſeine Rechte, und
verließ ihn — Aber der Gedanke ſtand ſo feſt
in meiner Seele, unerſchuͤttert ſtand er da, zu
wallfahrten zum Huͤgel der Vollendeten, und
ihren Aſchenkrug mit meinen Traͤnen zu nezzen.
Jch bin dir das Opfer ſchuldig, theures Maͤd-
chen! mag dich der verdammen, der kalt und
fuͤhllos ſeinen Weg fortſchlendert; der Garten
und das Feld hat keine Blume mehr, ſonſt wollte
ich deinen Grabhuͤgel damit beſtreuen: aber wenn
die erſten Veilchen bluͤhen, will ich ſie auf deine
Gruft ſtreuen, vielleicht ſchwebt dein Geiſt un-
ſichtbar einher, und liſpelt im lauen Weſt, Ruhe
und Troſt in meine Seele. Und ſollte der Juͤng-
ling kommen, der das Maͤdchen liebte, ſollte er
den Ueberreſt ſeines ſchwachen Koͤrpers wankend
zu ihrem Grabhuͤgel ſchleppen, ſo will ich mich
entfernen, denn das Grab gehoͤrt ihm, iſt
ein Stuͤk von ſeinem Herzen; ich will den Lauf
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/121>, abgerufen am 21.11.2024.
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