ken, daß er vor Fehlern warnt, wenn er selbst auch nicht stark genug ist, diese Fehler zu ver¬ meiden, und es würde unbillig seyn, ihn des¬ falls für einen Heuchler zu halten (obgleich es eben so unbillig wäre, ohne Beweis vorauszu¬ setzen, er thue das Gegentheil von dem, was er lehrt, oder man müsse seine Worte anders aus¬ legen, als sie lauten.) Von der andern Seite soll man auch nicht die Grundsätze, die ein Schriftsteller den Personen seiner eigenen Schö¬ pfung in den Mund legt, als seine eigenen an¬ sehn, noch einen Mann deswegen für einen Bö¬ sewicht, oder Faun, oder Menschenhasser hal¬ ten, weil seine üppige Phantasie, sein Feuer ihn verleitet, irgend einen boshaften Character von einer glänzenden Seite darzustellen, oder eine wollüstige Scene mit lebhaften Farben zu schildern, oder mit Bitterkeit über Thorheiten zu spotten. Wohl thäte er besser, wenn er das un¬ terliesse, aber er ist darum noch kein schlechter Mann, und so wie man bey hungrigem Magen Götter-Malzeiten schildern kann; so kenne ich Dichter, die Wein und materielle Liebe besin¬ gen, und dennoch die mäßigsten, keuschesten Menschen sind; kenne Schriftsteller, die Greuel
von
ken, daß er vor Fehlern warnt, wenn er ſelbſt auch nicht ſtark genug iſt, dieſe Fehler zu ver¬ meiden, und es wuͤrde unbillig ſeyn, ihn des¬ falls fuͤr einen Heuchler zu halten (obgleich es eben ſo unbillig waͤre, ohne Beweis vorauszu¬ ſetzen, er thue das Gegentheil von dem, was er lehrt, oder man muͤſſe ſeine Worte anders aus¬ legen, als ſie lauten.) Von der andern Seite ſoll man auch nicht die Grundſaͤtze, die ein Schriftſteller den Perſonen ſeiner eigenen Schoͤ¬ pfung in den Mund legt, als ſeine eigenen an¬ ſehn, noch einen Mann deswegen fuͤr einen Boͤ¬ ſewicht, oder Faun, oder Menſchenhaſſer hal¬ ten, weil ſeine uͤppige Phantaſie, ſein Feuer ihn verleitet, irgend einen boshaften Character von einer glaͤnzenden Seite darzuſtellen, oder eine wolluͤſtige Scene mit lebhaften Farben zu ſchildern, oder mit Bitterkeit uͤber Thorheiten zu ſpotten. Wohl thaͤte er beſſer, wenn er das un¬ terlieſſe, aber er iſt darum noch kein ſchlechter Mann, und ſo wie man bey hungrigem Magen Goͤtter-Malzeiten ſchildern kann; ſo kenne ich Dichter, die Wein und materielle Liebe beſin¬ gen, und dennoch die maͤßigſten, keuſcheſten Menſchen ſind; kenne Schriftſteller, die Greuel
von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0092"n="70"/>
ken, daß er vor Fehlern warnt, wenn er ſelbſt<lb/>
auch nicht ſtark genug iſt, dieſe Fehler zu ver¬<lb/>
meiden, und es wuͤrde unbillig ſeyn, ihn des¬<lb/>
falls fuͤr einen Heuchler zu halten (obgleich es<lb/>
eben ſo unbillig waͤre, ohne Beweis vorauszu¬<lb/>ſetzen, er thue das Gegentheil von dem, was er<lb/>
lehrt, oder man muͤſſe ſeine Worte anders aus¬<lb/>
legen, als ſie lauten.) Von der andern Seite<lb/>ſoll man auch nicht die Grundſaͤtze, die ein<lb/>
Schriftſteller den Perſonen ſeiner eigenen Schoͤ¬<lb/>
pfung in den Mund legt, als ſeine eigenen an¬<lb/>ſehn, noch einen Mann deswegen fuͤr einen Boͤ¬<lb/>ſewicht, oder Faun, oder Menſchenhaſſer hal¬<lb/>
ten, weil ſeine uͤppige Phantaſie, ſein Feuer<lb/>
ihn verleitet, irgend einen boshaften Character<lb/>
von einer glaͤnzenden Seite darzuſtellen, oder<lb/>
eine wolluͤſtige Scene mit lebhaften Farben zu<lb/>ſchildern, oder mit Bitterkeit uͤber Thorheiten zu<lb/>ſpotten. Wohl thaͤte er beſſer, wenn er das un¬<lb/>
terlieſſe, aber er iſt darum noch kein ſchlechter<lb/>
Mann, und ſo wie man bey hungrigem Magen<lb/>
Goͤtter-Malzeiten ſchildern kann; ſo kenne ich<lb/>
Dichter, die Wein und materielle Liebe beſin¬<lb/>
gen, und dennoch die maͤßigſten, keuſcheſten<lb/>
Menſchen ſind; kenne Schriftſteller, die Greuel<lb/><fwplace="bottom"type="catch">von<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[70/0092]
ken, daß er vor Fehlern warnt, wenn er ſelbſt
auch nicht ſtark genug iſt, dieſe Fehler zu ver¬
meiden, und es wuͤrde unbillig ſeyn, ihn des¬
falls fuͤr einen Heuchler zu halten (obgleich es
eben ſo unbillig waͤre, ohne Beweis vorauszu¬
ſetzen, er thue das Gegentheil von dem, was er
lehrt, oder man muͤſſe ſeine Worte anders aus¬
legen, als ſie lauten.) Von der andern Seite
ſoll man auch nicht die Grundſaͤtze, die ein
Schriftſteller den Perſonen ſeiner eigenen Schoͤ¬
pfung in den Mund legt, als ſeine eigenen an¬
ſehn, noch einen Mann deswegen fuͤr einen Boͤ¬
ſewicht, oder Faun, oder Menſchenhaſſer hal¬
ten, weil ſeine uͤppige Phantaſie, ſein Feuer
ihn verleitet, irgend einen boshaften Character
von einer glaͤnzenden Seite darzuſtellen, oder
eine wolluͤſtige Scene mit lebhaften Farben zu
ſchildern, oder mit Bitterkeit uͤber Thorheiten zu
ſpotten. Wohl thaͤte er beſſer, wenn er das un¬
terlieſſe, aber er iſt darum noch kein ſchlechter
Mann, und ſo wie man bey hungrigem Magen
Goͤtter-Malzeiten ſchildern kann; ſo kenne ich
Dichter, die Wein und materielle Liebe beſin¬
gen, und dennoch die maͤßigſten, keuſcheſten
Menſchen ſind; kenne Schriftſteller, die Greuel
von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/92>, abgerufen am 30.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.