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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

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dieser Wahrheit zu folgen -- das ist ein Glück,
dessen Genuß nicht nach Regeln gelernt zu wer¬
den braucht. Wenn aber heut zu Tage jeder
elende Verseschmidt, Compilator, Journalist,
Anecdoten-Jäger, Uebersetzer, Plünderer frem¬
der literarischen Güter, und überhaupt Jeder,
der die unbegreifliche Nachsicht unsers Publi¬
cums misbraucht, um ganze Bände voll Unsinn,
Thorheit und Wiederholung längst besser gesag¬
ter Dinge drucken zu lassen, sich selber einen Ge¬
lehrten nennt; wenn die Wissenschaften nicht
nach dem Grade ihrer Nützlichkeit für die Welt,
sondern nach dem veränderlichen, leichtfertigen
Geschmacke des lesenden Pöbels geschätzt, spe¬
culative Grillen Weisheit genannt werden, fie¬
berhafte Phantasie für Schwung und Begeiste¬
rung gilt; wenn ein Knabe, der sein rauhes
Gewäsche in abwechselnd kurzen und langen Zei¬
len in einen Musen-Almanach einrücken lässt,
ein Dichter heisst; wenn der Mensch, der mit
seinen Fingern ein Gewühl von falschen Tönen,
ohne Verbindung und Ausdruck, den Saiten
entlockt, ein Tonkünstler, Der, welcher schwarze
Puncte, in Abschnitte eingetheilt, auf Papier
setzen kann, ein Componist, Der, welcher auf

Bret¬

dieſer Wahrheit zu folgen — das iſt ein Gluͤck,
deſſen Genuß nicht nach Regeln gelernt zu wer¬
den braucht. Wenn aber heut zu Tage jeder
elende Verſeſchmidt, Compilator, Journaliſt,
Anecdoten-Jaͤger, Ueberſetzer, Pluͤnderer frem¬
der literariſchen Guͤter, und uͤberhaupt Jeder,
der die unbegreifliche Nachſicht unſers Publi¬
cums misbraucht, um ganze Baͤnde voll Unſinn,
Thorheit und Wiederholung laͤngſt beſſer geſag¬
ter Dinge drucken zu laſſen, ſich ſelber einen Ge¬
lehrten nennt; wenn die Wiſſenſchaften nicht
nach dem Grade ihrer Nuͤtzlichkeit fuͤr die Welt,
ſondern nach dem veraͤnderlichen, leichtfertigen
Geſchmacke des leſenden Poͤbels geſchaͤtzt, ſpe¬
culative Grillen Weisheit genannt werden, fie¬
berhafte Phantaſie fuͤr Schwung und Begeiſte¬
rung gilt; wenn ein Knabe, der ſein rauhes
Gewaͤſche in abwechſelnd kurzen und langen Zei¬
len in einen Muſen-Almanach einruͤcken laͤſſt,
ein Dichter heiſſt; wenn der Menſch, der mit
ſeinen Fingern ein Gewuͤhl von falſchen Toͤnen,
ohne Verbindung und Ausdruck, den Saiten
entlockt, ein Tonkuͤnſtler, Der, welcher ſchwarze
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[68/0090] dieſer Wahrheit zu folgen — das iſt ein Gluͤck, deſſen Genuß nicht nach Regeln gelernt zu wer¬ den braucht. Wenn aber heut zu Tage jeder elende Verſeſchmidt, Compilator, Journaliſt, Anecdoten-Jaͤger, Ueberſetzer, Pluͤnderer frem¬ der literariſchen Guͤter, und uͤberhaupt Jeder, der die unbegreifliche Nachſicht unſers Publi¬ cums misbraucht, um ganze Baͤnde voll Unſinn, Thorheit und Wiederholung laͤngſt beſſer geſag¬ ter Dinge drucken zu laſſen, ſich ſelber einen Ge¬ lehrten nennt; wenn die Wiſſenſchaften nicht nach dem Grade ihrer Nuͤtzlichkeit fuͤr die Welt, ſondern nach dem veraͤnderlichen, leichtfertigen Geſchmacke des leſenden Poͤbels geſchaͤtzt, ſpe¬ culative Grillen Weisheit genannt werden, fie¬ berhafte Phantaſie fuͤr Schwung und Begeiſte¬ rung gilt; wenn ein Knabe, der ſein rauhes Gewaͤſche in abwechſelnd kurzen und langen Zei¬ len in einen Muſen-Almanach einruͤcken laͤſſt, ein Dichter heiſſt; wenn der Menſch, der mit ſeinen Fingern ein Gewuͤhl von falſchen Toͤnen, ohne Verbindung und Ausdruck, den Saiten entlockt, ein Tonkuͤnſtler, Der, welcher ſchwarze Puncte, in Abſchnitte eingetheilt, auf Papier ſetzen kann, ein Componiſt, Der, welcher auf Bret¬

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/90>, abgerufen am 25.04.2024.