ben, man nie den Faden der herrschenden Conver¬ sation aus der Hand verliehren, nie versäumen darf, auch in den kleinsten Fortschritten, der Cul¬ tur -- wenn man das Cultur nennen muß -- nach¬ zufolgen. Das ist aber, bey der unbeschreiblichen Veränderlichkeit des Geschmacks und der Phan¬ tasie ohnmöglich, sobald man nicht immer mit der ganzen Flotte auf dem großen Weltmeere herum¬ schwimmt. Es geschieht dann, daß wir sehr böser Laune werden, wenn wir sehen, daß man uns ver¬ nachlässigt, daß jüngere, oft sehr unbedeutende Menschen jetzt die Coriphäen sind, daß Diese und deren Bewunderer uns über die Achsel ansehen, uns nur aus nachsichtiger Höflichkeit einige Auf¬ merksamkeit beweisen -- O! es ist unglaublich, wie so etwas die Gemüthsruhe, auch des klugen Mannes (denn selbst kluge Leute sind nicht im¬ mer ganz von Eitelkeit frey) erschüttern, wie es verstimmen und bewürken kann, daß man sich in recht unangenehmer Haltung zeigt und, wenn man etwas zu suchen hat, die Frucht einer weiten Reise und große Unkosten verliehrt, da hingegen unser Witz, unsre Laune unaufhaltsam und bezaubernd fortströhmen, wo wir uns ge¬ ehrt, geliebt und mit Aufmerksamkeit behandelt
wis¬
(Zweiter Th.) D
ben, man nie den Faden der herrſchenden Conver¬ ſation aus der Hand verliehren, nie verſaͤumen darf, auch in den kleinſten Fortſchritten, der Cul¬ tur — wenn man das Cultur nennen muß — nach¬ zufolgen. Das iſt aber, bey der unbeſchreiblichen Veraͤnderlichkeit des Geſchmacks und der Phan¬ taſie ohnmoͤglich, ſobald man nicht immer mit der ganzen Flotte auf dem großen Weltmeere herum¬ ſchwimmt. Es geſchieht dann, daß wir ſehr boͤſer Laune werden, wenn wir ſehen, daß man uns ver¬ nachlaͤſſigt, daß juͤngere, oft ſehr unbedeutende Menſchen jetzt die Coriphaͤen ſind, daß Dieſe und deren Bewunderer uns uͤber die Achſel anſehen, uns nur aus nachſichtiger Hoͤflichkeit einige Auf¬ merkſamkeit beweiſen — O! es iſt unglaublich, wie ſo etwas die Gemuͤthsruhe, auch des klugen Mannes (denn ſelbſt kluge Leute ſind nicht im¬ mer ganz von Eitelkeit frey) erſchuͤttern, wie es verſtimmen und bewuͤrken kann, daß man ſich in recht unangenehmer Haltung zeigt und, wenn man etwas zu ſuchen hat, die Frucht einer weiten Reiſe und große Unkoſten verliehrt, da hingegen unſer Witz, unſre Laune unaufhaltſam und bezaubernd fortſtroͤhmen, wo wir uns ge¬ ehrt, geliebt und mit Aufmerkſamkeit behandelt
wiſ¬
(Zweiter Th.) D
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0071"n="49"/>
ben, man nie den Faden der herrſchenden Conver¬<lb/>ſation aus der Hand verliehren, nie verſaͤumen<lb/>
darf, auch in den kleinſten Fortſchritten, der Cul¬<lb/>
tur — wenn man das Cultur nennen muß — nach¬<lb/>
zufolgen. Das iſt aber, bey der unbeſchreiblichen<lb/>
Veraͤnderlichkeit des Geſchmacks und der Phan¬<lb/>
taſie ohnmoͤglich, ſobald man nicht immer mit der<lb/>
ganzen Flotte auf dem großen Weltmeere herum¬<lb/>ſchwimmt. Es geſchieht dann, daß wir ſehr boͤſer<lb/>
Laune werden, wenn wir ſehen, daß man uns ver¬<lb/>
nachlaͤſſigt, daß juͤngere, oft ſehr unbedeutende<lb/>
Menſchen jetzt die Coriphaͤen ſind, daß Dieſe und<lb/>
deren Bewunderer uns uͤber die Achſel anſehen,<lb/>
uns nur aus nachſichtiger Hoͤflichkeit einige Auf¬<lb/>
merkſamkeit beweiſen — O! es iſt unglaublich,<lb/>
wie ſo etwas die Gemuͤthsruhe, auch des klugen<lb/>
Mannes (denn ſelbſt kluge Leute ſind nicht im¬<lb/>
mer ganz von Eitelkeit frey) erſchuͤttern, wie<lb/>
es verſtimmen und bewuͤrken kann, daß man<lb/>ſich in recht unangenehmer Haltung zeigt und,<lb/>
wenn man etwas zu ſuchen hat, die Frucht einer<lb/>
weiten Reiſe und große Unkoſten verliehrt, da<lb/>
hingegen unſer Witz, unſre Laune unaufhaltſam<lb/>
und bezaubernd fortſtroͤhmen, wo wir uns ge¬<lb/>
ehrt, geliebt und mit Aufmerkſamkeit behandelt<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wiſ¬<lb/></fw><fwplace="bottom"type="sig">(Zweiter Th.) D<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[49/0071]
ben, man nie den Faden der herrſchenden Conver¬
ſation aus der Hand verliehren, nie verſaͤumen
darf, auch in den kleinſten Fortſchritten, der Cul¬
tur — wenn man das Cultur nennen muß — nach¬
zufolgen. Das iſt aber, bey der unbeſchreiblichen
Veraͤnderlichkeit des Geſchmacks und der Phan¬
taſie ohnmoͤglich, ſobald man nicht immer mit der
ganzen Flotte auf dem großen Weltmeere herum¬
ſchwimmt. Es geſchieht dann, daß wir ſehr boͤſer
Laune werden, wenn wir ſehen, daß man uns ver¬
nachlaͤſſigt, daß juͤngere, oft ſehr unbedeutende
Menſchen jetzt die Coriphaͤen ſind, daß Dieſe und
deren Bewunderer uns uͤber die Achſel anſehen,
uns nur aus nachſichtiger Hoͤflichkeit einige Auf¬
merkſamkeit beweiſen — O! es iſt unglaublich,
wie ſo etwas die Gemuͤthsruhe, auch des klugen
Mannes (denn ſelbſt kluge Leute ſind nicht im¬
mer ganz von Eitelkeit frey) erſchuͤttern, wie
es verſtimmen und bewuͤrken kann, daß man
ſich in recht unangenehmer Haltung zeigt und,
wenn man etwas zu ſuchen hat, die Frucht einer
weiten Reiſe und große Unkoſten verliehrt, da
hingegen unſer Witz, unſre Laune unaufhaltſam
und bezaubernd fortſtroͤhmen, wo wir uns ge¬
ehrt, geliebt und mit Aufmerkſamkeit behandelt
wiſ¬
(Zweiter Th.) D
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/71>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.