Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

len, etwas drucken lässt, das nicht grade die
Quintessenz von Weisheit, Witz, Scharfsinn
und Gelehrsamkeit enthält. Es ist überhaupt
sehr viel schwerer als man glauben sollte, seine
eigenen Producte zu beurtheilen; Nicht nur
weil unsre Eitelkeit da in das Spiel kömmt;
sondern auch weil die Objecte, über deren Be¬
obachtung wir lange gebrütet, für uns, eben
durch das Nachdenken, welches wir darauf ver¬
wendet, einen solchen Werth bekommen haben
können, daß wir unsre Gedanken darüber für
äusserst wichtig halten, indeß einem Andern,
was wir auch davon sagen mögen unwichtig und
gemein vorkömmt. Und haben wir etwa gar
Sprache und Beredsamkeit nicht in unsrer Ge¬
walt; oder sind verstimmt zu der Zeit, wenn
wir unsre Gedanken zu Papier bringen wollen;
oder vergessen, daß der Gegenstand, über wel¬
chen wir schreiben, nur durch kleine specielle Be¬
ziehungen auf unsre dermalige Lage, die sich
nicht mit übertragen lassen, uns am Herzen
liegt; oder dies Herz ist zu voll, um, was es
empfindet, nach der Reyhe hererzählen zu kön¬
nen; so geschieht es, daß wir etwas schreiben,
welches uns, die wir alle Neben-Begriffe daran

knü¬
U 3

len, etwas drucken laͤſſt, das nicht grade die
Quinteſſenz von Weisheit, Witz, Scharfſinn
und Gelehrſamkeit enthaͤlt. Es iſt uͤberhaupt
ſehr viel ſchwerer als man glauben ſollte, ſeine
eigenen Producte zu beurtheilen; Nicht nur
weil unſre Eitelkeit da in das Spiel koͤmmt;
ſondern auch weil die Objecte, uͤber deren Be¬
obachtung wir lange gebruͤtet, fuͤr uns, eben
durch das Nachdenken, welches wir darauf ver¬
wendet, einen ſolchen Werth bekommen haben
koͤnnen, daß wir unſre Gedanken daruͤber fuͤr
aͤuſſerſt wichtig halten, indeß einem Andern,
was wir auch davon ſagen moͤgen unwichtig und
gemein vorkoͤmmt. Und haben wir etwa gar
Sprache und Beredſamkeit nicht in unſrer Ge¬
walt; oder ſind verſtimmt zu der Zeit, wenn
wir unſre Gedanken zu Papier bringen wollen;
oder vergeſſen, daß der Gegenſtand, uͤber wel¬
chen wir ſchreiben, nur durch kleine ſpecielle Be¬
ziehungen auf unſre dermalige Lage, die ſich
nicht mit uͤbertragen laſſen, uns am Herzen
liegt; oder dies Herz iſt zu voll, um, was es
empfindet, nach der Reyhe hererzaͤhlen zu koͤn¬
nen; ſo geſchieht es, daß wir etwas ſchreiben,
welches uns, die wir alle Neben-Begriffe daran

knuͤ¬
U 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0331" n="309"/>
len, etwas drucken la&#x0364;&#x017F;&#x017F;t, das nicht grade die<lb/>
Quinte&#x017F;&#x017F;enz von Weisheit, Witz, Scharf&#x017F;inn<lb/>
und Gelehr&#x017F;amkeit entha&#x0364;lt. Es i&#x017F;t u&#x0364;berhaupt<lb/>
&#x017F;ehr viel &#x017F;chwerer als man glauben &#x017F;ollte, &#x017F;eine<lb/>
eigenen Producte zu beurtheilen; Nicht nur<lb/>
weil un&#x017F;re Eitelkeit da in das Spiel ko&#x0364;mmt;<lb/>
&#x017F;ondern auch weil die Objecte, u&#x0364;ber deren Be¬<lb/>
obachtung wir lange gebru&#x0364;tet, fu&#x0364;r uns, eben<lb/>
durch das Nachdenken, welches wir darauf ver¬<lb/>
wendet, einen &#x017F;olchen Werth bekommen haben<lb/>
ko&#x0364;nnen, daß wir un&#x017F;re Gedanken daru&#x0364;ber fu&#x0364;r<lb/>
a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t wichtig halten, indeß einem Andern,<lb/>
was wir auch davon &#x017F;agen mo&#x0364;gen unwichtig und<lb/>
gemein vorko&#x0364;mmt. Und haben wir etwa gar<lb/>
Sprache und Bered&#x017F;amkeit nicht in un&#x017F;rer Ge¬<lb/>
walt; oder &#x017F;ind ver&#x017F;timmt zu der Zeit, wenn<lb/>
wir un&#x017F;re Gedanken zu Papier bringen wollen;<lb/>
oder verge&#x017F;&#x017F;en, daß der Gegen&#x017F;tand, u&#x0364;ber wel¬<lb/>
chen wir &#x017F;chreiben, nur durch kleine &#x017F;pecielle Be¬<lb/>
ziehungen auf un&#x017F;re dermalige Lage, die &#x017F;ich<lb/>
nicht mit u&#x0364;bertragen la&#x017F;&#x017F;en, uns am Herzen<lb/>
liegt; oder dies Herz i&#x017F;t zu voll, um, was es<lb/>
empfindet, nach der Reyhe hererza&#x0364;hlen zu ko&#x0364;<lb/>
nen; &#x017F;o ge&#x017F;chieht es, daß wir etwas &#x017F;chreiben,<lb/>
welches uns, die wir alle Neben-Begriffe daran<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">knu&#x0364;¬<lb/></fw> <fw place="bottom" type="sig">U 3<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0331] len, etwas drucken laͤſſt, das nicht grade die Quinteſſenz von Weisheit, Witz, Scharfſinn und Gelehrſamkeit enthaͤlt. Es iſt uͤberhaupt ſehr viel ſchwerer als man glauben ſollte, ſeine eigenen Producte zu beurtheilen; Nicht nur weil unſre Eitelkeit da in das Spiel koͤmmt; ſondern auch weil die Objecte, uͤber deren Be¬ obachtung wir lange gebruͤtet, fuͤr uns, eben durch das Nachdenken, welches wir darauf ver¬ wendet, einen ſolchen Werth bekommen haben koͤnnen, daß wir unſre Gedanken daruͤber fuͤr aͤuſſerſt wichtig halten, indeß einem Andern, was wir auch davon ſagen moͤgen unwichtig und gemein vorkoͤmmt. Und haben wir etwa gar Sprache und Beredſamkeit nicht in unſrer Ge¬ walt; oder ſind verſtimmt zu der Zeit, wenn wir unſre Gedanken zu Papier bringen wollen; oder vergeſſen, daß der Gegenſtand, uͤber wel¬ chen wir ſchreiben, nur durch kleine ſpecielle Be¬ ziehungen auf unſre dermalige Lage, die ſich nicht mit uͤbertragen laſſen, uns am Herzen liegt; oder dies Herz iſt zu voll, um, was es empfindet, nach der Reyhe hererzaͤhlen zu koͤn¬ nen; ſo geſchieht es, daß wir etwas ſchreiben, welches uns, die wir alle Neben-Begriffe daran knuͤ¬ U 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/331
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/331>, abgerufen am 03.05.2024.