lich an gewisse Cäremonien, Gebräuche und Systeme seyn; so verdient er, wenn er übri¬ gens ein redlicher Mann, ein practischer Christ ist, Duldung, Schonung und Bruderliebe. Allein um desto verachtungswürdiger ist ein Schuft, ein gleisnerischer Bösewicht, der hin¬ ter der Larve der Heiligkeit, Sanftmuth und Religiosität, den wollüstigen Verführer, den tü¬ ckischen Verleumder, Aufrührer, Anhetzer, rach¬ gierigen Bösewicht, oder den fanatischen Ver¬ folger versteckt. Beyde Arten von Leuten sind aber nicht schwer zu unterscheiden. Der fromme Edle ist grade, offen, still und heiter, nicht über¬ trieben höflich, nicht übertrieben zuvorkommend, noch übertrieben demüthig, aber liebevoll, einfach und zutraulich in seinem Betragen. Er ist nach¬ sichtig, milde und duldend, redet auch nicht viel, ausser mit vertraueten Freunden, über religiose Gegenstände; der Heuchler hingegen pflegt süß, kriechend, schmeichelnd, immer auf seiner Hut, ein Sclave der Großen, ein Anhänger der herr¬ schenden Parthey, ein Freund der Glücklichen, nie ein Vertheydiger der Verlassenen zu seyn. Er führt Rechtschaffenheit und Religion ohne Unterlaß im Munde, giebt seine reichen Almo¬
sen
lich an gewiſſe Caͤremonien, Gebraͤuche und Syſteme ſeyn; ſo verdient er, wenn er uͤbri¬ gens ein redlicher Mann, ein practiſcher Chriſt iſt, Duldung, Schonung und Bruderliebe. Allein um deſto verachtungswuͤrdiger iſt ein Schuft, ein gleisneriſcher Boͤſewicht, der hin¬ ter der Larve der Heiligkeit, Sanftmuth und Religioſitaͤt, den wolluͤſtigen Verfuͤhrer, den tuͤ¬ ckiſchen Verleumder, Aufruͤhrer, Anhetzer, rach¬ gierigen Boͤſewicht, oder den fanatiſchen Ver¬ folger verſteckt. Beyde Arten von Leuten ſind aber nicht ſchwer zu unterſcheiden. Der fromme Edle iſt grade, offen, ſtill und heiter, nicht uͤber¬ trieben hoͤflich, nicht uͤbertrieben zuvorkommend, noch uͤbertrieben demuͤthig, aber liebevoll, einfach und zutraulich in ſeinem Betragen. Er iſt nach¬ ſichtig, milde und duldend, redet auch nicht viel, auſſer mit vertraueten Freunden, uͤber religioſe Gegenſtaͤnde; der Heuchler hingegen pflegt ſuͤß, kriechend, ſchmeichelnd, immer auf ſeiner Hut, ein Sclave der Großen, ein Anhaͤnger der herr¬ ſchenden Parthey, ein Freund der Gluͤcklichen, nie ein Vertheydiger der Verlaſſenen zu ſeyn. Er fuͤhrt Rechtſchaffenheit und Religion ohne Unterlaß im Munde, giebt ſeine reichen Almo¬
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lich an gewiſſe Caͤremonien, Gebraͤuche und
Syſteme ſeyn; ſo verdient er, wenn er uͤbri¬
gens ein redlicher Mann, ein practiſcher Chriſt
iſt, Duldung, Schonung und Bruderliebe.
Allein um deſto verachtungswuͤrdiger iſt ein
Schuft, ein gleisneriſcher Boͤſewicht, der hin¬
ter der Larve der Heiligkeit, Sanftmuth und
Religioſitaͤt, den wolluͤſtigen Verfuͤhrer, den tuͤ¬
ckiſchen Verleumder, Aufruͤhrer, Anhetzer, rach¬
gierigen Boͤſewicht, oder den fanatiſchen Ver¬
folger verſteckt. Beyde Arten von Leuten ſind
aber nicht ſchwer zu unterſcheiden. Der fromme
Edle iſt grade, offen, ſtill und heiter, nicht uͤber¬
trieben hoͤflich, nicht uͤbertrieben zuvorkommend,
noch uͤbertrieben demuͤthig, aber liebevoll, einfach
und zutraulich in ſeinem Betragen. Er iſt nach¬
ſichtig, milde und duldend, redet auch nicht viel,
auſſer mit vertraueten Freunden, uͤber religioſe
Gegenſtaͤnde; der Heuchler hingegen pflegt ſuͤß,
kriechend, ſchmeichelnd, immer auf ſeiner Hut,
ein Sclave der Großen, ein Anhaͤnger der herr¬
ſchenden Parthey, ein Freund der Gluͤcklichen,
nie ein Vertheydiger der Verlaſſenen zu ſeyn.
Er fuͤhrt Rechtſchaffenheit und Religion ohne
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/286>, abgerufen am 24.11.2024.
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