zen, bis er Gelegenheit findet, ihm vollen Lauf zu lassen. Er vergisst nicht, vergiebt nicht, auch dann nicht, wenn man ihm Versöhnung anbie¬ thet, wenn man alles, nur keine niederträchtige Mittel anwendet, seine Gunst wieder zu erlan¬ gen. Er erwiedert sowohl daß ihm zugefügte wahre, als vermeindliche Uebel, und dies nicht nach Verhältniß der Größe und Wichtigkeit des¬ selben, sondern tausendfältig; für kleine Necke¬ reyen, würkliche Verfolgung; für unüberlegte Ausdrücke, in Uebereilung geredet, thätige Ra¬ che; für eine Kränkung unter vier Augen, öf¬ fentliche Genugthuung; für beleidigten Ehrgeiz, Zerstöhrung reeller Glückseligkeit. Seine Rache schränkt sich nicht auf die Person ein, sondern erstreckt sich auch auf die Familie, auf die bür¬ gerliche Existenz und auf die Freunde des Be¬ leidigers. Mit einem solchen Manne leben zu müssen, das ist in Wahrheit eine höchst traurige Lage, und ich kann da nichts rathen, als daß man so viel möglich vermeide, ihn zu beleidi¬ gen, und zugleich sich in eine Art von ehrerbie¬ thiger Furcht bey ihm setze, die überhaupt das einzige würksame Mittel ist, schlechte Subjecte im Zaume zu halten.
11.
O 5
zen, bis er Gelegenheit findet, ihm vollen Lauf zu laſſen. Er vergiſſt nicht, vergiebt nicht, auch dann nicht, wenn man ihm Verſoͤhnung anbie¬ thet, wenn man alles, nur keine niedertraͤchtige Mittel anwendet, ſeine Gunſt wieder zu erlan¬ gen. Er erwiedert ſowohl daß ihm zugefuͤgte wahre, als vermeindliche Uebel, und dies nicht nach Verhaͤltniß der Groͤße und Wichtigkeit deſ¬ ſelben, ſondern tauſendfaͤltig; fuͤr kleine Necke¬ reyen, wuͤrkliche Verfolgung; fuͤr unuͤberlegte Ausdruͤcke, in Uebereilung geredet, thaͤtige Ra¬ che; fuͤr eine Kraͤnkung unter vier Augen, oͤf¬ fentliche Genugthuung; fuͤr beleidigten Ehrgeiz, Zerſtoͤhrung reeller Gluͤckſeligkeit. Seine Rache ſchraͤnkt ſich nicht auf die Perſon ein, ſondern erſtreckt ſich auch auf die Familie, auf die buͤr¬ gerliche Exiſtenz und auf die Freunde des Be¬ leidigers. Mit einem ſolchen Manne leben zu muͤſſen, das iſt in Wahrheit eine hoͤchſt traurige Lage, und ich kann da nichts rathen, als daß man ſo viel moͤglich vermeide, ihn zu beleidi¬ gen, und zugleich ſich in eine Art von ehrerbie¬ thiger Furcht bey ihm ſetze, die uͤberhaupt das einzige wuͤrkſame Mittel iſt, ſchlechte Subjecte im Zaume zu halten.
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zen, bis er Gelegenheit findet, ihm vollen Lauf
zu laſſen. Er vergiſſt nicht, vergiebt nicht, auch
dann nicht, wenn man ihm Verſoͤhnung anbie¬
thet, wenn man alles, nur keine niedertraͤchtige
Mittel anwendet, ſeine Gunſt wieder zu erlan¬
gen. Er erwiedert ſowohl daß ihm zugefuͤgte
wahre, als vermeindliche Uebel, und dies nicht
nach Verhaͤltniß der Groͤße und Wichtigkeit deſ¬
ſelben, ſondern tauſendfaͤltig; fuͤr kleine Necke¬
reyen, wuͤrkliche Verfolgung; fuͤr unuͤberlegte
Ausdruͤcke, in Uebereilung geredet, thaͤtige Ra¬
che; fuͤr eine Kraͤnkung unter vier Augen, oͤf¬
fentliche Genugthuung; fuͤr beleidigten Ehrgeiz,
Zerſtoͤhrung reeller Gluͤckſeligkeit. Seine Rache
ſchraͤnkt ſich nicht auf die Perſon ein, ſondern
erſtreckt ſich auch auf die Familie, auf die buͤr¬
gerliche Exiſtenz und auf die Freunde des Be¬
leidigers. Mit einem ſolchen Manne leben zu
muͤſſen, das iſt in Wahrheit eine hoͤchſt traurige
Lage, und ich kann da nichts rathen, als daß
man ſo viel moͤglich vermeide, ihn zu beleidi¬
gen, und zugleich ſich in eine Art von ehrerbie¬
thiger Furcht bey ihm ſetze, die uͤberhaupt das
einzige wuͤrkſame Mittel iſt, ſchlechte Subjecte
im Zaume zu halten.
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/239>, abgerufen am 21.11.2024.
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