der bessern Ueberzeugung zum Schweigen zu bringen verstehen, und wie es dann nur auf ei¬ nen kleinen Schritt ankömmt, um das Opfer der feinsten Täuschung, und stufenweise, ohn¬ merklich in das schrecklichste Labyrinth gelockt zu werden; wenn man bedenken wollte, wie oft Mismuth, oder Verzweiflung über ein feindse¬ liges Schicksal, aus einem Menschen von den besten Anlagen einen Bösewicht und Verbrecher machen, wie ungerechtes, schändliches Mis¬ trauen ihn verleiten kann, das zu werden, wofür man ihn doch einmal hält; wenn man dann demüthig auf seine Brust schlüge, und ge¬ stünde, daß mehrentheils nichts als das Zusam¬ mentreffen der nemlichen innern und äussern Umstände, wodurch Jene gefallen sind, erfor¬ dert worden wäre, um aus uns zu machen, was sie sind -- o! so würden wir nicht so strenge richten, würden nicht so zuversichtlich pochen auf unsre Tugenden, die nicht selten nur das Spiel des Temperaments, das Werk des Zufalls sind, würden uns der Gefallenen annehmen, und dem Strauchelnden liebevoll die Hand reichen -- Aber heisst das nicht tauben Ohren predigen? -- Doch mein Herz drängt mich, über diesen
Ge¬
der beſſern Ueberzeugung zum Schweigen zu bringen verſtehen, und wie es dann nur auf ei¬ nen kleinen Schritt ankoͤmmt, um das Opfer der feinſten Taͤuſchung, und ſtufenweiſe, ohn¬ merklich in das ſchrecklichſte Labyrinth gelockt zu werden; wenn man bedenken wollte, wie oft Mismuth, oder Verzweiflung uͤber ein feindſe¬ liges Schickſal, aus einem Menſchen von den beſten Anlagen einen Boͤſewicht und Verbrecher machen, wie ungerechtes, ſchaͤndliches Mis¬ trauen ihn verleiten kann, das zu werden, wofuͤr man ihn doch einmal haͤlt; wenn man dann demuͤthig auf ſeine Bruſt ſchluͤge, und ge¬ ſtuͤnde, daß mehrentheils nichts als das Zuſam¬ mentreffen der nemlichen innern und aͤuſſern Umſtaͤnde, wodurch Jene gefallen ſind, erfor¬ dert worden waͤre, um aus uns zu machen, was ſie ſind — o! ſo wuͤrden wir nicht ſo ſtrenge richten, wuͤrden nicht ſo zuverſichtlich pochen auf unſre Tugenden, die nicht ſelten nur das Spiel des Temperaments, das Werk des Zufalls ſind, wuͤrden uns der Gefallenen annehmen, und dem Strauchelnden liebevoll die Hand reichen — Aber heiſſt das nicht tauben Ohren predigen? — Doch mein Herz draͤngt mich, uͤber dieſen
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der beſſern Ueberzeugung zum Schweigen zu
bringen verſtehen, und wie es dann nur auf ei¬
nen kleinen Schritt ankoͤmmt, um das Opfer
der feinſten Taͤuſchung, und ſtufenweiſe, ohn¬
merklich in das ſchrecklichſte Labyrinth gelockt zu
werden; wenn man bedenken wollte, wie oft
Mismuth, oder Verzweiflung uͤber ein feindſe¬
liges Schickſal, aus einem Menſchen von den
beſten Anlagen einen Boͤſewicht und Verbrecher
machen, wie ungerechtes, ſchaͤndliches Mis¬
trauen ihn verleiten kann, das zu werden,
wofuͤr man ihn doch einmal haͤlt; wenn man
dann demuͤthig auf ſeine Bruſt ſchluͤge, und ge¬
ſtuͤnde, daß mehrentheils nichts als das Zuſam¬
mentreffen der nemlichen innern und aͤuſſern
Umſtaͤnde, wodurch Jene gefallen ſind, erfor¬
dert worden waͤre, um aus uns zu machen,
was ſie ſind — o! ſo wuͤrden wir nicht ſo ſtrenge
richten, wuͤrden nicht ſo zuverſichtlich pochen auf
unſre Tugenden, die nicht ſelten nur das Spiel
des Temperaments, das Werk des Zufalls ſind,
wuͤrden uns der Gefallenen annehmen, und
dem Strauchelnden liebevoll die Hand reichen
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/218>, abgerufen am 21.11.2024.
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