Spitzfündigkeiten einschläfern müssen. Sie an¬ geln nach Geschenken, Erbschaften und Ver¬ mächtnissen, wie der Teufel nach ihrer Seele. Ihr Ehrgeiz ist unermeßlich; ihr geistlicher Stolz, ihr Despotismus, ihre hierarchische Herschsucht ohne Grenzen. Den Eifer für die Religion brauchen sie zum Deckmantel ihrer Leidenschaf¬ ten. Ortodoxie ist die Parole, blinder Glauben und Ehre Gottes das Feldgeschrey, wenn sie den unschuldigen, ruhigen Bürger, der einen Unterschied unter Religion und Theologie macht, die Pfaffen nicht schmeichelt und ihnen nicht opfert, bis in den Tod verfolgen wollen. Ihre Rache ist fürchterlich, unersättlich, ihre Feind¬ schaft unversöhnlich -- ich rede aus Erfahrung -- gegen Den, der sich ihrem eisernen Scepter nicht unterwerfen, oder zu ihren Bosheiten nicht schweigen will. Ihre Eitelkeit ist größer, als die eines Weibes. Sie schleichen sich in die Häuser und Familien ein, aus Vorwitz, kindi¬ scher Neugier, um sich in Händel zu mischen, die sie nichts angehn, um Ränke zu schmieden, Zwietracht zu stiften, und im Trüben zu fischen. Ihre Predigten, ihre Gespräche und Mienen sind Bannstrahlen, Verdammungs-Urtheile und
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Spitzfuͤndigkeiten einſchlaͤfern muͤſſen. Sie an¬ geln nach Geſchenken, Erbſchaften und Ver¬ maͤchtniſſen, wie der Teufel nach ihrer Seele. Ihr Ehrgeiz iſt unermeßlich; ihr geiſtlicher Stolz, ihr Despotismus, ihre hierarchiſche Herſchſucht ohne Grenzen. Den Eifer fuͤr die Religion brauchen ſie zum Deckmantel ihrer Leidenſchaf¬ ten. Ortodoxie iſt die Parole, blinder Glauben und Ehre Gottes das Feldgeſchrey, wenn ſie den unſchuldigen, ruhigen Buͤrger, der einen Unterſchied unter Religion und Theologie macht, die Pfaffen nicht ſchmeichelt und ihnen nicht opfert, bis in den Tod verfolgen wollen. Ihre Rache iſt fuͤrchterlich, unerſaͤttlich, ihre Feind¬ ſchaft unverſoͤhnlich — ich rede aus Erfahrung — gegen Den, der ſich ihrem eiſernen Scepter nicht unterwerfen, oder zu ihren Bosheiten nicht ſchweigen will. Ihre Eitelkeit iſt groͤßer, als die eines Weibes. Sie ſchleichen ſich in die Haͤuſer und Familien ein, aus Vorwitz, kindi¬ ſcher Neugier, um ſich in Haͤndel zu miſchen, die ſie nichts angehn, um Raͤnke zu ſchmieden, Zwietracht zu ſtiften, und im Truͤben zu fiſchen. Ihre Predigten, ihre Geſpraͤche und Mienen ſind Bannſtrahlen, Verdammungs-Urtheile und
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Spitzfuͤndigkeiten einſchlaͤfern muͤſſen. Sie an¬
geln nach Geſchenken, Erbſchaften und Ver¬
maͤchtniſſen, wie der Teufel nach ihrer Seele.
Ihr Ehrgeiz iſt unermeßlich; ihr geiſtlicher Stolz,
ihr Despotismus, ihre hierarchiſche Herſchſucht
ohne Grenzen. Den Eifer fuͤr die Religion
brauchen ſie zum Deckmantel ihrer Leidenſchaf¬
ten. Ortodoxie iſt die Parole, blinder Glauben
und Ehre Gottes das Feldgeſchrey, wenn ſie
den unſchuldigen, ruhigen Buͤrger, der einen
Unterſchied unter Religion und Theologie macht,
die Pfaffen nicht ſchmeichelt und ihnen nicht
opfert, bis in den Tod verfolgen wollen. Ihre
Rache iſt fuͤrchterlich, unerſaͤttlich, ihre Feind¬
ſchaft unverſoͤhnlich — ich rede aus Erfahrung —
gegen Den, der ſich ihrem eiſernen Scepter nicht
unterwerfen, oder zu ihren Bosheiten nicht
ſchweigen will. Ihre Eitelkeit iſt groͤßer, als
die eines Weibes. Sie ſchleichen ſich in die
Haͤuſer und Familien ein, aus Vorwitz, kindi¬
ſcher Neugier, um ſich in Haͤndel zu miſchen,
die ſie nichts angehn, um Raͤnke zu ſchmieden,
Zwietracht zu ſtiften, und im Truͤben zu fiſchen.
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/121>, abgerufen am 03.12.2024.
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