derten, und das hebt dann das Gleichgewicht im Umgange auf, raubt Freyheit, hindert un¬ eingeschränkte Wahl, und wenn auch unter zehnmal nicht einmal der Fall einträte, daß dies uns in Verlegenheit setzte oder Verdruß zuzöge; so ist es doch weislich gehandelt, dies mögliche Einmal zu vermeiden, und lieber im¬ mer zu geben, Jedem zu dienen, als von An¬ dern Dienste oder sonst etwas anzunehmen. Auch giebt es wenig Menschen, die mit guter Art Wohlthaten erzeigen. Versuchet es, meine Freunde! wie Viele unter Euren Bekannten nicht auf einmal, mitten in der fröhlichsten, höf¬ lichsten Gemüthsstimmung, ihr Gesicht in fey¬ erliche Falten ziehen, wenn Ihr Eure Anrede mit den Worten anhebet: "Ich muß eine große "Bitte an Sie wagen; Ich bin in einer er¬ "schrecklichen Verlegenheit."
Um nun fremdes Beystandes entbehren zu können, dazu ist das beste Mittel, wenig Bedürfnisse zu haben, mäßig zu seyn, und be¬ scheidene Wünsche zu nähren; Wer aber von unzähligen Leidenschaften in rastlosem Taumel umhergetrieben wird, bald Ehrenstellen, bald Wucher, bald Erwerb, bald wollüstigen Genuß
ver¬
derten, und das hebt dann das Gleichgewicht im Umgange auf, raubt Freyheit, hindert un¬ eingeſchraͤnkte Wahl, und wenn auch unter zehnmal nicht einmal der Fall eintraͤte, daß dies uns in Verlegenheit ſetzte oder Verdruß zuzoͤge; ſo iſt es doch weislich gehandelt, dies moͤgliche Einmal zu vermeiden, und lieber im¬ mer zu geben, Jedem zu dienen, als von An¬ dern Dienſte oder ſonſt etwas anzunehmen. Auch giebt es wenig Menſchen, die mit guter Art Wohlthaten erzeigen. Verſuchet es, meine Freunde! wie Viele unter Euren Bekannten nicht auf einmal, mitten in der froͤhlichſten, hoͤf¬ lichſten Gemuͤthsſtimmung, ihr Geſicht in fey¬ erliche Falten ziehen, wenn Ihr Eure Anrede mit den Worten anhebet: „Ich muß eine große „Bitte an Sie wagen; Ich bin in einer er¬ „ſchrecklichen Verlegenheit.“
Um nun fremdes Beyſtandes entbehren zu koͤnnen, dazu iſt das beſte Mittel, wenig Beduͤrfniſſe zu haben, maͤßig zu ſeyn, und be¬ ſcheidene Wuͤnſche zu naͤhren; Wer aber von unzaͤhligen Leidenſchaften in raſtloſem Taumel umhergetrieben wird, bald Ehrenſtellen, bald Wucher, bald Erwerb, bald wolluͤſtigen Genuß
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derten, und das hebt dann das Gleichgewicht
im Umgange auf, raubt Freyheit, hindert un¬
eingeſchraͤnkte Wahl, und wenn auch unter
zehnmal nicht einmal der Fall eintraͤte, daß
dies uns in Verlegenheit ſetzte oder Verdruß
zuzoͤge; ſo iſt es doch weislich gehandelt, dies
moͤgliche Einmal zu vermeiden, und lieber im¬
mer zu geben, Jedem zu dienen, als von An¬
dern Dienſte oder ſonſt etwas anzunehmen.
Auch giebt es wenig Menſchen, die mit guter
Art Wohlthaten erzeigen. Verſuchet es, meine
Freunde! wie Viele unter Euren Bekannten
nicht auf einmal, mitten in der froͤhlichſten, hoͤf¬
lichſten Gemuͤthsſtimmung, ihr Geſicht in fey¬
erliche Falten ziehen, wenn Ihr Eure Anrede
mit den Worten anhebet: „Ich muß eine große
„Bitte an Sie wagen; Ich bin in einer er¬
„ſchrecklichen Verlegenheit.“
Um nun fremdes Beyſtandes entbehren
zu koͤnnen, dazu iſt das beſte Mittel, wenig
Beduͤrfniſſe zu haben, maͤßig zu ſeyn, und be¬
ſcheidene Wuͤnſche zu naͤhren; Wer aber von
unzaͤhligen Leidenſchaften in raſtloſem Taumel
umhergetrieben wird, bald Ehrenſtellen, bald
Wucher, bald Erwerb, bald wolluͤſtigen Genuß
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/75>, abgerufen am 28.11.2024.
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