liebt und sucht, muß den Muth haben, bey jedem Gegenstande mit reifer Ueberlegung ver¬ weilen zu können. -- Alle solche weich ge¬ kochte Seelen taugen nicht zur Freundschaft. Man muß das Herz haben, Wahrheit zu sa¬ gen und Wahrheit anzuhören, auch dann, wenn diese Wahrheit hart ist, und unser Inner¬ stes erschüttert. Der Freybrief eines Freun¬ des, dem andern die Wahrheit nicht zu verheh¬ len, berechtigt ihn aber nicht, dies mit Grob¬ heit, mit Ungestüm, mit Zudringlichkeit zu thun, ihn durch lange Predigten zu ermüden und zu erbittern, oder mit ängstlichen Besorg¬ nissen zu erfüllen, wenn, seinem Tempera¬ mente oder den Umständen nach, gar kein Nuz¬ zen davon zu erwarten steht.
12.
Ich habe vorhin gesagt, daß alles, was die Gleichheit unter Freunden aufhebt, der Freundschaft, schädlich sey; Da nun das Ver¬ hältniß zwischen einem Wolthäter und Dem, welcher Wohlthaten empfängt, am wenigsten mit Gleichheit bestehen kann; so scheint es der Zartheit der Gefühle angemessen, zu ver¬
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liebt und ſucht, muß den Muth haben, bey jedem Gegenſtande mit reifer Ueberlegung ver¬ weilen zu koͤnnen. — Alle ſolche weich ge¬ kochte Seelen taugen nicht zur Freundſchaft. Man muß das Herz haben, Wahrheit zu ſa¬ gen und Wahrheit anzuhoͤren, auch dann, wenn dieſe Wahrheit hart iſt, und unſer Inner¬ ſtes erſchuͤttert. Der Freybrief eines Freun¬ des, dem andern die Wahrheit nicht zu verheh¬ len, berechtigt ihn aber nicht, dies mit Grob¬ heit, mit Ungeſtuͤm, mit Zudringlichkeit zu thun, ihn durch lange Predigten zu ermuͤden und zu erbittern, oder mit aͤngſtlichen Beſorg¬ niſſen zu erfuͤllen, wenn, ſeinem Tempera¬ mente oder den Umſtaͤnden nach, gar kein Nuz¬ zen davon zu erwarten ſteht.
12.
Ich habe vorhin geſagt, daß alles, was die Gleichheit unter Freunden aufhebt, der Freundſchaft, ſchaͤdlich ſey; Da nun das Ver¬ haͤltniß zwiſchen einem Wolthaͤter und Dem, welcher Wohlthaten empfaͤngt, am wenigſten mit Gleichheit beſtehen kann; ſo ſcheint es der Zartheit der Gefuͤhle angemeſſen, zu ver¬
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liebt und ſucht, muß den Muth haben, bey
jedem Gegenſtande mit reifer Ueberlegung ver¬
weilen zu koͤnnen. — Alle ſolche weich ge¬
kochte Seelen taugen nicht zur Freundſchaft.
Man muß das Herz haben, Wahrheit zu ſa¬
gen und Wahrheit anzuhoͤren, auch dann,
wenn dieſe Wahrheit hart iſt, und unſer Inner¬
ſtes erſchuͤttert. Der Freybrief eines Freun¬
des, dem andern die Wahrheit nicht zu verheh¬
len, berechtigt ihn aber nicht, dies mit Grob¬
heit, mit Ungeſtuͤm, mit Zudringlichkeit zu
thun, ihn durch lange Predigten zu ermuͤden
und zu erbittern, oder mit aͤngſtlichen Beſorg¬
niſſen zu erfuͤllen, wenn, ſeinem Tempera¬
mente oder den Umſtaͤnden nach, gar kein Nuz¬
zen davon zu erwarten ſteht.
12.
Ich habe vorhin geſagt, daß alles, was
die Gleichheit unter Freunden aufhebt, der
Freundſchaft, ſchaͤdlich ſey; Da nun das Ver¬
haͤltniß zwiſchen einem Wolthaͤter und Dem,
welcher Wohlthaten empfaͤngt, am wenigſten
mit Gleichheit beſtehen kann; ſo ſcheint es der
Zartheit der Gefuͤhle angemeſſen, zu ver¬
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/278>, abgerufen am 28.11.2024.
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