Unsre empfindsamen jungen Herrn schaffen sich nur zu überspannte Begriffe von der Freund¬ schaft. Freylich, wenn wir gänzliche Hinge¬ bung, ohnbedingte Aufopferung, Verläugnung alles eigenen Interesse in höchst critischen Au¬ genblicken, blinde Ergreifung unsrer Parthey gegen eigene bessere Ueberzeugung, sogar Be¬ wunderung unsrer Fehler, Billigung unsrer Thorheiten, Mitwürkung bey unsern leiden¬ schaftlichen Verirrungen -- mit Einem Worte! wenn wir mehr von unsern Freunden fordern, als Billigkeit und Gerechtigkeit von Menschen verlangen darf, die Fleisch und Bein sind, und freyen Willen haben; so werden wir nicht leicht unter tausend Wesen Eins finden, das sich so gänzlich in unsre Arme würfe. Suchen wir aber verständige Menschen, deren Haupt-Grund¬ sätze und Gefühle mit den unsrigen übereinstim¬ men, kleine unmerkliche Verschiedenheiten ab¬ gerechnet; Menschen, die Freude finden an dem, was uns freuet; die uns lieben, ohne von uns bezaubert, das Gute in uns schätzen, ohne blind gegen unsre Schwächen zu seyn; die uns im Unglücke nicht verlassen, uns in guten und redlichen Dingen treu und standhaft bey¬
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Unſre empfindſamen jungen Herrn ſchaffen ſich nur zu uͤberſpannte Begriffe von der Freund¬ ſchaft. Freylich, wenn wir gaͤnzliche Hinge¬ bung, ohnbedingte Aufopferung, Verlaͤugnung alles eigenen Intereſſe in hoͤchſt critiſchen Au¬ genblicken, blinde Ergreifung unſrer Parthey gegen eigene beſſere Ueberzeugung, ſogar Be¬ wunderung unſrer Fehler, Billigung unſrer Thorheiten, Mitwuͤrkung bey unſern leiden¬ ſchaftlichen Verirrungen — mit Einem Worte! wenn wir mehr von unſern Freunden fordern, als Billigkeit und Gerechtigkeit von Menſchen verlangen darf, die Fleiſch und Bein ſind, und freyen Willen haben; ſo werden wir nicht leicht unter tauſend Weſen Eins finden, das ſich ſo gaͤnzlich in unſre Arme wuͤrfe. Suchen wir aber verſtaͤndige Menſchen, deren Haupt-Grund¬ ſaͤtze und Gefuͤhle mit den unſrigen uͤbereinſtim¬ men, kleine unmerkliche Verſchiedenheiten ab¬ gerechnet; Menſchen, die Freude finden an dem, was uns freuet; die uns lieben, ohne von uns bezaubert, das Gute in uns ſchaͤtzen, ohne blind gegen unſre Schwaͤchen zu ſeyn; die uns im Ungluͤcke nicht verlaſſen, uns in guten und redlichen Dingen treu und ſtandhaft bey¬
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Unſre empfindſamen jungen Herrn ſchaffen ſich
nur zu uͤberſpannte Begriffe von der Freund¬
ſchaft. Freylich, wenn wir gaͤnzliche Hinge¬
bung, ohnbedingte Aufopferung, Verlaͤugnung
alles eigenen Intereſſe in hoͤchſt critiſchen Au¬
genblicken, blinde Ergreifung unſrer Parthey
gegen eigene beſſere Ueberzeugung, ſogar Be¬
wunderung unſrer Fehler, Billigung unſrer
Thorheiten, Mitwuͤrkung bey unſern leiden¬
ſchaftlichen Verirrungen — mit Einem Worte!
wenn wir mehr von unſern Freunden fordern,
als Billigkeit und Gerechtigkeit von Menſchen
verlangen darf, die Fleiſch und Bein ſind, und
freyen Willen haben; ſo werden wir nicht leicht
unter tauſend Weſen Eins finden, das ſich ſo
gaͤnzlich in unſre Arme wuͤrfe. Suchen wir
aber verſtaͤndige Menſchen, deren Haupt-Grund¬
ſaͤtze und Gefuͤhle mit den unſrigen uͤbereinſtim¬
men, kleine unmerkliche Verſchiedenheiten ab¬
gerechnet; Menſchen, die Freude finden an
dem, was uns freuet; die uns lieben, ohne
von uns bezaubert, das Gute in uns ſchaͤtzen,
ohne blind gegen unſre Schwaͤchen zu ſeyn; die
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/266>, abgerufen am 24.11.2024.
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