lernen lassen; Es giebt Wissenschaften, die so schlechterdings langwährendes Studium, viel¬ faches Betrachten von verschiedenen Seiten und kälteres Blut erfordern, daß ich glaube, auch das feurigste Genie, der feinste Kopf sollte einem bejahrten Manne, der, selbst bey schwä¬ chern Geistesgaben, Alter und Erfahrung auf seiner Seite hat, in den mehrsten Fällen eini¬ ges Zutrauen, einige Aufmerksamkeit nicht versagen. Und wäre auch nicht von wissen¬ schaftlichen Fächern die Rede; so ist doch wohl im Ganzen unleugbar, daß die Summe man¬ nigfaltiger Erfahrungen, die jeder in der Welt lebende Mann in einer langen Reyhe von Jahren einsammelt, ihn in den Stand setzt, schwankende Ideen zu berichtigen, von ideali¬ schen Grillen zurückzukommen, sich nicht so leicht von Phantasie, warmen Blute und reiz¬ baren Nerven irreführen zu lassen, und die Menschen und die Dinge um ihn her aus ei¬ nem richtigern Gesichtspuncte anzusehn. End¬ lich dünkt es mich so schön, so edel. Dem, wel¬ cher nun nicht lange mehr die Schätze und Freuden dieser Welt schmecken kann, den Rest seines Lebens, in welchem gewöhnlich die Sor¬
gen
lernen laſſen; Es giebt Wiſſenſchaften, die ſo ſchlechterdings langwaͤhrendes Studium, viel¬ faches Betrachten von verſchiedenen Seiten und kaͤlteres Blut erfordern, daß ich glaube, auch das feurigſte Genie, der feinſte Kopf ſollte einem bejahrten Manne, der, ſelbſt bey ſchwaͤ¬ chern Geiſtesgaben, Alter und Erfahrung auf ſeiner Seite hat, in den mehrſten Faͤllen eini¬ ges Zutrauen, einige Aufmerkſamkeit nicht verſagen. Und waͤre auch nicht von wiſſen¬ ſchaftlichen Faͤchern die Rede; ſo iſt doch wohl im Ganzen unleugbar, daß die Summe man¬ nigfaltiger Erfahrungen, die jeder in der Welt lebende Mann in einer langen Reyhe von Jahren einſammelt, ihn in den Stand ſetzt, ſchwankende Ideen zu berichtigen, von ideali¬ ſchen Grillen zuruͤckzukommen, ſich nicht ſo leicht von Phantaſie, warmen Blute und reiz¬ baren Nerven irrefuͤhren zu laſſen, und die Menſchen und die Dinge um ihn her aus ei¬ nem richtigern Geſichtspuncte anzuſehn. End¬ lich duͤnkt es mich ſo ſchoͤn, ſo edel. Dem, wel¬ cher nun nicht lange mehr die Schaͤtze und Freuden dieſer Welt ſchmecken kann, den Reſt ſeines Lebens, in welchem gewoͤhnlich die Sor¬
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lernen laſſen; Es giebt Wiſſenſchaften, die ſo
ſchlechterdings langwaͤhrendes Studium, viel¬
faches Betrachten von verſchiedenen Seiten
und kaͤlteres Blut erfordern, daß ich glaube,
auch das feurigſte Genie, der feinſte Kopf ſollte
einem bejahrten Manne, der, ſelbſt bey ſchwaͤ¬
chern Geiſtesgaben, Alter und Erfahrung auf
ſeiner Seite hat, in den mehrſten Faͤllen eini¬
ges Zutrauen, einige Aufmerkſamkeit nicht
verſagen. Und waͤre auch nicht von wiſſen¬
ſchaftlichen Faͤchern die Rede; ſo iſt doch wohl
im Ganzen unleugbar, daß die Summe man¬
nigfaltiger Erfahrungen, die jeder in der Welt
lebende Mann in einer langen Reyhe von
Jahren einſammelt, ihn in den Stand ſetzt,
ſchwankende Ideen zu berichtigen, von ideali¬
ſchen Grillen zuruͤckzukommen, ſich nicht ſo
leicht von Phantaſie, warmen Blute und reiz¬
baren Nerven irrefuͤhren zu laſſen, und die
Menſchen und die Dinge um ihn her aus ei¬
nem richtigern Geſichtspuncte anzuſehn. End¬
lich duͤnkt es mich ſo ſchoͤn, ſo edel. Dem, wel¬
cher nun nicht lange mehr die Schaͤtze und
Freuden dieſer Welt ſchmecken kann, den Reſt
ſeines Lebens, in welchem gewoͤhnlich die Sor¬
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/126>, abgerufen am 24.11.2024.
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