§. 42. Noch aus dem Grund eines politischen Gleichgewichtes.
Schon darum hat das so genannte System des Gleichgewichtes a) (bilanx s. trutina gentium, balance du pouvoir, equilibre politique, systeme de contre-poids), ohne Verträge keinen völker- rechtlichen Grund b). Unterschieden von dem rechtlichen Gleichgewicht, dem Suum cuique, ist dieses vermeintliche System des politischen Gleich- gewichtes gebaut auf die Idee von Macht und Uebermacht. Da aber hiebei nicht bloss die je- desmalige Kriegsmacht und Volksmenge, son- dern auch NationalCharakter, Cultur und Reich- thum, Lage und Umfang des Staatsgebietes, Men- ge und Stärke der Allianzen, Staatsform und Per- sönlichkeit des Regenten, überhaupt der ganze Inbegriff der geistigen und körperlichen Kräfte der Staaten in Betrachtung kommt, und eine gleiche Vertheilung der Länder nach ihrem po- litischem Gewicht (lex agraria gentium) nie er- folgt, oder zu hoffen ist, so bleibt jenes so ge- nannte System, rechtlich und politisch betrach- set, eine unbestimmte Idee c). Dessen ungeach- tet haben Eifersucht, Misstrauen und Convenienz schon mehrmal Staatsregierungen veranlasst, in einzelnen Fällen die Behauptung aufzustellen, von Erhaltung oder Herstellung eines Gleichge- wichtes in Europa, im Norden, im Westen, im Orient, in Teutschland, in Italien, zur See, auf
Klüber's Europ. Völkerr. I. 6
I. Cap. Recht der Selbsterhaltung.
§. 42. Noch aus dem Grund eines politischen Gleichgewichtes.
Schon darum hat das so genannte System des Gleichgewichtes a) (bilanx s. trutina gentium, balance du pouvoir, équilibre politique, systême de contre-poids), ohne Verträge keinen völker- rechtlichen Grund b). Unterschieden von dem rechtlichen Gleichgewicht, dem Suum cuique, ist dieses vermeintliche System des politischen Gleich- gewichtes gebaut auf die Idee von Macht und Uebermacht. Da aber hiebei nicht bloſs die je- desmalige Kriegsmacht und Volksmenge, son- dern auch NationalCharakter, Cultur und Reich- thum, Lage und Umfang des Staatsgebietes, Men- ge und Stärke der Allianzen, Staatsform und Per- sönlichkeit des Regenten, überhaupt der ganze Inbegriff der geistigen und körperlichen Kräfte der Staaten in Betrachtung kommt, und eine gleiche Vertheilung der Länder nach ihrem po- litischem Gewicht (lex agraria gentium) nie er- folgt, oder zu hoffen ist, so bleibt jenes so ge- nannte System, rechtlich und politisch betrach- set, eine unbestimmte Idee c). Dessen ungeach- tet haben Eifersucht, Miſstrauen und Convenienz schon mehrmal Staatsregierungen veranlaſst, in einzelnen Fällen die Behauptung aufzustellen, von Erhaltung oder Herstellung eines Gleichge- wichtes in Europa, im Norden, im Westen, im Orient, in Teutschland, in Italien, zur See, auf
Klüber’s Europ. Völkerr. I. 6
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I. Cap. Recht der Selbsterhaltung.
§. 42.
Noch aus dem Grund eines politischen Gleichgewichtes.
Schon darum hat das so genannte System
des Gleichgewichtes a) (bilanx s. trutina gentium,
balance du pouvoir, équilibre politique, systême
de contre-poids), ohne Verträge keinen völker-
rechtlichen Grund b). Unterschieden von dem
rechtlichen Gleichgewicht, dem Suum cuique, ist
dieses vermeintliche System des politischen Gleich-
gewichtes gebaut auf die Idee von Macht und
Uebermacht. Da aber hiebei nicht bloſs die je-
desmalige Kriegsmacht und Volksmenge, son-
dern auch NationalCharakter, Cultur und Reich-
thum, Lage und Umfang des Staatsgebietes, Men-
ge und Stärke der Allianzen, Staatsform und Per-
sönlichkeit des Regenten, überhaupt der ganze
Inbegriff der geistigen und körperlichen Kräfte
der Staaten in Betrachtung kommt, und eine
gleiche Vertheilung der Länder nach ihrem po-
litischem Gewicht (lex agraria gentium) nie er-
folgt, oder zu hoffen ist, so bleibt jenes so ge-
nannte System, rechtlich und politisch betrach-
set, eine unbestimmte Idee c). Dessen ungeach-
tet haben Eifersucht, Miſstrauen und Convenienz
schon mehrmal Staatsregierungen veranlaſst, in
einzelnen Fällen die Behauptung aufzustellen,
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wichtes in Europa, im Norden, im Westen, im
Orient, in Teutschland, in Italien, zur See, auf
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Klüber, Johann Ludwig: Europäisches Völkerrecht. Bd. 1. Stuttgart, 1821, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klueber_voelkerrecht01_1821/87>, abgerufen am 03.12.2024.
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