[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.Der Messias. Laut mit allen Empfindungen rief die betende Seele:O wer bist du? wer bist du? du Wesen der Wesen, wer bist du? Gott! Unendlich! der Erste! da war es einsam! du Schönster! Wesen ohn' Ursprung! Ewig war es nicht einsam; du Liebe! Ach (nun kam mir die Stimme zurück, nun flossen die Thränen) Ach mein Schöpfer! mein Gott! ich vergeh in den mächtigen Freuden! Dicht, denn dicht um mich her strömt deiner Allgegenwart Fülle! Einst (o sey du mir, Tag, mit lautem Jubel genennet) Gieng ich zu ihm, der mich schuf, doch nicht durch des Todes Gefilde, Hoch bey dem Grabe vorüber, zu Gott! Er sendet mich heute, Euch zu richten, ihr Weisen voll Wahns, die trotzig aufs Grübeln, Auf die kleine Seele zu stolz (ihr liesset sie Gott nicht, Sie zu erhöhn) unsterblich sich glaubten, und hoch von sich hielten, Wenn sie, das Wesen der Wesen, nach ihrer Weisheit, enthüllten; Und ins furchtbare Dunkel hinauf, von Träumen geflügelt, Drangen, und den, der ewig ist, ganz, wie er Gott war, entdeckten, Seine Vollkommenheit theilten; sie maßen mit Maaße des Menschen; Gott von Ewigkeit wußten! Jhr hättet besser in Staube Seinen Engel, den Tod, euch ins Dunkle zu führen, erwartet; Besser mit frommer Bewunderung angebetet, der, höher Als nur schwindelnder Geist, sich ganz in dem Schatten verkannte, Den ihr von seinem Wesen erschuft, und edlere Seelen Um der Tugend Uebung betrogt, und die große Belohnung! Also redte der Mann, der göttlich lebte. Noch sah ich Einen in weißem Gewand hervor aus den Wolken am Thron gehn. Aber itzt ward mein Gesicht zu dunklen Gestalten, die fliehend Kamen
Der Meſſias. Laut mit allen Empfindungen rief die betende Seele:O wer biſt du? wer biſt du? du Weſen der Weſen, wer biſt du? Gott! Unendlich! der Erſte! da war es einſam! du Schoͤnſter! Weſen ohn’ Urſprung! Ewig war es nicht einſam; du Liebe! Ach (nun kam mir die Stimme zuruͤck, nun floſſen die Thraͤnen) Ach mein Schoͤpfer! mein Gott! ich vergeh in den maͤchtigen Freuden! Dicht, denn dicht um mich her ſtroͤmt deiner Allgegenwart Fuͤlle! Einſt (o ſey du mir, Tag, mit lautem Jubel genennet) Gieng ich zu ihm, der mich ſchuf, doch nicht durch des Todes Gefilde, Hoch bey dem Grabe voruͤber, zu Gott! Er ſendet mich heute, Euch zu richten, ihr Weiſen voll Wahns, die trotzig aufs Gruͤbeln, Auf die kleine Seele zu ſtolz (ihr lieſſet ſie Gott nicht, Sie zu erhoͤhn) unſterblich ſich glaubten, und hoch von ſich hielten, Wenn ſie, das Weſen der Weſen, nach ihrer Weisheit, enthuͤllten; Und ins furchtbare Dunkel hinauf, von Traͤumen gefluͤgelt, Drangen, und den, der ewig iſt, ganz, wie er Gott war, entdeckten, Seine Vollkommenheit theilten; ſie maßen mit Maaße des Menſchen; Gott von Ewigkeit wußten! Jhr haͤttet beſſer in Staube Seinen Engel, den Tod, euch ins Dunkle zu fuͤhren, erwartet; Beſſer mit frommer Bewunderung angebetet, der, hoͤher Als nur ſchwindelnder Geiſt, ſich ganz in dem Schatten verkannte, Den ihr von ſeinem Weſen erſchuft, und edlere Seelen Um der Tugend Uebung betrogt, und die große Belohnung! Alſo redte der Mann, der goͤttlich lebte. Noch ſah ich Einen in weißem Gewand hervor aus den Wolken am Thron gehn. Aber itzt ward mein Geſicht zu dunklen Geſtalten, die fliehend Kamen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="39"> <pb facs="#f0108" n="108"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meſſias.</hi> </fw><lb/> <l>Laut mit allen Empfindungen rief die betende Seele:</l><lb/> <l>O wer biſt du? wer biſt du? du Weſen der Weſen, wer biſt du?</l><lb/> <l>Gott! Unendlich! der Erſte! da war es einſam! du Schoͤnſter!</l><lb/> <l>Weſen ohn’ Urſprung! Ewig war es nicht einſam; du Liebe!</l><lb/> <l>Ach (nun kam mir die Stimme zuruͤck, nun floſſen die Thraͤnen)</l><lb/> <l>Ach mein Schoͤpfer! mein Gott! ich vergeh in den maͤchtigen Freuden!</l><lb/> <l>Dicht, denn dicht um mich her ſtroͤmt deiner Allgegenwart Fuͤlle!</l><lb/> <l>Einſt (o ſey du mir, Tag, mit lautem Jubel genennet)</l><lb/> <l>Gieng ich zu ihm, der mich ſchuf, doch nicht durch des Todes Gefilde,</l><lb/> <l>Hoch bey dem Grabe voruͤber, zu Gott! Er ſendet mich heute,</l><lb/> <l>Euch zu richten, ihr Weiſen voll Wahns, die trotzig aufs Gruͤbeln,</l><lb/> <l>Auf die kleine Seele zu ſtolz (ihr lieſſet ſie Gott nicht,</l><lb/> <l>Sie zu erhoͤhn) unſterblich ſich glaubten, und hoch von ſich hielten,</l><lb/> <l>Wenn ſie, das Weſen der Weſen, nach ihrer Weisheit, enthuͤllten;</l><lb/> <l>Und ins furchtbare Dunkel hinauf, von Traͤumen gefluͤgelt,</l><lb/> <l>Drangen, und den, der ewig iſt, ganz, wie er Gott war, entdeckten,</l><lb/> <l>Seine Vollkommenheit theilten; ſie maßen mit Maaße des</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Menſchen;</hi> </l><lb/> <l>Gott von Ewigkeit wußten! Jhr haͤttet beſſer in Staube</l><lb/> <l>Seinen Engel, den Tod, euch ins Dunkle zu fuͤhren, erwartet;</l><lb/> <l>Beſſer mit frommer Bewunderung angebetet, der, hoͤher</l><lb/> <l>Als nur ſchwindelnder Geiſt, ſich ganz in dem Schatten verkannte,</l><lb/> <l>Den ihr von ſeinem Weſen erſchuft, und edlere Seelen</l><lb/> <l>Um der Tugend Uebung betrogt, und die große Belohnung!</l> </lg><lb/> <lg n="40"> <l>Alſo redte der Mann, der goͤttlich lebte. Noch ſah ich</l><lb/> <l>Einen in weißem Gewand hervor aus den Wolken am Thron gehn.</l><lb/> <l>Aber itzt ward mein Geſicht zu dunklen Geſtalten, die fliehend</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Kamen</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0108]
Der Meſſias.
Laut mit allen Empfindungen rief die betende Seele:
O wer biſt du? wer biſt du? du Weſen der Weſen, wer biſt du?
Gott! Unendlich! der Erſte! da war es einſam! du Schoͤnſter!
Weſen ohn’ Urſprung! Ewig war es nicht einſam; du Liebe!
Ach (nun kam mir die Stimme zuruͤck, nun floſſen die Thraͤnen)
Ach mein Schoͤpfer! mein Gott! ich vergeh in den maͤchtigen Freuden!
Dicht, denn dicht um mich her ſtroͤmt deiner Allgegenwart Fuͤlle!
Einſt (o ſey du mir, Tag, mit lautem Jubel genennet)
Gieng ich zu ihm, der mich ſchuf, doch nicht durch des Todes Gefilde,
Hoch bey dem Grabe voruͤber, zu Gott! Er ſendet mich heute,
Euch zu richten, ihr Weiſen voll Wahns, die trotzig aufs Gruͤbeln,
Auf die kleine Seele zu ſtolz (ihr lieſſet ſie Gott nicht,
Sie zu erhoͤhn) unſterblich ſich glaubten, und hoch von ſich hielten,
Wenn ſie, das Weſen der Weſen, nach ihrer Weisheit, enthuͤllten;
Und ins furchtbare Dunkel hinauf, von Traͤumen gefluͤgelt,
Drangen, und den, der ewig iſt, ganz, wie er Gott war, entdeckten,
Seine Vollkommenheit theilten; ſie maßen mit Maaße des
Menſchen;
Gott von Ewigkeit wußten! Jhr haͤttet beſſer in Staube
Seinen Engel, den Tod, euch ins Dunkle zu fuͤhren, erwartet;
Beſſer mit frommer Bewunderung angebetet, der, hoͤher
Als nur ſchwindelnder Geiſt, ſich ganz in dem Schatten verkannte,
Den ihr von ſeinem Weſen erſchuft, und edlere Seelen
Um der Tugend Uebung betrogt, und die große Belohnung!
Alſo redte der Mann, der goͤttlich lebte. Noch ſah ich
Einen in weißem Gewand hervor aus den Wolken am Thron gehn.
Aber itzt ward mein Geſicht zu dunklen Geſtalten, die fliehend
Kamen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |