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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Funfzehnter Gesang.
Leicht in den Schatten der Bäume dahin. Sie sahen mit Lächeln,
Oft sich noch um nach Portia, wonnevoll über der Heidinn
Sprachlosen Freude. Sie blieb im Staube knieen, und streckte,
Unvermögend sich aufzurichten, nach ihnen die Arm' aus.
Jemina war, und zuletzt auch Rahel verschwunden. Vom Auge
Portia rann die Freude nun über die röthere Wange,
Und sie erhub sich, leicht wie ein Laub, das Athmen der Luft hebt.

Vater, das Reich ist dein, und die Macht, und die Herrlichkeit! Amen.
Also eilte sie betend hinab zu Jerusalems Thoren.
Eine der schmermuthsvolleren, und zu empfindlichen Seelen,
Die, des Guten, das sie empfingen, schnelle Vergesser,
Und Vergrösserer, oder auch gar Erschaffer des Elends,
Dieß nur denken, in dieß, mit grübelndem Ernst, sich vertiefen,
Beor hatte sich von den Menschen gesondert, und lebte
Jn der Einsamkeit. Wie der Freudiggeschäftige gerne
Mit dem kommenden Tag aufwacht, so scheucht' er den Schlummer
Gern um Mitternacht. An der Hütte fernen Eingang
Nährt' er ein wenig Schimmer, wie Todtenlampen in Gräbern.
Jetzo hatt' er sein Brodt gegessen, sein Wasser getrunken,
Sich zu dem Grübeln gestärkt! ... So komm dahin denn wieder,
Wo du so oft schon warest, hinab, zerrüttete Seele!
Muß nicht Elend seyn? und müssens nicht Einige tragen?
Ja, es muß, weil es ist! Und müßtens die Himmel nicht tragen!
Lägs nicht auf uns? Denn da muß es seyn; sonst wärs nicht geworden!
Aber warum? ... So oft ich frag', antwortet mir keiner,
Weder im Himmel, und weder auf Erden; und so verschwindet
Mir der Trost, daß es seyn muß! Allein bey dem wankenden Troste
Darf
P 3

Funfzehnter Geſang.
Leicht in den Schatten der Baͤume dahin. Sie ſahen mit Laͤcheln,
Oft ſich noch um nach Portia, wonnevoll uͤber der Heidinn
Sprachloſen Freude. Sie blieb im Staube knieen, und ſtreckte,
Unvermoͤgend ſich aufzurichten, nach ihnen die Arm’ aus.
Jemina war, und zuletzt auch Rahel verſchwunden. Vom Auge
Portia rann die Freude nun uͤber die roͤthere Wange,
Und ſie erhub ſich, leicht wie ein Laub, das Athmen der Luft hebt.

Vater, das Reich iſt dein, und die Macht, und die Herrlichkeit! Amen.
Alſo eilte ſie betend hinab zu Jeruſalems Thoren.
Eine der ſchmermuthsvolleren, und zu empfindlichen Seelen,
Die, des Guten, das ſie empfingen, ſchnelle Vergeſſer,
Und Vergroͤſſerer, oder auch gar Erſchaffer des Elends,
Dieß nur denken, in dieß, mit gruͤbelndem Ernſt, ſich vertiefen,
Beor hatte ſich von den Menſchen geſondert, und lebte
Jn der Einſamkeit. Wie der Freudiggeſchaͤftige gerne
Mit dem kommenden Tag aufwacht, ſo ſcheucht’ er den Schlummer
Gern um Mitternacht. An der Huͤtte fernen Eingang
Naͤhrt’ er ein wenig Schimmer, wie Todtenlampen in Graͤbern.
Jetzo hatt’ er ſein Brodt gegeſſen, ſein Waſſer getrunken,
Sich zu dem Gruͤbeln geſtaͤrkt! … So komm dahin denn wieder,
Wo du ſo oft ſchon wareſt, hinab, zerruͤttete Seele!
Muß nicht Elend ſeyn? und muͤſſens nicht Einige tragen?
Ja, es muß, weil es iſt! Und muͤßtens die Himmel nicht tragen!
Laͤgs nicht auf uns? Denn da muß es ſeyn; ſonſt waͤrs nicht geworden!
Aber warum? … So oft ich frag’, antwortet mir keiner,
Weder im Himmel, und weder auf Erden; und ſo verſchwindet
Mir der Troſt, daß es ſeyn muß! Allein bey dem wankenden Troſte
Darf
P 3
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[229/0245] Funfzehnter Geſang. Leicht in den Schatten der Baͤume dahin. Sie ſahen mit Laͤcheln, Oft ſich noch um nach Portia, wonnevoll uͤber der Heidinn Sprachloſen Freude. Sie blieb im Staube knieen, und ſtreckte, Unvermoͤgend ſich aufzurichten, nach ihnen die Arm’ aus. Jemina war, und zuletzt auch Rahel verſchwunden. Vom Auge Portia rann die Freude nun uͤber die roͤthere Wange, Und ſie erhub ſich, leicht wie ein Laub, das Athmen der Luft hebt. Vater, das Reich iſt dein, und die Macht, und die Herrlichkeit! Amen. Alſo eilte ſie betend hinab zu Jeruſalems Thoren. Eine der ſchmermuthsvolleren, und zu empfindlichen Seelen, Die, des Guten, das ſie empfingen, ſchnelle Vergeſſer, Und Vergroͤſſerer, oder auch gar Erſchaffer des Elends, Dieß nur denken, in dieß, mit gruͤbelndem Ernſt, ſich vertiefen, Beor hatte ſich von den Menſchen geſondert, und lebte Jn der Einſamkeit. Wie der Freudiggeſchaͤftige gerne Mit dem kommenden Tag aufwacht, ſo ſcheucht’ er den Schlummer Gern um Mitternacht. An der Huͤtte fernen Eingang Naͤhrt’ er ein wenig Schimmer, wie Todtenlampen in Graͤbern. Jetzo hatt’ er ſein Brodt gegeſſen, ſein Waſſer getrunken, Sich zu dem Gruͤbeln geſtaͤrkt! … So komm dahin denn wieder, Wo du ſo oft ſchon wareſt, hinab, zerruͤttete Seele! Muß nicht Elend ſeyn? und muͤſſens nicht Einige tragen? Ja, es muß, weil es iſt! Und muͤßtens die Himmel nicht tragen! Laͤgs nicht auf uns? Denn da muß es ſeyn; ſonſt waͤrs nicht geworden! Aber warum? … So oft ich frag’, antwortet mir keiner, Weder im Himmel, und weder auf Erden; und ſo verſchwindet Mir der Troſt, daß es ſeyn muß! Allein bey dem wankenden Troſte Darf P 3

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/245>, abgerufen am 22.11.2024.