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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Vierzehnter Gesang.
Jesus wendete sich, ging hin zu dem Tisch, und legte
Auf die verbreiteten Teppiche sich, und sagte zu ihnen:

Habt ihr etwas Speise für mich? ... Sie erhuben sich eilend,
Traten herzu, und waren beschäfftigt, ihm Speise zu bringen.
Aber Johannes drang sich hervor vor den Andern, und brachte
Honigseims, und gerösteten Fisches, und setzte die Speise
Vor den Herrn. Mit schweigender Ehrfurcht trat er zurücke.
Voll von sanfter Vertraulichkeit sagte der Auferstandne:
Nahe dich mir, Geliebter, wie sonst! Jhr meine Geliebte,
Nahet euch auch, und ruhet um mich auf den Teppichen. Komm denn,
Meine Mutter, und ruh bey deinem Sohne. ... Da kam sie,
Und da kamen die Andern. Er aß. Und über dem Anblick
Seiner vertraulichen Liebe, daß sie, an Einem Tische
Mit dem Göttlichen ruhten, und er vor ihnen, wie sonst, aß,
Legte sich ihrer Entzückungen Ungestüm. Stillere Freuden
Kamen in ihre besänftigten Herzen, und völliger Glaube!
Da er ihre Herzen gestillt sah, sprach der Erbarmer:
Seht, den Zeugen glaubtet ihr nicht, die euch sagten, Jch lebte!
Mich, mich hätt ihr Auge vom Tod' erstanden gesehen!
Jhnen, denen ihr sonst in allen trautet, und deren
Redlichkeit ihr ja kanntet, o warum glaubtet ihr hier nur
Jhnen nicht? Unbiegsam, Geliebte, war eure Seele.
Weint nicht, Kindlein! Jch habe ja euer doch mich erbarmet.
Aber lernt, wie das Herz des Sterblichen ohne mich sey!
Hatt ich es euch nicht gesagt, oft wiederhohlet: Gekreuzigt
Würd ich werden! vom Tode, der Tage dritten, erwachen!
Hat dieß Moses nicht auch gesagt? die Propheten, die Psalmen
Nicht

Vierzehnter Geſang.
Jeſus wendete ſich, ging hin zu dem Tiſch, und legte
Auf die verbreiteten Teppiche ſich, und ſagte zu ihnen:

Habt ihr etwas Speiſe fuͤr mich? … Sie erhuben ſich eilend,
Traten herzu, und waren beſchaͤfftigt, ihm Speiſe zu bringen.
Aber Johannes drang ſich hervor vor den Andern, und brachte
Honigſeims, und geroͤſteten Fiſches, und ſetzte die Speiſe
Vor den Herrn. Mit ſchweigender Ehrfurcht trat er zuruͤcke.
Voll von ſanfter Vertraulichkeit ſagte der Auferſtandne:
Nahe dich mir, Geliebter, wie ſonſt! Jhr meine Geliebte,
Nahet euch auch, und ruhet um mich auf den Teppichen. Komm denn,
Meine Mutter, und ruh bey deinem Sohne. … Da kam ſie,
Und da kamen die Andern. Er aß. Und uͤber dem Anblick
Seiner vertraulichen Liebe, daß ſie, an Einem Tiſche
Mit dem Goͤttlichen ruhten, und er vor ihnen, wie ſonſt, aß,
Legte ſich ihrer Entzuͤckungen Ungeſtuͤm. Stillere Freuden
Kamen in ihre beſaͤnftigten Herzen, und voͤlliger Glaube!
Da er ihre Herzen geſtillt ſah, ſprach der Erbarmer:
Seht, den Zeugen glaubtet ihr nicht, die euch ſagten, Jch lebte!
Mich, mich haͤtt ihr Auge vom Tod’ erſtanden geſehen!
Jhnen, denen ihr ſonſt in allen trautet, und deren
Redlichkeit ihr ja kanntet, o warum glaubtet ihr hier nur
Jhnen nicht? Unbiegſam, Geliebte, war eure Seele.
Weint nicht, Kindlein! Jch habe ja euer doch mich erbarmet.
Aber lernt, wie das Herz des Sterblichen ohne mich ſey!
Hatt ich es euch nicht geſagt, oft wiederhohlet: Gekreuzigt
Wuͤrd ich werden! vom Tode, der Tage dritten, erwachen!
Hat dieß Moſes nicht auch geſagt? die Propheten, die Pſalmen
Nicht
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[191/0207] Vierzehnter Geſang. Jeſus wendete ſich, ging hin zu dem Tiſch, und legte Auf die verbreiteten Teppiche ſich, und ſagte zu ihnen: Habt ihr etwas Speiſe fuͤr mich? … Sie erhuben ſich eilend, Traten herzu, und waren beſchaͤfftigt, ihm Speiſe zu bringen. Aber Johannes drang ſich hervor vor den Andern, und brachte Honigſeims, und geroͤſteten Fiſches, und ſetzte die Speiſe Vor den Herrn. Mit ſchweigender Ehrfurcht trat er zuruͤcke. Voll von ſanfter Vertraulichkeit ſagte der Auferſtandne: Nahe dich mir, Geliebter, wie ſonſt! Jhr meine Geliebte, Nahet euch auch, und ruhet um mich auf den Teppichen. Komm denn, Meine Mutter, und ruh bey deinem Sohne. … Da kam ſie, Und da kamen die Andern. Er aß. Und uͤber dem Anblick Seiner vertraulichen Liebe, daß ſie, an Einem Tiſche Mit dem Goͤttlichen ruhten, und er vor ihnen, wie ſonſt, aß, Legte ſich ihrer Entzuͤckungen Ungeſtuͤm. Stillere Freuden Kamen in ihre beſaͤnftigten Herzen, und voͤlliger Glaube! Da er ihre Herzen geſtillt ſah, ſprach der Erbarmer: Seht, den Zeugen glaubtet ihr nicht, die euch ſagten, Jch lebte! Mich, mich haͤtt ihr Auge vom Tod’ erſtanden geſehen! Jhnen, denen ihr ſonſt in allen trautet, und deren Redlichkeit ihr ja kanntet, o warum glaubtet ihr hier nur Jhnen nicht? Unbiegſam, Geliebte, war eure Seele. Weint nicht, Kindlein! Jch habe ja euer doch mich erbarmet. Aber lernt, wie das Herz des Sterblichen ohne mich ſey! Hatt ich es euch nicht geſagt, oft wiederhohlet: Gekreuzigt Wuͤrd ich werden! vom Tode, der Tage dritten, erwachen! Hat dieß Moſes nicht auch geſagt? die Propheten, die Pſalmen Nicht

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/207>, abgerufen am 26.04.2024.