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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Vierzehnter Gesang.
Wenn du dereinst die Stimme des Herrn vernimmst, und erwachest;
Geht der Tag der Herrlichkeit auf, an welchem Jehova,
Dir zu rufen, dich würdigt: Jch will dich mit Odem des Lebens
Wieder beseelen! ach dann erwach ich mit dir! es erwachen
Seine Gebeine, die zwar der Kreuziger Wut nicht zermalmte;
Aber die doch in dem Schoosse der Nacht und der Erde verwesten!
Dann! ... O welche Reihen, vielleicht von Ewigkeiten,
Eh ich erwache! doch bis zu dem Tod ist nicht lange! Des Lebens
Zeit ist flüchtig und kurz, ein Traum, ein Flug, ein Gedanke! ...
Doch nur wenn es vorübergeeilt ist! Liegt auf der Schulter
Seine Last uns noch, wie langsamträg' ist das Leben!
Und ein Leben, wie meins, gelebt ohn' ihn! O vernimmst du
Hier aus der Mitternacht o du, der das Ohr gemacht hat,
Eines Lebenden Jammern, der nach dem Tode dürstet?
Seyd mir gesegnet, ihr übrigen Freunde des Todten am Kreuze,
Seyd mir zu eurer Ruhe gesegnet! Jhr wähnt ihn erstanden.
Und ihr freut euch nicht minder, obwohl ein Traum euch getäuscht hat,
Ach ein seliger Traum, wie die Seele Jakobs erquickte,
Zw ar so wahr nicht; allein der euch mit Wonne, wie ihn, labt!
Nein, ich will nicht weinen! ... O du, der das Auge gemacht hat,
Und den Jammer erblickt, der mir in dem Jnnersten wütet!
Daß ich mich freute, wie sie, war nicht dein göttlicher Wille.
Jch Verlaßner, wie würd ich mich freun! Ach, wenn ich ihn sähe;
Sterben, nicht leben würd ich! Mit erschütternder Stimme der Wonne
Würd ich entgegen ihm rufen, in Rufe verstummen, und sterben!
Aber ich werde ja doch bald sterben! Durch meine Seele
Gingst du ja auch, o Schwert, das durch die Seele der Mutter

Ging!
III Band. M

Vierzehnter Geſang.
Wenn du dereinſt die Stimme des Herrn vernimmſt, und erwacheſt;
Geht der Tag der Herrlichkeit auf, an welchem Jehova,
Dir zu rufen, dich wuͤrdigt: Jch will dich mit Odem des Lebens
Wieder beſeelen! ach dann erwach ich mit dir! es erwachen
Seine Gebeine, die zwar der Kreuziger Wut nicht zermalmte;
Aber die doch in dem Schooſſe der Nacht und der Erde verweſten!
Dann! … O welche Reihen, vielleicht von Ewigkeiten,
Eh ich erwache! doch bis zu dem Tod iſt nicht lange! Des Lebens
Zeit iſt fluͤchtig und kurz, ein Traum, ein Flug, ein Gedanke! …
Doch nur wenn es voruͤbergeeilt iſt! Liegt auf der Schulter
Seine Laſt uns noch, wie langſamtraͤg’ iſt das Leben!
Und ein Leben, wie meins, gelebt ohn’ ihn! O vernimmſt du
Hier aus der Mitternacht o du, der das Ohr gemacht hat,
Eines Lebenden Jammern, der nach dem Tode duͤrſtet?
Seyd mir geſegnet, ihr uͤbrigen Freunde des Todten am Kreuze,
Seyd mir zu eurer Ruhe geſegnet! Jhr waͤhnt ihn erſtanden.
Und ihr freut euch nicht minder, obwohl ein Traum euch getaͤuſcht hat,
Ach ein ſeliger Traum, wie die Seele Jakobs erquickte,
Zw ar ſo wahr nicht; allein der euch mit Wonne, wie ihn, labt!
Nein, ich will nicht weinen! … O du, der das Auge gemacht hat,
Und den Jammer erblickt, der mir in dem Jnnerſten wuͤtet!
Daß ich mich freute, wie ſie, war nicht dein goͤttlicher Wille.
Jch Verlaßner, wie wuͤrd ich mich freun! Ach, wenn ich ihn ſaͤhe;
Sterben, nicht leben wuͤrd ich! Mit erſchuͤtternder Stimme der Wonne
Wuͤrd ich entgegen ihm rufen, in Rufe verſtummen, und ſterben!
Aber ich werde ja doch bald ſterben! Durch meine Seele
Gingſt du ja auch, o Schwert, das durch die Seele der Mutter

Ging!
III Band. M
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[177/0193] Vierzehnter Geſang. Wenn du dereinſt die Stimme des Herrn vernimmſt, und erwacheſt; Geht der Tag der Herrlichkeit auf, an welchem Jehova, Dir zu rufen, dich wuͤrdigt: Jch will dich mit Odem des Lebens Wieder beſeelen! ach dann erwach ich mit dir! es erwachen Seine Gebeine, die zwar der Kreuziger Wut nicht zermalmte; Aber die doch in dem Schooſſe der Nacht und der Erde verweſten! Dann! … O welche Reihen, vielleicht von Ewigkeiten, Eh ich erwache! doch bis zu dem Tod iſt nicht lange! Des Lebens Zeit iſt fluͤchtig und kurz, ein Traum, ein Flug, ein Gedanke! … Doch nur wenn es voruͤbergeeilt iſt! Liegt auf der Schulter Seine Laſt uns noch, wie langſamtraͤg’ iſt das Leben! Und ein Leben, wie meins, gelebt ohn’ ihn! O vernimmſt du Hier aus der Mitternacht o du, der das Ohr gemacht hat, Eines Lebenden Jammern, der nach dem Tode duͤrſtet? Seyd mir geſegnet, ihr uͤbrigen Freunde des Todten am Kreuze, Seyd mir zu eurer Ruhe geſegnet! Jhr waͤhnt ihn erſtanden. Und ihr freut euch nicht minder, obwohl ein Traum euch getaͤuſcht hat, Ach ein ſeliger Traum, wie die Seele Jakobs erquickte, Zw ar ſo wahr nicht; allein der euch mit Wonne, wie ihn, labt! Nein, ich will nicht weinen! … O du, der das Auge gemacht hat, Und den Jammer erblickt, der mir in dem Jnnerſten wuͤtet! Daß ich mich freute, wie ſie, war nicht dein goͤttlicher Wille. Jch Verlaßner, wie wuͤrd ich mich freun! Ach, wenn ich ihn ſaͤhe; Sterben, nicht leben wuͤrd ich! Mit erſchuͤtternder Stimme der Wonne Wuͤrd ich entgegen ihm rufen, in Rufe verſtummen, und ſterben! Aber ich werde ja doch bald ſterben! Durch meine Seele Gingſt du ja auch, o Schwert, das durch die Seele der Mutter Ging! III Band. M

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/193>, abgerufen am 26.04.2024.