Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite
Siebender Gesang.
Tod! bey dem furchtbaren Namen des grossen Unendlichen! Tod, komm
Ueber den Mann von Erde! Sein Blut sey über ihm selber!
Siehe, du löschest die Sonne dir aus. Der Tod, und das Leben
Lagen vor dir, daß du wähltest. Du Sterblicher! wähltest den Tod dir!
Sonne verlisch! und, Todesangst, komm, und thue dich weit auf,
Grab! und nimm ihn, Verwesung! Sein Blut ist über ihm selber!
Judas vernahm des Unsterblichen Stimme. So hört ein Verirrter
Stimmen im einsamen Walde voll Nacht, wenn über den Bergen
Meilenferne Gewitter die Ceder den Wolken entstürzen.
Und er rief in der Wut der Verzweiflung: Jch kenne das Rauschen
Deiner Stimme zu wohl! Du bist der todte Meßias!
Du verfolgst mich, und forderst dein Blut. Hier bin ich! hier bin ich!
Judas riefs mit starrendem Blick, und erwürgte sich! ... Staunend
Trat Obaddon selber zurück, da er starb! ... Die ergrifne,
Schwankende Seele, sie schütterte dreymal noch, als ihm sein Herz brach.
Aber zum viertenmal trieb sie der Tod von des Sterbenden Stirne
Siegend empor. Sie schwebte dahin. Leichtfliessende Geister
Folgten ihr aus dem Leichname nach, und zogen sich schneller,
Als Gedanken um sie, und wurden zum schwebenden Körper.
Daß er mit hellerm Auge den Abgrund erblickte, mit feinerm
Und geschrekterem Ohre den Donner des Richters vernähme.
Aber doch wars ein Körper, unausgeschaffen, voll Schwäche,
Nur den Qualen empfindlich, und menschenfeindlich von Bildung.
Jtzo hatte sich, von der Betäubung des Todes, die Seele
Schnell besonnen, indem begann sie zu denken. Jch fühle
Wieder? Wer bin ich geworden? Wie leichthinschwebend erheb ich
Mich
C 3
Siebender Geſang.
Tod! bey dem furchtbaren Namen des groſſen Unendlichen! Tod, komm
Ueber den Mann von Erde! Sein Blut ſey uͤber ihm ſelber!
Siehe, du loͤſcheſt die Sonne dir aus. Der Tod, und das Leben
Lagen vor dir, daß du waͤhlteſt. Du Sterblicher! waͤhlteſt den Tod dir!
Sonne verliſch! und, Todesangſt, komm, und thue dich weit auf,
Grab! und nimm ihn, Verweſung! Sein Blut iſt uͤber ihm ſelber!
Judas vernahm des Unſterblichen Stimme. So hoͤrt ein Verirrter
Stimmen im einſamen Walde voll Nacht, wenn uͤber den Bergen
Meilenferne Gewitter die Ceder den Wolken entſtuͤrzen.
Und er rief in der Wut der Verzweiflung: Jch kenne das Rauſchen
Deiner Stimme zu wohl! Du biſt der todte Meßias!
Du verfolgſt mich, und forderſt dein Blut. Hier bin ich! hier bin ich!
Judas riefs mit ſtarrendem Blick, und erwuͤrgte ſich! … Staunend
Trat Obaddon ſelber zuruͤck, da er ſtarb! … Die ergrifne,
Schwankende Seele, ſie ſchuͤtterte dreymal noch, als ihm ſein Herz brach.
Aber zum viertenmal trieb ſie der Tod von des Sterbenden Stirne
Siegend empor. Sie ſchwebte dahin. Leichtflieſſende Geiſter
Folgten ihr aus dem Leichname nach, und zogen ſich ſchneller,
Als Gedanken um ſie, und wurden zum ſchwebenden Koͤrper.
Daß er mit hellerm Auge den Abgrund erblickte, mit feinerm
Und geſchrekterem Ohre den Donner des Richters vernaͤhme.
Aber doch wars ein Koͤrper, unausgeſchaffen, voll Schwaͤche,
Nur den Qualen empfindlich, und menſchenfeindlich von Bildung.
Jtzo hatte ſich, von der Betaͤubung des Todes, die Seele
Schnell beſonnen, indem begann ſie zu denken. Jch fuͤhle
Wieder? Wer bin ich geworden? Wie leichthinſchwebend erheb ich
Mich
C 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0061" n="37"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Siebender Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <lg n="10">
              <l>Tod! bey dem furchtbaren Namen des gro&#x017F;&#x017F;en Unendlichen! Tod, komm</l><lb/>
              <l>Ueber den Mann von Erde! Sein Blut &#x017F;ey u&#x0364;ber ihm &#x017F;elber!</l><lb/>
              <l>Siehe, du lo&#x0364;&#x017F;che&#x017F;t die Sonne dir aus. Der Tod, und das Leben</l><lb/>
              <l>Lagen vor dir, daß du wa&#x0364;hlte&#x017F;t. Du Sterblicher! wa&#x0364;hlte&#x017F;t den Tod dir!</l><lb/>
              <l>Sonne verli&#x017F;ch! und, Todesang&#x017F;t, komm, und thue dich weit auf,</l><lb/>
              <l>Grab! und nimm ihn, Verwe&#x017F;ung! Sein Blut i&#x017F;t u&#x0364;ber ihm &#x017F;elber!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Judas vernahm des Un&#x017F;terblichen Stimme. So ho&#x0364;rt ein Verirrter</l><lb/>
              <l>Stimmen im ein&#x017F;amen Walde voll Nacht, wenn u&#x0364;ber den Bergen</l><lb/>
              <l>Meilenferne Gewitter die Ceder den Wolken ent&#x017F;tu&#x0364;rzen.</l><lb/>
              <l>Und er rief in der Wut der Verzweiflung: Jch kenne das Rau&#x017F;chen</l><lb/>
              <l>Deiner Stimme zu wohl! Du bi&#x017F;t der todte Meßias!</l><lb/>
              <l>Du verfolg&#x017F;t mich, und forder&#x017F;t dein Blut. Hier bin ich! hier bin ich!</l><lb/>
              <l>Judas riefs mit &#x017F;tarrendem Blick, und erwu&#x0364;rgte &#x017F;ich! &#x2026; Staunend</l><lb/>
              <l>Trat Obaddon &#x017F;elber zuru&#x0364;ck, da er &#x017F;tarb! &#x2026; Die ergrifne,</l><lb/>
              <l>Schwankende Seele, &#x017F;ie &#x017F;chu&#x0364;tterte dreymal noch, als ihm &#x017F;ein Herz brach.</l><lb/>
              <l>Aber zum viertenmal trieb &#x017F;ie der Tod von des Sterbenden Stirne</l><lb/>
              <l>Siegend empor. Sie &#x017F;chwebte dahin. Leichtflie&#x017F;&#x017F;ende Gei&#x017F;ter</l><lb/>
              <l>Folgten ihr aus dem Leichname nach, und zogen &#x017F;ich &#x017F;chneller,</l><lb/>
              <l>Als Gedanken um &#x017F;ie, und wurden zum &#x017F;chwebenden Ko&#x0364;rper.</l><lb/>
              <l>Daß er mit hellerm Auge den Abgrund erblickte, mit feinerm</l><lb/>
              <l>Und ge&#x017F;chrekterem Ohre den Donner des Richters verna&#x0364;hme.</l><lb/>
              <l>Aber doch wars ein Ko&#x0364;rper, unausge&#x017F;chaffen, voll Schwa&#x0364;che,</l><lb/>
              <l>Nur den Qualen empfindlich, und men&#x017F;chenfeindlich von Bildung.</l><lb/>
              <l>Jtzo hatte &#x017F;ich, von der Beta&#x0364;ubung des Todes, die Seele</l><lb/>
              <l>Schnell be&#x017F;onnen, indem begann &#x017F;ie zu denken. Jch fu&#x0364;hle</l><lb/>
              <l>Wieder? Wer bin ich geworden? Wie leichthin&#x017F;chwebend erheb ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Mich</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0061] Siebender Geſang. Tod! bey dem furchtbaren Namen des groſſen Unendlichen! Tod, komm Ueber den Mann von Erde! Sein Blut ſey uͤber ihm ſelber! Siehe, du loͤſcheſt die Sonne dir aus. Der Tod, und das Leben Lagen vor dir, daß du waͤhlteſt. Du Sterblicher! waͤhlteſt den Tod dir! Sonne verliſch! und, Todesangſt, komm, und thue dich weit auf, Grab! und nimm ihn, Verweſung! Sein Blut iſt uͤber ihm ſelber! Judas vernahm des Unſterblichen Stimme. So hoͤrt ein Verirrter Stimmen im einſamen Walde voll Nacht, wenn uͤber den Bergen Meilenferne Gewitter die Ceder den Wolken entſtuͤrzen. Und er rief in der Wut der Verzweiflung: Jch kenne das Rauſchen Deiner Stimme zu wohl! Du biſt der todte Meßias! Du verfolgſt mich, und forderſt dein Blut. Hier bin ich! hier bin ich! Judas riefs mit ſtarrendem Blick, und erwuͤrgte ſich! … Staunend Trat Obaddon ſelber zuruͤck, da er ſtarb! … Die ergrifne, Schwankende Seele, ſie ſchuͤtterte dreymal noch, als ihm ſein Herz brach. Aber zum viertenmal trieb ſie der Tod von des Sterbenden Stirne Siegend empor. Sie ſchwebte dahin. Leichtflieſſende Geiſter Folgten ihr aus dem Leichname nach, und zogen ſich ſchneller, Als Gedanken um ſie, und wurden zum ſchwebenden Koͤrper. Daß er mit hellerm Auge den Abgrund erblickte, mit feinerm Und geſchrekterem Ohre den Donner des Richters vernaͤhme. Aber doch wars ein Koͤrper, unausgeſchaffen, voll Schwaͤche, Nur den Qualen empfindlich, und menſchenfeindlich von Bildung. Jtzo hatte ſich, von der Betaͤubung des Todes, die Seele Schnell beſonnen, indem begann ſie zu denken. Jch fuͤhle Wieder? Wer bin ich geworden? Wie leichthinſchwebend erheb ich Mich C 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/61
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/61>, abgerufen am 24.11.2024.