[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.Von der Nachahmung wurf machen, daß sie wenig vollkönige Wörter habe, undnoch weniger, wegen ihrer flüchtigen und fast übereilten Aus- sprache, periodisch zu werden fähig; der italienischen, daß sie zu sehr von dem gesezten und vollen Accente ihrer Mutter ins Weiche und Wollüstige ausgeartet; und vielleicht der starken Sprache der Engländer, daß sie zu einsylbigt sey, und zu oft, statt zu fliessen, fortstosse, als daß sie die Fülle des griechischen Perioden so nahe, wie die deutsche, erreichen könne. Kennern des griechischen Wohlklangs glaube ich meine Vorstellung von dem Klange unsrer Sprache noch deutlicher zu machen, wenn ich sage, daß sie mit dem Dorischen des Pindar Aehnlichkeit habe, zugleich aber den Unterschied vor- aussetze, der, zwischen dem Dorischen des Pindar, und der griechischen Schäferdichter, ist. Ohne mich in die Entschei- dung einzulassen, welche von unsern Provinzen am besten deutsch rede? so kömmt es mir doch als wahr vor, daß ein Sachse das Hochdeutsche, oder die Sprache der Scribenten, und der guten Gesellschaften, mit leichterer Mühe rein und ganz aussprechen lernen kann, als einer aus den übrigen Pro- vinzen. Und wie einer von diesen seine Sprache spricht, so rein, so volltönig, so ieden Ton und Buchstaben, den die richtige Rechtschreibung sezt, zwar ganz, aber doch nicht sel- ten, bey der Häufung der Buchstaben, mit unübertriebner Leisigkeit: dieß ist die Regel der längern und kürzern Syl- ben, der Art ihrer Länge und Kürze, und also auch der Har- monie des Verses überhaupt. Jch muß gestehn, es giebt zweifelhafte Aufgaben bey dieser Regel; und wir wären glücklich, wenn wir Eine grosse Stadt in Deutschland hät- ten, die von der Nation, als Richterinn der rechten Aus- sprache, angenommen wäre. Aber wir dürfen hierauf wohl izt nicht hoffen, da Berlin eifersüchtiger darauf zu seyn scheint, den zweyten Platz nach Paris, als den ersten in Deutschland, zu
Von der Nachahmung wurf machen, daß ſie wenig vollkoͤnige Woͤrter habe, undnoch weniger, wegen ihrer fluͤchtigen und faſt uͤbereilten Aus- ſprache, periodiſch zu werden faͤhig; der italieniſchen, daß ſie zu ſehr von dem geſezten und vollen Accente ihrer Mutter ins Weiche und Wolluͤſtige ausgeartet; und vielleicht der ſtarken Sprache der Englaͤnder, daß ſie zu einſylbigt ſey, und zu oft, ſtatt zu flieſſen, fortſtoſſe, als daß ſie die Fuͤlle des griechiſchen Perioden ſo nahe, wie die deutſche, erreichen koͤnne. Kennern des griechiſchen Wohlklangs glaube ich meine Vorſtellung von dem Klange unſrer Sprache noch deutlicher zu machen, wenn ich ſage, daß ſie mit dem Doriſchen des Pindar Aehnlichkeit habe, zugleich aber den Unterſchied vor- ausſetze, der, zwiſchen dem Doriſchen des Pindar, und der griechiſchen Schaͤferdichter, iſt. Ohne mich in die Entſchei- dung einzulaſſen, welche von unſern Provinzen am beſten deutſch rede? ſo koͤmmt es mir doch als wahr vor, daß ein Sachſe das Hochdeutſche, oder die Sprache der Scribenten, und der guten Geſellſchaften, mit leichterer Muͤhe rein und ganz ausſprechen lernen kann, als einer aus den uͤbrigen Pro- vinzen. Und wie einer von dieſen ſeine Sprache ſpricht, ſo rein, ſo volltoͤnig, ſo ieden Ton und Buchſtaben, den die richtige Rechtſchreibung ſezt, zwar ganz, aber doch nicht ſel- ten, bey der Haͤufung der Buchſtaben, mit unuͤbertriebner Leiſigkeit: dieß iſt die Regel der laͤngern und kuͤrzern Syl- ben, der Art ihrer Laͤnge und Kuͤrze, und alſo auch der Har- monie des Verſes uͤberhaupt. Jch muß geſtehn, es giebt zweifelhafte Aufgaben bey dieſer Regel; und wir waͤren gluͤcklich, wenn wir Eine groſſe Stadt in Deutſchland haͤt- ten, die von der Nation, als Richterinn der rechten Aus- ſprache, angenommen waͤre. Aber wir duͤrfen hierauf wohl izt nicht hoffen, da Berlin eiferſuͤchtiger darauf zu ſeyn ſcheint, den zweyten Platz nach Paris, als den erſten in Deutſchland, zu
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Von der Nachahmung
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noch weniger, wegen ihrer fluͤchtigen und faſt uͤbereilten Aus-
ſprache, periodiſch zu werden faͤhig; der italieniſchen, daß
ſie zu ſehr von dem geſezten und vollen Accente ihrer Mutter
ins Weiche und Wolluͤſtige ausgeartet; und vielleicht der
ſtarken Sprache der Englaͤnder, daß ſie zu einſylbigt ſey,
und zu oft, ſtatt zu flieſſen, fortſtoſſe, als daß ſie die Fuͤlle
des griechiſchen Perioden ſo nahe, wie die deutſche, erreichen
koͤnne. Kennern des griechiſchen Wohlklangs glaube ich meine
Vorſtellung von dem Klange unſrer Sprache noch deutlicher
zu machen, wenn ich ſage, daß ſie mit dem Doriſchen des
Pindar Aehnlichkeit habe, zugleich aber den Unterſchied vor-
ausſetze, der, zwiſchen dem Doriſchen des Pindar, und der
griechiſchen Schaͤferdichter, iſt. Ohne mich in die Entſchei-
dung einzulaſſen, welche von unſern Provinzen am beſten
deutſch rede? ſo koͤmmt es mir doch als wahr vor, daß ein
Sachſe das Hochdeutſche, oder die Sprache der Scribenten,
und der guten Geſellſchaften, mit leichterer Muͤhe rein und
ganz ausſprechen lernen kann, als einer aus den uͤbrigen Pro-
vinzen. Und wie einer von dieſen ſeine Sprache ſpricht, ſo
rein, ſo volltoͤnig, ſo ieden Ton und Buchſtaben, den die
richtige Rechtſchreibung ſezt, zwar ganz, aber doch nicht ſel-
ten, bey der Haͤufung der Buchſtaben, mit unuͤbertriebner
Leiſigkeit: dieß iſt die Regel der laͤngern und kuͤrzern Syl-
ben, der Art ihrer Laͤnge und Kuͤrze, und alſo auch der Har-
monie des Verſes uͤberhaupt. Jch muß geſtehn, es giebt
zweifelhafte Aufgaben bey dieſer Regel; und wir waͤren
gluͤcklich, wenn wir Eine groſſe Stadt in Deutſchland haͤt-
ten, die von der Nation, als Richterinn der rechten Aus-
ſprache, angenommen waͤre. Aber wir duͤrfen hierauf wohl
izt nicht hoffen, da Berlin eiferſuͤchtiger darauf zu ſeyn ſcheint,
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