[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.des griechischen Sylbenmasses im Deutschen. ist es genung, dieß wenige davon zu sagen. Zuerst müß-ten wir die Biegsamkeit unsrer Stimme, und den Grad ihrer Fähigkeit, den Wendungen und dem Schwunge des Gedanken mit dem Tone zu folgen, durch leichte und scherz- hafte Prosa, kennen lernen. Hierauf versuchten wir die poetische Erzählung, und das Lied. Ein Schritt, der schwerer ist, als er scheint. Dann giengen wir zu dem Lehrgedichte, oder dem Trauerspiele fort. Hier würden wir finden, daß auch die sorgfältigste Reinigkeit der Jamben den Fehler der Eintönigkeit nicht ersetzen konnte; und daß so gar Jamben von genauerer Ausarbeitung, durch die immer wiederkommende kurze und lange Sylbe unvermerkt verführt, von der eigentlichen Aussprache mehr abwichen, als selbst diejenigen Hexameter, die mit weniger Sorgfalt gearbeitet sind. Von den Jamben erhüben wir uns weiter zu den volleren Perioden der Redner. Wenn wir diese lesen könn- ten; so fingen wir mit dem Hexameter an. Wir brauchten hierbey seine prosodische Einrichtung eben nicht zu wissen: und da die Geschicklichkeit, die Redner zu lesen, voraus- gesezt wird; so dürften wir nur mit der gesezten Männlich- keit, mit der vollen und ganzen Aussprache, und, wenn ich so sagen darf, mit dieser Reife der Stimme, den Hexa- meter lesen, mit der wir die Prosa lesen. Wollten wir die Prosodie des Hexameters noch dazu lernen; so würden wir dem gearbeiteten seine völlige Gerechtigkeit wiederfahren las- sen; dem weniger sorgfältigen mehr Zierlichkeit geben; und des rauhen ganze Rauhigkeit aufdecken können. Wir wür- den auch durch diese Kenntniß bestimmter wissen, wie man den Vers zwar noch anders, als den besten prosaischen Pe- rioden lesen; aber niemals in die schülerhafte Verstümm- lung desselben verfallen müsse, durch welche die Stücke des Verses dem Hörer vorgezählt; und nicht vorgelesen werden. Zulezt
des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen. iſt es genung, dieß wenige davon zu ſagen. Zuerſt muͤß-ten wir die Biegſamkeit unſrer Stimme, und den Grad ihrer Faͤhigkeit, den Wendungen und dem Schwunge des Gedanken mit dem Tone zu folgen, durch leichte und ſcherz- hafte Proſa, kennen lernen. Hierauf verſuchten wir die poetiſche Erzaͤhlung, und das Lied. Ein Schritt, der ſchwerer iſt, als er ſcheint. Dann giengen wir zu dem Lehrgedichte, oder dem Trauerſpiele fort. Hier wuͤrden wir finden, daß auch die ſorgfaͤltigſte Reinigkeit der Jamben den Fehler der Eintoͤnigkeit nicht erſetzen konnte; und daß ſo gar Jamben von genauerer Ausarbeitung, durch die immer wiederkommende kurze und lange Sylbe unvermerkt verfuͤhrt, von der eigentlichen Ausſprache mehr abwichen, als ſelbſt diejenigen Hexameter, die mit weniger Sorgfalt gearbeitet ſind. Von den Jamben erhuͤben wir uns weiter zu den volleren Perioden der Redner. Wenn wir dieſe leſen koͤnn- ten; ſo fingen wir mit dem Hexameter an. Wir brauchten hierbey ſeine proſodiſche Einrichtung eben nicht zu wiſſen: und da die Geſchicklichkeit, die Redner zu leſen, voraus- geſezt wird; ſo duͤrften wir nur mit der geſezten Maͤnnlich- keit, mit der vollen und ganzen Ausſprache, und, wenn ich ſo ſagen darf, mit dieſer Reife der Stimme, den Hexa- meter leſen, mit der wir die Proſa leſen. Wollten wir die Proſodie des Hexameters noch dazu lernen; ſo wuͤrden wir dem gearbeiteten ſeine voͤllige Gerechtigkeit wiederfahren laſ- ſen; dem weniger ſorgfaͤltigen mehr Zierlichkeit geben; und des rauhen ganze Rauhigkeit aufdecken koͤnnen. Wir wuͤr- den auch durch dieſe Kenntniß beſtimmter wiſſen, wie man den Vers zwar noch anders, als den beſten proſaiſchen Pe- rioden leſen; aber niemals in die ſchuͤlerhafte Verſtuͤmm- lung deſſelben verfallen muͤſſe, durch welche die Stuͤcke des Verſes dem Hoͤrer vorgezaͤhlt; und nicht vorgeleſen werden. Zulezt
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des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.
iſt es genung, dieß wenige davon zu ſagen. Zuerſt muͤß-
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ihrer Faͤhigkeit, den Wendungen und dem Schwunge des
Gedanken mit dem Tone zu folgen, durch leichte und ſcherz-
hafte Proſa, kennen lernen. Hierauf verſuchten wir die
poetiſche Erzaͤhlung, und das Lied. Ein Schritt, der
ſchwerer iſt, als er ſcheint. Dann giengen wir zu dem
Lehrgedichte, oder dem Trauerſpiele fort. Hier wuͤrden wir
finden, daß auch die ſorgfaͤltigſte Reinigkeit der Jamben den
Fehler der Eintoͤnigkeit nicht erſetzen konnte; und daß ſo
gar Jamben von genauerer Ausarbeitung, durch die immer
wiederkommende kurze und lange Sylbe unvermerkt verfuͤhrt,
von der eigentlichen Ausſprache mehr abwichen, als ſelbſt
diejenigen Hexameter, die mit weniger Sorgfalt gearbeitet
ſind. Von den Jamben erhuͤben wir uns weiter zu den
volleren Perioden der Redner. Wenn wir dieſe leſen koͤnn-
ten; ſo fingen wir mit dem Hexameter an. Wir brauchten
hierbey ſeine proſodiſche Einrichtung eben nicht zu wiſſen:
und da die Geſchicklichkeit, die Redner zu leſen, voraus-
geſezt wird; ſo duͤrften wir nur mit der geſezten Maͤnnlich-
keit, mit der vollen und ganzen Ausſprache, und, wenn
ich ſo ſagen darf, mit dieſer Reife der Stimme, den Hexa-
meter leſen, mit der wir die Proſa leſen. Wollten wir die
Proſodie des Hexameters noch dazu lernen; ſo wuͤrden wir
dem gearbeiteten ſeine voͤllige Gerechtigkeit wiederfahren laſ-
ſen; dem weniger ſorgfaͤltigen mehr Zierlichkeit geben; und
des rauhen ganze Rauhigkeit aufdecken koͤnnen. Wir wuͤr-
den auch durch dieſe Kenntniß beſtimmter wiſſen, wie man
den Vers zwar noch anders, als den beſten proſaiſchen Pe-
rioden leſen; aber niemals in die ſchuͤlerhafte Verſtuͤmm-
lung deſſelben verfallen muͤſſe, durch welche die Stuͤcke des
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