[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.Der Messias. Vater! sie wissen es nicht, was sie thun. Erbarme dich ihrer! Stille Bewundrungen wandelten dir, du Stimme der Liebe, Durch die Menge der Schauenden nach. Die huben ihr Antliz Zu dem Blutenden auf, und sahn die Blässe des Todes, Deine, du tödtlichster unter den Toden, über ihn strömen. Dieß nur sahe der Sterblichen Auge; der grossen Gestorbnen Seelenvolleres sahe geheimere Dinge: Sein Leben, Wie es rang, sein Leben von keinem Tode zu tödten, Hätte Gott den Tod nicht gesandt! wie allmächtige Schauer Durch den Sterbenden schütterten! wie er, verlassen vom Vater, Hing am hohen Kreuze! zu welchem Heile sein Blut floß! Welche Versönung dieß Blut, aus diesen Wunden, herabquoll! Sieh, er hub sein Auge gen Himmel, und suchte nach Ruhe, Aber er fand nicht Ruhe! Mit iedem fliegenden Winke Starb er Einen furchtbaren Tod; und fand nicht Ruhe! Und es waren mit ihm zween Missethäter gekreuzigt. Denn, zu dieser Tiefe, beschloß des Ewigen Rathschluß Und sein eigner, ihn zu erniedrigen. Einer der Mörder Hing zu seiner Rechte, der Andre zur Linke. Der eine War ein versteinerter Sünder, ein graugewordner Verbrecher. Dieser kehrte sein finstres, verstelltes Gesicht zu dem Mittler: Christus wärst du? Wärst du es; hülfst du uns! hülfst du dir selber! Stiegst du diesem Baume, den Gott verflucht hat, herunter! Aber der andre Verbrecher, ein Jüngling verführt in der Blühte, Nicht von ruchlosem Herzen; doch hingerissen zur Sünde, Rang aus seinem Elend sich auf, und strafte den andern: Und
Der Meſſias. Vater! ſie wiſſen es nicht, was ſie thun. Erbarme dich ihrer! Stille Bewundrungen wandelten dir, du Stimme der Liebe, Durch die Menge der Schauenden nach. Die huben ihr Antliz Zu dem Blutenden auf, und ſahn die Blaͤſſe des Todes, Deine, du toͤdtlichſter unter den Toden, uͤber ihn ſtroͤmen. Dieß nur ſahe der Sterblichen Auge; der groſſen Geſtorbnen Seelenvolleres ſahe geheimere Dinge: Sein Leben, Wie es rang, ſein Leben von keinem Tode zu toͤdten, Haͤtte Gott den Tod nicht geſandt! wie allmaͤchtige Schauer Durch den Sterbenden ſchuͤtterten! wie er, verlaſſen vom Vater, Hing am hohen Kreuze! zu welchem Heile ſein Blut floß! Welche Verſoͤnung dieß Blut, aus dieſen Wunden, herabquoll! Sieh, er hub ſein Auge gen Himmel, und ſuchte nach Ruhe, Aber er fand nicht Ruhe! Mit iedem fliegenden Winke Starb er Einen furchtbaren Tod; und fand nicht Ruhe! Und es waren mit ihm zween Miſſethaͤter gekreuzigt. Denn, zu dieſer Tiefe, beſchloß des Ewigen Rathſchluß Und ſein eigner, ihn zu erniedrigen. Einer der Moͤrder Hing zu ſeiner Rechte, der Andre zur Linke. Der eine War ein verſteinerter Suͤnder, ein graugewordner Verbrecher. Dieſer kehrte ſein finſtres, verſtelltes Geſicht zu dem Mittler: Chriſtus waͤrſt du? Waͤrſt du es; huͤlfſt du uns! huͤlfſt du dir ſelber! Stiegſt du dieſem Baume, den Gott verflucht hat, herunter! Aber der andre Verbrecher, ein Juͤngling verfuͤhrt in der Bluͤhte, Nicht von ruchloſem Herzen; doch hingeriſſen zur Suͤnde, Rang aus ſeinem Elend ſich auf, und ſtrafte den andern: Und
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Der Meſſias.
Vater! ſie wiſſen es nicht, was ſie thun. Erbarme dich ihrer!
Stille Bewundrungen wandelten dir, du Stimme der Liebe,
Durch die Menge der Schauenden nach. Die huben ihr Antliz
Zu dem Blutenden auf, und ſahn die Blaͤſſe des Todes,
Deine, du toͤdtlichſter unter den Toden, uͤber ihn ſtroͤmen.
Dieß nur ſahe der Sterblichen Auge; der groſſen Geſtorbnen
Seelenvolleres ſahe geheimere Dinge: Sein Leben,
Wie es rang, ſein Leben von keinem Tode zu toͤdten,
Haͤtte Gott den Tod nicht geſandt! wie allmaͤchtige Schauer
Durch den Sterbenden ſchuͤtterten! wie er, verlaſſen vom Vater,
Hing am hohen Kreuze! zu welchem Heile ſein Blut floß!
Welche Verſoͤnung dieß Blut, aus dieſen Wunden, herabquoll!
Sieh, er hub ſein Auge gen Himmel, und ſuchte nach Ruhe,
Aber er fand nicht Ruhe! Mit iedem fliegenden Winke
Starb er Einen furchtbaren Tod; und fand nicht Ruhe!
Und es waren mit ihm zween Miſſethaͤter gekreuzigt.
Denn, zu dieſer Tiefe, beſchloß des Ewigen Rathſchluß
Und ſein eigner, ihn zu erniedrigen. Einer der Moͤrder
Hing zu ſeiner Rechte, der Andre zur Linke. Der eine
War ein verſteinerter Suͤnder, ein graugewordner Verbrecher.
Dieſer kehrte ſein finſtres, verſtelltes Geſicht zu dem Mittler:
Chriſtus waͤrſt du? Waͤrſt du es; huͤlfſt du uns! huͤlfſt du dir ſelber!
Stiegſt du dieſem Baume, den Gott verflucht hat, herunter!
Aber der andre Verbrecher, ein Juͤngling verfuͤhrt in der Bluͤhte,
Nicht von ruchloſem Herzen; doch hingeriſſen zur Suͤnde,
Rang aus ſeinem Elend ſich auf, und ſtrafte den andern:
Und
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