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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Erster Gesang.

Durch mein göttliches Anschaun vorzüglich bezeichnet, erblickten.
Dir nur ist es bekannt, mit was für Einmuth wir damals,
Du, mein Vater, und ich, und der Geist die Erlösung beschlossen.
Jn der Stille der Ewigkeit, einsam, und ohne Geschöpfe,
Waren wir beysammen. Voll unsrer göttlichen Liebe,
Sahen wir auf Menschen, die noch nicht waren, herunter.
Ach das arme Geschlecht! Ach unsre Geschöpfe, wie elend
Waren sie, sonst unsterblich, nun Staub, von der Sünde verstellet!
Vater, ich sah ihr Elend, du meine Thränen. Da sprachst du:
Laßt uns das Bild der Gottheit von neuem im Menschen erschaffen!
Also erfanden wir unser Geheimniß, das Blut der Versöhnung,
Und die zum ewigen Bilde verneuerte Schöpfung der Menschen.
Hier erkohr ich mich selbst, das göttliche Werk zu vollenden.
Ewiger Vater, das weißst du, das wissen die Himmel, wie brünstig
Mich seit diesem Entschluß nach meiner Erniedrung verlangte!
Erde, wie oft warst du, in deiner niedrigen Ferne,
Mein erwähltes geliebtestes Augenmerk! Und du, o Canan,
Heiliges Land, wie oft hieng mein sanftthränendes Auge
An dem Hügel, den ich vom Blute des Bundes schon voll sah.
Und, o wie bebt mir mein Herz von süßen wallenden Freuden,
Daß ich so lange schon Mensch bin, daß schon so viele Gerechte
Zu mir sich sammlen, und nun bald alle Geschlechte der Menschen
Durch mich geheiliget werden! Hier lieg ich, göttlicher Vater,
Noch mit den Zügen der Menschheit, nach deinem Bilde, gezieret,
Betend vor dir: bald aber wird mich dein tödtend Gerichte
Blutig entstelien, und unter den Staub der Todten begraben.
Schon hör ich dich, du Richter der Welt, allein und von ferne

Kom-
A 4

Erſter Geſang.

Durch mein goͤttliches Anſchaun vorzuͤglich bezeichnet, erblickten.
Dir nur iſt es bekannt, mit was fuͤr Einmuth wir damals,
Du, mein Vater, und ich, und der Geiſt die Erloͤſung beſchloſſen.
Jn der Stille der Ewigkeit, einſam, und ohne Geſchoͤpfe,
Waren wir beyſammen. Voll unſrer goͤttlichen Liebe,
Sahen wir auf Menſchen, die noch nicht waren, herunter.
Ach das arme Geſchlecht! Ach unſre Geſchoͤpfe, wie elend
Waren ſie, ſonſt unſterblich, nun Staub, von der Suͤnde verſtellet!
Vater, ich ſah ihr Elend, du meine Thraͤnen. Da ſprachſt du:
Laßt uns das Bild der Gottheit von neuem im Menſchen erſchaffen!
Alſo erfanden wir unſer Geheimniß, das Blut der Verſoͤhnung,
Und die zum ewigen Bilde verneuerte Schoͤpfung der Menſchen.
Hier erkohr ich mich ſelbſt, das goͤttliche Werk zu vollenden.
Ewiger Vater, das weißſt du, das wiſſen die Himmel, wie bruͤnſtig
Mich ſeit dieſem Entſchluß nach meiner Erniedrung verlangte!
Erde, wie oft warſt du, in deiner niedrigen Ferne,
Mein erwaͤhltes geliebteſtes Augenmerk! Und du, o Canan,
Heiliges Land, wie oft hieng mein ſanftthraͤnendes Auge
An dem Huͤgel, den ich vom Blute des Bundes ſchon voll ſah.
Und, o wie bebt mir mein Herz von ſuͤßen wallenden Freuden,
Daß ich ſo lange ſchon Menſch bin, daß ſchon ſo viele Gerechte
Zu mir ſich ſammlen, und nun bald alle Geſchlechte der Menſchen
Durch mich geheiliget werden! Hier lieg ich, goͤttlicher Vater,
Noch mit den Zuͤgen der Menſchheit, nach deinem Bilde, gezieret,
Betend vor dir: bald aber wird mich dein toͤdtend Gerichte
Blutig entſtelien, und unter den Staub der Todten begraben.
Schon hoͤr ich dich, du Richter der Welt, allein und von ferne

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[7/0019] Erſter Geſang. Durch mein goͤttliches Anſchaun vorzuͤglich bezeichnet, erblickten. Dir nur iſt es bekannt, mit was fuͤr Einmuth wir damals, Du, mein Vater, und ich, und der Geiſt die Erloͤſung beſchloſſen. Jn der Stille der Ewigkeit, einſam, und ohne Geſchoͤpfe, Waren wir beyſammen. Voll unſrer goͤttlichen Liebe, Sahen wir auf Menſchen, die noch nicht waren, herunter. Ach das arme Geſchlecht! Ach unſre Geſchoͤpfe, wie elend Waren ſie, ſonſt unſterblich, nun Staub, von der Suͤnde verſtellet! Vater, ich ſah ihr Elend, du meine Thraͤnen. Da ſprachſt du: Laßt uns das Bild der Gottheit von neuem im Menſchen erſchaffen! Alſo erfanden wir unſer Geheimniß, das Blut der Verſoͤhnung, Und die zum ewigen Bilde verneuerte Schoͤpfung der Menſchen. Hier erkohr ich mich ſelbſt, das goͤttliche Werk zu vollenden. Ewiger Vater, das weißſt du, das wiſſen die Himmel, wie bruͤnſtig Mich ſeit dieſem Entſchluß nach meiner Erniedrung verlangte! Erde, wie oft warſt du, in deiner niedrigen Ferne, Mein erwaͤhltes geliebteſtes Augenmerk! Und du, o Canan, Heiliges Land, wie oft hieng mein ſanftthraͤnendes Auge An dem Huͤgel, den ich vom Blute des Bundes ſchon voll ſah. Und, o wie bebt mir mein Herz von ſuͤßen wallenden Freuden, Daß ich ſo lange ſchon Menſch bin, daß ſchon ſo viele Gerechte Zu mir ſich ſammlen, und nun bald alle Geſchlechte der Menſchen Durch mich geheiliget werden! Hier lieg ich, goͤttlicher Vater, Noch mit den Zuͤgen der Menſchheit, nach deinem Bilde, gezieret, Betend vor dir: bald aber wird mich dein toͤdtend Gerichte Blutig entſtelien, und unter den Staub der Todten begraben. Schon hoͤr ich dich, du Richter der Welt, allein und von ferne Kom- A 4

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/19>, abgerufen am 29.03.2024.