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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Dritter Gesang.

Hier wird unaufhörlich, wie aus Ophirischen Jnseln,
Gold gegraben; hier triefet das Thal, durch selige Jahre
Reich und unerschöpflich, vom Ueberflusse des Segens.
Dieß ist des auserwählten Johannes gesegnetes Erbe.
Jene mit hohen Traubengelendern umhangenen Hügel,
Diese von wallendem Korn weit überfließenden Auen
Sind dem geliebtesten Petrus von seinem Meßias gegeben.
Siehst du den ganzen Reichthum des Landes? Wie hier sich die Städte
Gleich der Königstochter, Jerusalem, unter der Sonne
Glänzend und hoch, voll unzählbarer Menschen im Thale verbreiten!
Wie sich neue Jordane dort, die Städte zu wässern,
Unter der Umwölbung der hohen Mauern dahinziehn!
Gärten, gleich dem befruchteten Eden, umschatten den Goldsand
Jhrer Gestade. Dieß sind die Königreiche der Jünger.
Aber erblickst du, Jscharioth, auch in jener Entfernung
Dieses kleine gebirgigte Land? Da liegt es verödet,
Wild, unbewohnt und steinigt mit dürren Gehölzen durchwachsen.
Auf ihm ruhet die Nacht in kalten weinenden Wolken,
Unter ihr Eis und nordischer Schnee in unfruchtbaren Tiefen,
Wo zur Einöd und Nacht und deiner Gesellschaft verdammet,
Nächtliche Vögel die tausendjährigen Eichen durchirren.
Dieses ist dein Erbtheil. Wie werden, verachteter Jünger,
Vor dir die übrigen Eilfe mit triumphirender Stirne
Königlich vorbeygehn, und kaum im Staube dich merken!
Juda, du weinest vor Gram und edelmüthigem Zorne!
Sohn, du weinest umsonst, umsonst sind alle die Thränen,
Die du in deiner Verzweiflung vergießt, wenn du selbst dir nicht beystehst!

Höre

Dritter Geſang.

Hier wird unaufhoͤrlich, wie aus Ophiriſchen Jnſeln,
Gold gegraben; hier triefet das Thal, durch ſelige Jahre
Reich und unerſchoͤpflich, vom Ueberfluſſe des Segens.
Dieß iſt des auserwaͤhlten Johannes geſegnetes Erbe.
Jene mit hohen Traubengelendern umhangenen Huͤgel,
Dieſe von wallendem Korn weit uͤberfließenden Auen
Sind dem geliebteſten Petrus von ſeinem Meßias gegeben.
Siehſt du den ganzen Reichthum des Landes? Wie hier ſich die Staͤdte
Gleich der Koͤnigstochter, Jeruſalem, unter der Sonne
Glaͤnzend und hoch, voll unzaͤhlbarer Menſchen im Thale verbreiten!
Wie ſich neue Jordane dort, die Staͤdte zu waͤſſern,
Unter der Umwoͤlbung der hohen Mauern dahinziehn!
Gaͤrten, gleich dem befruchteten Eden, umſchatten den Goldſand
Jhrer Geſtade. Dieß ſind die Koͤnigreiche der Juͤnger.
Aber erblickſt du, Jſcharioth, auch in jener Entfernung
Dieſes kleine gebirgigte Land? Da liegt es veroͤdet,
Wild, unbewohnt und ſteinigt mit duͤrren Gehoͤlzen durchwachſen.
Auf ihm ruhet die Nacht in kalten weinenden Wolken,
Unter ihr Eis und nordiſcher Schnee in unfruchtbaren Tiefen,
Wo zur Einoͤd und Nacht und deiner Geſellſchaft verdammet,
Naͤchtliche Voͤgel die tauſendjaͤhrigen Eichen durchirren.
Dieſes iſt dein Erbtheil. Wie werden, verachteter Juͤnger,
Vor dir die uͤbrigen Eilfe mit triumphirender Stirne
Koͤniglich vorbeygehn, und kaum im Staube dich merken!
Juda, du weineſt vor Gram und edelmuͤthigem Zorne!
Sohn, du weineſt umſonſt, umſonſt ſind alle die Thraͤnen,
Die du in deiner Verzweiflung vergießt, wenn du ſelbſt dir nicht beyſtehſt!

Hoͤre
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[95/0107] Dritter Geſang. Hier wird unaufhoͤrlich, wie aus Ophiriſchen Jnſeln, Gold gegraben; hier triefet das Thal, durch ſelige Jahre Reich und unerſchoͤpflich, vom Ueberfluſſe des Segens. Dieß iſt des auserwaͤhlten Johannes geſegnetes Erbe. Jene mit hohen Traubengelendern umhangenen Huͤgel, Dieſe von wallendem Korn weit uͤberfließenden Auen Sind dem geliebteſten Petrus von ſeinem Meßias gegeben. Siehſt du den ganzen Reichthum des Landes? Wie hier ſich die Staͤdte Gleich der Koͤnigstochter, Jeruſalem, unter der Sonne Glaͤnzend und hoch, voll unzaͤhlbarer Menſchen im Thale verbreiten! Wie ſich neue Jordane dort, die Staͤdte zu waͤſſern, Unter der Umwoͤlbung der hohen Mauern dahinziehn! Gaͤrten, gleich dem befruchteten Eden, umſchatten den Goldſand Jhrer Geſtade. Dieß ſind die Koͤnigreiche der Juͤnger. Aber erblickſt du, Jſcharioth, auch in jener Entfernung Dieſes kleine gebirgigte Land? Da liegt es veroͤdet, Wild, unbewohnt und ſteinigt mit duͤrren Gehoͤlzen durchwachſen. Auf ihm ruhet die Nacht in kalten weinenden Wolken, Unter ihr Eis und nordiſcher Schnee in unfruchtbaren Tiefen, Wo zur Einoͤd und Nacht und deiner Geſellſchaft verdammet, Naͤchtliche Voͤgel die tauſendjaͤhrigen Eichen durchirren. Dieſes iſt dein Erbtheil. Wie werden, verachteter Juͤnger, Vor dir die uͤbrigen Eilfe mit triumphirender Stirne Koͤniglich vorbeygehn, und kaum im Staube dich merken! Juda, du weineſt vor Gram und edelmuͤthigem Zorne! Sohn, du weineſt umſonſt, umſonſt ſind alle die Thraͤnen, Die du in deiner Verzweiflung vergießt, wenn du ſelbſt dir nicht beyſtehſt! Hoͤre

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/107>, abgerufen am 06.05.2024.