Wir haben mit Vorsaz noch nichts davon er- wähnt, weil wir die Geschichtschreiber eben nicht sehr bewundern, welche, nachdem die Sachen nun geschehen sind, bis zu dem frühe- sten Vorhergange zurück spüren, und in dem- selben das Geschehne, als notwendig künftig, bisweilen zwar wol recht gut, aber doch im- mer zu spät entdecken. Dieß verleitet oft scharfsichtige, und sogar tiefsinnige Männer zu Geschwäz; und vornämlich bringt es sie von ihrem Hauptzwecke ab, welcher kein andrer senn kann, als die wirklichen Begebenheiten nach ihrer wahren Beschaffenheit zu erzählen. Sobald aber der Vorhergang schon einen Theil der Begebenheiten selbst ausmacht, ob er gleich, wegen noch fehlender Folge, nicht mit völliger Gewisheit dafür gehalten werden kann; so darf ihn der Geschichtschreiber, als einen solchen, anführen. Die meisten Mit- glieder der Berliner und Manheimer Acade- mien hatten sich, ob wohl verschiedne von ih- nen auch auf andern Zünften hätten seyn kön- nen, auf die Zünfte der Naturforscher, der Mathematiker, und der Weltweisen begeben. Die Absicht, warum sie vornämlich auf diesen Zünften Einflüsse zu haben gesucht hatten, war gestern, durch gewisse Erklärungen wider einige Geseze vom Hochverrathe, sehr kenbar
ge-
Wir haben mit Vorſaz noch nichts davon er- waͤhnt, weil wir die Geſchichtſchreiber eben nicht ſehr bewundern, welche, nachdem die Sachen nun geſchehen ſind, bis zu dem fruͤhe- ſten Vorhergange zuruͤck ſpuͤren, und in dem- ſelben das Geſchehne, als notwendig kuͤnftig, bisweilen zwar wol recht gut, aber doch im- mer zu ſpaͤt entdecken. Dieß verleitet oft ſcharfſichtige, und ſogar tiefſinnige Maͤnner zu Geſchwaͤz; und vornaͤmlich bringt es ſie von ihrem Hauptzwecke ab, welcher kein andrer ſenn kann, als die wirklichen Begebenheiten nach ihrer wahren Beſchaffenheit zu erzaͤhlen. Sobald aber der Vorhergang ſchon einen Theil der Begebenheiten ſelbſt ausmacht, ob er gleich, wegen noch fehlender Folge, nicht mit voͤlliger Gewisheit dafuͤr gehalten werden kann; ſo darf ihn der Geſchichtſchreiber, als einen ſolchen, anfuͤhren. Die meiſten Mit- glieder der Berliner und Manheimer Acade- mien hatten ſich, ob wohl verſchiedne von ih- nen auch auf andern Zuͤnften haͤtten ſeyn koͤn- nen, auf die Zuͤnfte der Naturforſcher, der Mathematiker, und der Weltweiſen begeben. Die Abſicht, warum ſie vornaͤmlich auf dieſen Zuͤnften Einfluͤſſe zu haben geſucht hatten, war geſtern, durch gewiſſe Erklaͤrungen wider einige Geſeze vom Hochverrathe, ſehr kenbar
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Wir haben mit Vorſaz noch nichts davon er-
waͤhnt, weil wir die Geſchichtſchreiber eben
nicht ſehr bewundern, welche, nachdem die
Sachen nun geſchehen ſind, bis zu dem fruͤhe-
ſten Vorhergange zuruͤck ſpuͤren, und in dem-
ſelben das Geſchehne, als notwendig kuͤnftig,
bisweilen zwar wol recht gut, aber doch im-
mer zu ſpaͤt entdecken. Dieß verleitet oft
ſcharfſichtige, und ſogar tiefſinnige Maͤnner
zu Geſchwaͤz; und vornaͤmlich bringt es ſie
von ihrem Hauptzwecke ab, welcher kein andrer
ſenn kann, als die wirklichen Begebenheiten
nach ihrer wahren Beſchaffenheit zu erzaͤhlen.
Sobald aber der Vorhergang ſchon einen
Theil der Begebenheiten ſelbſt ausmacht, ob
er gleich, wegen noch fehlender Folge, nicht
mit voͤlliger Gewisheit dafuͤr gehalten werden
kann; ſo darf ihn der Geſchichtſchreiber, als
einen ſolchen, anfuͤhren. Die meiſten Mit-
glieder der Berliner und Manheimer Acade-
mien hatten ſich, ob wohl verſchiedne von ih-
nen auch auf andern Zuͤnften haͤtten ſeyn koͤn-
nen, auf die Zuͤnfte der Naturforſcher, der
Mathematiker, und der Weltweiſen begeben.
Die Abſicht, warum ſie vornaͤmlich auf dieſen
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war geſtern, durch gewiſſe Erklaͤrungen wider
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/471>, abgerufen am 22.11.2024.
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