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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

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war denn doch der Augenblik da, der's entscheiden
konte, was an der Sache wäre. Ausser dem war
unsre Neubegierde unaussprechlich groß. Weil einer
von uns Unteraufseher des grossen Büchersaals ist;
so konten wir mit Rohrdommeln, wie er verlangte,
dahinein gehn. Kaum war die Thüre hinter uns
verschlossen, so fing er an das Fünfek auf den Bo-
den zu zeichnen. Als er fertig war, sagte er: Wir
möchten uns uun auf die Bücher besinnen, von de-
nen wir glaubten, daß es mit ihnen vorbey wäre,
und deren Gespenster wir sehen wolten. Wären sie
aber, seiner Einsicht nach, noch am Leben; so be-
schwür er nicht, und dann müsten wir andre nen-
nen. Uebrigens solten wir, wenn er sänge, so gut
wir könten, aber nur leise, mitsingen. Uns war
noch immer sehr lacherhaft zu Mute; aber wir
nahmen uns gleichwol vor, zu thun, was er sagte.
Er strich, so lange er redte, und eh wir uns beson-
nen hatten, diesen grossen Bart, den ihr vor euch
sehet, mit besondrer Lebhaftigkeit, und gleichsam
nach dem Tacte, ja bisweilen kräuselte er auch dar-
an. Wenn der erste Schrecken vorbey ist (wir moch-
ten wol angefangen haben ein wenig blaß auszusehn)
so ist aller Schrecken vorbey! rief er einmal übers
andre; aber darinn hat er nicht wahr geredet. Denn
zulezt wurd es leider! über die Maassen arg. R.
Was kann ich davor, daß ihr so tollkühn wurdet,
und das, mit solchem Ungestüme, von mir verlang-
tet? Must ich denn etwa nicht endlich nachgeben?
J. Als wir Rohrdommeln jezo zu erkennen gegeben
hatten, daß wir uns auf Bücher besonnen hätten,
so hieß er uns dem Fünfecke etwas näher treten.
A. Nantet ihr dieß oder jenes Buch aus besondern
Ursachen, oder nur, weil es euch zuerst eingefallen

war?
B b 3

war denn doch der Augenblik da, der’s entſcheiden
konte, was an der Sache waͤre. Auſſer dem war
unſre Neubegierde unausſprechlich groß. Weil einer
von uns Unteraufſeher des groſſen Buͤcherſaals iſt;
ſo konten wir mit Rohrdommeln, wie er verlangte,
dahinein gehn. Kaum war die Thuͤre hinter uns
verſchloſſen, ſo fing er an das Fuͤnfek auf den Bo-
den zu zeichnen. Als er fertig war, ſagte er: Wir
moͤchten uns uun auf die Buͤcher beſinnen, von de-
nen wir glaubten, daß es mit ihnen vorbey waͤre,
und deren Geſpenſter wir ſehen wolten. Waͤren ſie
aber, ſeiner Einſicht nach, noch am Leben; ſo be-
ſchwuͤr er nicht, und dann muͤſten wir andre nen-
nen. Uebrigens ſolten wir, wenn er ſaͤnge, ſo gut
wir koͤnten, aber nur leiſe, mitſingen. Uns war
noch immer ſehr lacherhaft zu Mute; aber wir
nahmen uns gleichwol vor, zu thun, was er ſagte.
Er ſtrich, ſo lange er redte, und eh wir uns beſon-
nen hatten, dieſen groſſen Bart, den ihr vor euch
ſehet, mit beſondrer Lebhaftigkeit, und gleichſam
nach dem Tacte, ja bisweilen kraͤuſelte er auch dar-
an. Wenn der erſte Schrecken vorbey iſt (wir moch-
ten wol angefangen haben ein wenig blaß auszuſehn)
ſo iſt aller Schrecken vorbey! rief er einmal uͤbers
andre; aber darinn hat er nicht wahr geredet. Denn
zulezt wurd es leider! uͤber die Maaſſen arg. R.
Was kann ich davor, daß ihr ſo tollkuͤhn wurdet,
und das, mit ſolchem Ungeſtuͤme, von mir verlang-
tet? Muſt ich denn etwa nicht endlich nachgeben?
J. Als wir Rohrdommeln jezo zu erkennen gegeben
hatten, daß wir uns auf Buͤcher beſonnen haͤtten,
ſo hieß er uns dem Fuͤnfecke etwas naͤher treten.
A. Nantet ihr dieß oder jenes Buch aus beſondern
Urſachen, oder nur, weil es euch zuerſt eingefallen

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[389/0465] war denn doch der Augenblik da, der’s entſcheiden konte, was an der Sache waͤre. Auſſer dem war unſre Neubegierde unausſprechlich groß. Weil einer von uns Unteraufſeher des groſſen Buͤcherſaals iſt; ſo konten wir mit Rohrdommeln, wie er verlangte, dahinein gehn. Kaum war die Thuͤre hinter uns verſchloſſen, ſo fing er an das Fuͤnfek auf den Bo- den zu zeichnen. Als er fertig war, ſagte er: Wir moͤchten uns uun auf die Buͤcher beſinnen, von de- nen wir glaubten, daß es mit ihnen vorbey waͤre, und deren Geſpenſter wir ſehen wolten. Waͤren ſie aber, ſeiner Einſicht nach, noch am Leben; ſo be- ſchwuͤr er nicht, und dann muͤſten wir andre nen- nen. Uebrigens ſolten wir, wenn er ſaͤnge, ſo gut wir koͤnten, aber nur leiſe, mitſingen. Uns war noch immer ſehr lacherhaft zu Mute; aber wir nahmen uns gleichwol vor, zu thun, was er ſagte. Er ſtrich, ſo lange er redte, und eh wir uns beſon- nen hatten, dieſen groſſen Bart, den ihr vor euch ſehet, mit beſondrer Lebhaftigkeit, und gleichſam nach dem Tacte, ja bisweilen kraͤuſelte er auch dar- an. Wenn der erſte Schrecken vorbey iſt (wir moch- ten wol angefangen haben ein wenig blaß auszuſehn) ſo iſt aller Schrecken vorbey! rief er einmal uͤbers andre; aber darinn hat er nicht wahr geredet. Denn zulezt wurd es leider! uͤber die Maaſſen arg. R. Was kann ich davor, daß ihr ſo tollkuͤhn wurdet, und das, mit ſolchem Ungeſtuͤme, von mir verlang- tet? Muſt ich denn etwa nicht endlich nachgeben? J. Als wir Rohrdommeln jezo zu erkennen gegeben hatten, daß wir uns auf Buͤcher beſonnen haͤtten, ſo hieß er uns dem Fuͤnfecke etwas naͤher treten. A. Nantet ihr dieß oder jenes Buch aus beſondern Urſachen, oder nur, weil es euch zuerſt eingefallen war? B b 3

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Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/465>, abgerufen am 22.11.2024.