Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Buch.
kalte Hand/ bald einen Kopff voll Haare/ und an-
dere bereits vermoderte Menschen-Glieder/ in die
Hand bekommen hätte: Welches ihm dermas-
sen entsetzlich vorkam/ daß er fast seiner Schmer-
tzen vergaß/ und nach ergrieffenen Sebel und
Mantel auff allen Vieren sich eilend nach dem
Ausgang der Hölen begab: alda er sich/ um seinen
elenden Zustand recht zu betrachten/ und mit sich
zu rathe zu gehen/ was und wie er ferner seine Sa-
che anstellen/ und wohin er sich bey so eiteler
Nacht wenden wolte/ auf seinen zusammengeroll-
ten Mantel setzte. Denn in der furchtsamen
Hölen die gantze Nacht zu bleiben/ wolte er lieber
den Tod erwehlen: zumahl der Mond den Un-
tergang dräute. Jhr Götter! hub er bey sich selb-
sten an/ so müssen mich auch durch euer ungerech-
tes Schicksal die Todten verfolgen und ängsti-
gen/ nachdem die Lebendigen euren Befehl/ mich
in das Grab zustürtzen/ nicht vollbringen können.
Jst dieses die Ruhe/ deren ihr mich durch euren
Priester zu Pandior versichern lassen? Doch sol-
te mir dieses Elend eine Erfüllung euer Zusage
seyn: wenn ich nur wüste/ daß hiedurch der himm-
lischen Banisen im geringsten geholffen würde.
Ja/ könte ich ihre Befreyung und Sicherheit be-
fördern: ich wolte mich gern als ein Todter diesen
Todten beygesellen. Verhasten Götter! Jch sehe
es wohl/ daß ihr meinen Untergang beschlossen
habt: ich bitte euch aber um euer vermeinten Ge-
rechtigkeit willen; ihr wollet mein Leben verspa-

ren/
A 5

Erſtes Buch.
kalte Hand/ bald einen Kopff voll Haare/ und an-
dere bereits vermoderte Menſchen-Glieder/ in die
Hand bekommen haͤtte: Welches ihm dermaſ-
ſen entſetzlich vorkam/ daß er faſt ſeiner Schmer-
tzen vergaß/ und nach ergrieffenen Sebel und
Mantel auff allen Vieren ſich eilend nach dem
Ausgang der Hoͤlen begab: alda er ſich/ um ſeinen
elenden Zuſtand recht zu betrachten/ und mit ſich
zu rathe zu gehen/ was und wie er ferner ſeine Sa-
che anſtellen/ und wohin er ſich bey ſo eiteler
Nacht wenden wolte/ auf ſeinen zuſammengeroll-
ten Mantel ſetzte. Denn in der furchtſamen
Hoͤlen die gantze Nacht zu bleiben/ wolte er lieber
den Tod erwehlen: zumahl der Mond den Un-
tergang draͤute. Jhr Goͤtter! hub er bey ſich ſelb-
ſten an/ ſo muͤſſen mich auch durch euer ungerech-
tes Schickſal die Todten verfolgen und aͤngſti-
gen/ nachdem die Lebendigen euren Befehl/ mich
in das Grab zuſtuͤrtzen/ nicht vollbringen koͤnnen.
Jſt dieſes die Ruhe/ deren ihr mich durch euren
Prieſter zu Pandior verſichern laſſen? Doch ſol-
te mir dieſes Elend eine Erfuͤllung euer Zuſage
ſeyn: wenn ich nur wuͤſte/ daß hiedurch der him̃-
liſchen Baniſen im geringſten geholffen wuͤrde.
Ja/ koͤnte ich ihre Befreyung und Sicherheit be-
foͤrdern: ich wolte mich gern als ein Todter dieſen
Todten beygeſellen. Verhaſten Goͤtter! Jch ſehe
es wohl/ daß ihr meinen Untergang beſchloſſen
habt: ich bitte euch aber um euer vermeinten Ge-
rechtigkeit willen; ihr wollet mein Leben verſpa-

ren/
A 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="9"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Buch.</hi></fw><lb/>
kalte Hand/ bald einen Kopff voll Haare/ und an-<lb/>
dere bereits vermoderte Men&#x017F;chen-Glieder/ in die<lb/>
Hand bekommen ha&#x0364;tte: Welches ihm derma&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en ent&#x017F;etzlich vorkam/ daß er fa&#x017F;t &#x017F;einer Schmer-<lb/>
tzen vergaß/ und nach ergrieffenen Sebel und<lb/>
Mantel auff allen Vieren &#x017F;ich eilend nach dem<lb/>
Ausgang der Ho&#x0364;len begab: alda er &#x017F;ich/ um &#x017F;einen<lb/>
elenden Zu&#x017F;tand recht zu betrachten/ und mit &#x017F;ich<lb/>
zu rathe zu gehen/ was und wie er ferner &#x017F;eine Sa-<lb/>
che an&#x017F;tellen/ und wohin er &#x017F;ich bey &#x017F;o eiteler<lb/>
Nacht wenden wolte/ auf &#x017F;einen zu&#x017F;ammengeroll-<lb/>
ten Mantel &#x017F;etzte. Denn in der furcht&#x017F;amen<lb/>
Ho&#x0364;len die gantze Nacht zu bleiben/ wolte er lieber<lb/>
den Tod erwehlen: zumahl der Mond den Un-<lb/>
tergang dra&#x0364;ute. Jhr Go&#x0364;tter! hub er bey &#x017F;ich &#x017F;elb-<lb/>
&#x017F;ten an/ &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en mich auch durch euer ungerech-<lb/>
tes Schick&#x017F;al die Todten verfolgen und a&#x0364;ng&#x017F;ti-<lb/>
gen/ nachdem die Lebendigen euren Befehl/ mich<lb/>
in das Grab zu&#x017F;tu&#x0364;rtzen/ nicht vollbringen ko&#x0364;nnen.<lb/>
J&#x017F;t die&#x017F;es die Ruhe/ deren ihr mich durch euren<lb/>
Prie&#x017F;ter zu Pandior ver&#x017F;ichern la&#x017F;&#x017F;en? Doch &#x017F;ol-<lb/>
te mir die&#x017F;es Elend eine Erfu&#x0364;llung euer Zu&#x017F;age<lb/>
&#x017F;eyn: wenn ich nur wu&#x0364;&#x017F;te/ daß hiedurch der him&#x0303;-<lb/>
li&#x017F;chen Bani&#x017F;en im gering&#x017F;ten geholffen wu&#x0364;rde.<lb/>
Ja/ ko&#x0364;nte ich ihre Befreyung und Sicherheit be-<lb/>
fo&#x0364;rdern: ich wolte mich gern als ein Todter die&#x017F;en<lb/>
Todten beyge&#x017F;ellen. Verha&#x017F;ten Go&#x0364;tter! Jch &#x017F;ehe<lb/>
es wohl/ daß ihr meinen Untergang be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
habt: ich bitte euch aber um euer vermeinten Ge-<lb/>
rechtigkeit willen; ihr wollet mein Leben ver&#x017F;pa-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 5</fw><fw place="bottom" type="catch">ren/</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0029] Erſtes Buch. kalte Hand/ bald einen Kopff voll Haare/ und an- dere bereits vermoderte Menſchen-Glieder/ in die Hand bekommen haͤtte: Welches ihm dermaſ- ſen entſetzlich vorkam/ daß er faſt ſeiner Schmer- tzen vergaß/ und nach ergrieffenen Sebel und Mantel auff allen Vieren ſich eilend nach dem Ausgang der Hoͤlen begab: alda er ſich/ um ſeinen elenden Zuſtand recht zu betrachten/ und mit ſich zu rathe zu gehen/ was und wie er ferner ſeine Sa- che anſtellen/ und wohin er ſich bey ſo eiteler Nacht wenden wolte/ auf ſeinen zuſammengeroll- ten Mantel ſetzte. Denn in der furchtſamen Hoͤlen die gantze Nacht zu bleiben/ wolte er lieber den Tod erwehlen: zumahl der Mond den Un- tergang draͤute. Jhr Goͤtter! hub er bey ſich ſelb- ſten an/ ſo muͤſſen mich auch durch euer ungerech- tes Schickſal die Todten verfolgen und aͤngſti- gen/ nachdem die Lebendigen euren Befehl/ mich in das Grab zuſtuͤrtzen/ nicht vollbringen koͤnnen. Jſt dieſes die Ruhe/ deren ihr mich durch euren Prieſter zu Pandior verſichern laſſen? Doch ſol- te mir dieſes Elend eine Erfuͤllung euer Zuſage ſeyn: wenn ich nur wuͤſte/ daß hiedurch der him̃- liſchen Baniſen im geringſten geholffen wuͤrde. Ja/ koͤnte ich ihre Befreyung und Sicherheit be- foͤrdern: ich wolte mich gern als ein Todter dieſen Todten beygeſellen. Verhaſten Goͤtter! Jch ſehe es wohl/ daß ihr meinen Untergang beſchloſſen habt: ich bitte euch aber um euer vermeinten Ge- rechtigkeit willen; ihr wollet mein Leben verſpa- ren/ A 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zum Zeitpunkt der Volltextdigitalisierung im Deut… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689/29
Zitationshilfe: Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689/29>, abgerufen am 18.12.2024.