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Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700.

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Erstes Buch.
zeihe mir das bißweilen geschöpffte Mißtrauen
wegen deiner beständigen Liebe/ worzu mich dein
so langes Stillschweigen veranlasset. Doch wen
die Liebe mit gleichen Fesseln beleget hat/ der wird
wissen/ wie die gröste Furcht mit der treuesten Liebe
verbunden sey. Die Götter wissen es/ mit was
Sorgen ich die Ruhe gesuchet/ und mit was
Kummer ich iederzeit das Licht der Sonnen auff-
gehen gesehen. Jhr seyd allzu besorgt gewesen/
redete hier der Printz ein/ indem die beschuldigte
Wanckelmuth sich mehr bey dem Frauenzim-
mer/ als denen standhafften Mannsbildern ver-
spühren läst. Und hätte Printz Nherandi mit
mehrerm Recht einiges Mißtrauen schöpffen kön-
nen/ dessen er doch mit keinem Worte gedencket.
Ach schweiget/ Hertzens-Bruder/ antwortete die
Princeßin/ das Frauenzimmer und die Liebe ist
ein zartes Wesen/ und wollen auch dahero zärt-
lich mit sich umgegangen wissen. Was aber
zart ist/ das erfordert desto mehr Auffsicht/ auch
sich vor dem geringsten Fehler zu hüten/ ja ich
wolte sonder Mühe behaupten/ daß das Frauen-
zimmer im Lieben viel vollkommener sey/ als das
Männliche Geschlechte. Denn ein Mannsbild
bildet sich ein/ es sey ihm in der Ferne alles erlau-
bet/ und achtet sich eine Sonne zu seyn/ von wel-
cher auch andere Sterne ohne einige Verminde-
rung Liecht und Vergnügung schöpffen könten.
Ein Frauen-Bild hingegen bemühet sich auch
in der Ferne/ durch einsames Wesen erst recht be-

liebt
G 2

Erſtes Buch.
zeihe mir das bißweilen geſchoͤpffte Mißtrauen
wegen deiner beſtaͤndigen Liebe/ worzu mich dein
ſo langes Stillſchweigen veranlaſſet. Doch wen
die Liebe mit gleichen Feſſeln beleget hat/ der wird
wiſſen/ wie die groͤſte Furcht mit der treueſten Liebe
verbunden ſey. Die Goͤtter wiſſen es/ mit was
Sorgen ich die Ruhe geſuchet/ und mit was
Kummer ich iederzeit das Licht der Sonnen auff-
gehen geſehen. Jhr ſeyd allzu beſorgt geweſen/
redete hier der Printz ein/ indem die beſchuldigte
Wanckelmuth ſich mehr bey dem Frauenzim-
mer/ als denen ſtandhafften Mannsbildern ver-
ſpuͤhren laͤſt. Und haͤtte Printz Nherandi mit
mehrerm Recht einiges Mißtrauen ſchoͤpffen koͤn-
nen/ deſſen er doch mit keinem Worte gedencket.
Ach ſchweiget/ Hertzens-Bruder/ antwortete die
Princeßin/ das Frauenzimmer und die Liebe iſt
ein zartes Weſen/ und wollen auch dahero zaͤrt-
lich mit ſich umgegangen wiſſen. Was aber
zart iſt/ das erfordert deſto mehr Auffſicht/ auch
ſich vor dem geringſten Fehler zu huͤten/ ja ich
wolte ſonder Muͤhe behaupten/ daß das Frauen-
zimmer im Lieben viel vollkommener ſey/ als das
Maͤnnliche Geſchlechte. Denn ein Mannsbild
bildet ſich ein/ es ſey ihm in der Ferne alles erlau-
bet/ und achtet ſich eine Sonne zu ſeyn/ von wel-
cher auch andere Sterne ohne einige Verminde-
rung Liecht und Vergnuͤgung ſchoͤpffen koͤnten.
Ein Frauen-Bild hingegen bemuͤhet ſich auch
in der Ferne/ durch einſames Weſen erſt recht be-

liebt
G 2
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[99/0119] Erſtes Buch. zeihe mir das bißweilen geſchoͤpffte Mißtrauen wegen deiner beſtaͤndigen Liebe/ worzu mich dein ſo langes Stillſchweigen veranlaſſet. Doch wen die Liebe mit gleichen Feſſeln beleget hat/ der wird wiſſen/ wie die groͤſte Furcht mit der treueſten Liebe verbunden ſey. Die Goͤtter wiſſen es/ mit was Sorgen ich die Ruhe geſuchet/ und mit was Kummer ich iederzeit das Licht der Sonnen auff- gehen geſehen. Jhr ſeyd allzu beſorgt geweſen/ redete hier der Printz ein/ indem die beſchuldigte Wanckelmuth ſich mehr bey dem Frauenzim- mer/ als denen ſtandhafften Mannsbildern ver- ſpuͤhren laͤſt. Und haͤtte Printz Nherandi mit mehrerm Recht einiges Mißtrauen ſchoͤpffen koͤn- nen/ deſſen er doch mit keinem Worte gedencket. Ach ſchweiget/ Hertzens-Bruder/ antwortete die Princeßin/ das Frauenzimmer und die Liebe iſt ein zartes Weſen/ und wollen auch dahero zaͤrt- lich mit ſich umgegangen wiſſen. Was aber zart iſt/ das erfordert deſto mehr Auffſicht/ auch ſich vor dem geringſten Fehler zu huͤten/ ja ich wolte ſonder Muͤhe behaupten/ daß das Frauen- zimmer im Lieben viel vollkommener ſey/ als das Maͤnnliche Geſchlechte. Denn ein Mannsbild bildet ſich ein/ es ſey ihm in der Ferne alles erlau- bet/ und achtet ſich eine Sonne zu ſeyn/ von wel- cher auch andere Sterne ohne einige Verminde- rung Liecht und Vergnuͤgung ſchoͤpffen koͤnten. Ein Frauen-Bild hingegen bemuͤhet ſich auch in der Ferne/ durch einſames Weſen erſt recht be- liebt G 2

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Zitationshilfe: Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689/119>, abgerufen am 17.09.2024.