"Dieses feige, niederträchtige, abergläu- "bische, bebende Ding ist es also, vor dem "die kraftvollen Söhne Frankreichs zittern, "und von dem sie sich ohne Widerstand er- "würgen lassen? Ein Todtengerippe in Pur- "pur gehüllt, das kaum noch den Wunsch "zu leben aus der Brust hervorkeichen kann? "Und sie beben vor ihm, als ob ein gewal- "tiger Riese, dessen furchtbarer Arm, von "einem Ende des Reichs zu dem andern "reichte, auf ihrem Nacken säße! Treten "doch die feigsten Thiere vor die Höhle des "Löwen, wenn kraftloses Alter den Räuber "fesselt, und spotten des unvermögenden "Würgers."
Teufel. Dadurch eben unterscheidet sich der König der Menschen von dem Könige des Waldes. Dieser ist nur furchtbar, so lange er Kräfte hat; aber da jener die Kräfte seiner Sclaven an seinen Willen bin- det, so ist er gleich stark, er liege an der Gicht oder stehe in blühender Jugend an der Spitze der Heere. Fühlst du nun bald
daß
„Dieſes feige, niedertraͤchtige, aberglaͤu- „biſche, bebende Ding iſt es alſo, vor dem „die kraftvollen Soͤhne Frankreichs zittern, „und von dem ſie ſich ohne Widerſtand er- „wuͤrgen laſſen? Ein Todtengerippe in Pur- „pur gehuͤllt, das kaum noch den Wunſch „zu leben aus der Bruſt hervorkeichen kann? „Und ſie beben vor ihm, als ob ein gewal- „tiger Rieſe, deſſen furchtbarer Arm, von „einem Ende des Reichs zu dem andern „reichte, auf ihrem Nacken ſaͤße! Treten „doch die feigſten Thiere vor die Hoͤhle des „Loͤwen, wenn kraftloſes Alter den Raͤuber „feſſelt, und ſpotten des unvermoͤgenden „Wuͤrgers.“
Teufel. Dadurch eben unterſcheidet ſich der Koͤnig der Menſchen von dem Koͤnige des Waldes. Dieſer iſt nur furchtbar, ſo lange er Kraͤfte hat; aber da jener die Kraͤfte ſeiner Sclaven an ſeinen Willen bin- det, ſo iſt er gleich ſtark, er liege an der Gicht oder ſtehe in bluͤhender Jugend an der Spitze der Heere. Fuͤhlſt du nun bald
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„Dieſes feige, niedertraͤchtige, aberglaͤu-
„biſche, bebende Ding iſt es alſo, vor dem
„die kraftvollen Soͤhne Frankreichs zittern,
„und von dem ſie ſich ohne Widerſtand er-
„wuͤrgen laſſen? Ein Todtengerippe in Pur-
„pur gehuͤllt, das kaum noch den Wunſch
„zu leben aus der Bruſt hervorkeichen kann?
„Und ſie beben vor ihm, als ob ein gewal-
„tiger Rieſe, deſſen furchtbarer Arm, von
„einem Ende des Reichs zu dem andern
„reichte, auf ihrem Nacken ſaͤße! Treten
„doch die feigſten Thiere vor die Hoͤhle des
„Loͤwen, wenn kraftloſes Alter den Raͤuber
„feſſelt, und ſpotten des unvermoͤgenden
„Wuͤrgers.“
Teufel. Dadurch eben unterſcheidet ſich
der Koͤnig der Menſchen von dem Koͤnige
des Waldes. Dieſer iſt nur furchtbar, ſo
lange er Kraͤfte hat; aber da jener die
Kraͤfte ſeiner Sclaven an ſeinen Willen bin-
det, ſo iſt er gleich ſtark, er liege an der
Gicht oder ſtehe in bluͤhender Jugend an
der Spitze der Heere. Fuͤhlſt du nun bald
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/299>, abgerufen am 22.11.2024.
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