Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

zu sehen, und dem frommen Greise ein Al-
mosen zufließen zu lassen. Der Teufel ward
gerufen. Er fühlte sich selbst betroffen, von ih-
rer wunderbaren Schönheit, ihrer Sanft-
muth und Güte, und ward um so begieri-
ger ihre Sinne zu verwirren. Nun legte
sie ihr schwärmerisches Auge an die Oefnung
des Kastens, der Teufel leyerte seine All-
tagssprüche herunter, und gaukelte ihr stu-
fenweis die Scenen der Liebe bis zu den aus-
schweifendsten Vorspieglungen der Wollust
und des sinnlichen Genusses vor. Führte
ihre Fantasie so rasch und unmerklich vom
Geistigen zum Sinnlichen hinüber, daß sie
die Schattirung kaum gewahr werden konn-
te. Wenn sie das Auge zurückziehen woll-
te, so verwandelte sich der anstößige Gegen-
stand in ein erhabenes Bild, das den wi-
drigen Eindruck auslöschte, und das Herz
für das folgende zündbarer machte. Ihre
Wangen glühten, sie glaubte vor einer be-
zauberten, unbekannten Welt zu stehen. In
allen diesen Scenen ließ der Tausendkünst-

ler
Fausts Leben. P

zu ſehen, und dem frommen Greiſe ein Al-
moſen zufließen zu laſſen. Der Teufel ward
gerufen. Er fuͤhlte ſich ſelbſt betroffen, von ih-
rer wunderbaren Schoͤnheit, ihrer Sanft-
muth und Guͤte, und ward um ſo begieri-
ger ihre Sinne zu verwirren. Nun legte
ſie ihr ſchwaͤrmeriſches Auge an die Oefnung
des Kaſtens, der Teufel leyerte ſeine All-
tagsſpruͤche herunter, und gaukelte ihr ſtu-
fenweis die Scenen der Liebe bis zu den aus-
ſchweifendſten Vorſpieglungen der Wolluſt
und des ſinnlichen Genuſſes vor. Fuͤhrte
ihre Fantaſie ſo raſch und unmerklich vom
Geiſtigen zum Sinnlichen hinuͤber, daß ſie
die Schattirung kaum gewahr werden konn-
te. Wenn ſie das Auge zuruͤckziehen woll-
te, ſo verwandelte ſich der anſtoͤßige Gegen-
ſtand in ein erhabenes Bild, das den wi-
drigen Eindruck ausloͤſchte, und das Herz
fuͤr das folgende zuͤndbarer machte. Ihre
Wangen gluͤhten, ſie glaubte vor einer be-
zauberten, unbekannten Welt zu ſtehen. In
allen dieſen Scenen ließ der Tauſendkuͤnſt-

ler
Fauſts Leben. P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0236" n="225"/>
zu &#x017F;ehen, und dem frommen Grei&#x017F;e ein Al-<lb/>
mo&#x017F;en zufließen zu la&#x017F;&#x017F;en. Der Teufel ward<lb/>
gerufen. Er fu&#x0364;hlte &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t betroffen, von ih-<lb/>
rer wunderbaren Scho&#x0364;nheit, ihrer Sanft-<lb/>
muth und Gu&#x0364;te, und ward um &#x017F;o begieri-<lb/>
ger ihre Sinne zu verwirren. Nun legte<lb/>
&#x017F;ie ihr &#x017F;chwa&#x0364;rmeri&#x017F;ches Auge an die Oefnung<lb/>
des Ka&#x017F;tens, der Teufel leyerte &#x017F;eine All-<lb/>
tags&#x017F;pru&#x0364;che herunter, und gaukelte ihr &#x017F;tu-<lb/>
fenweis die Scenen der Liebe bis zu den aus-<lb/>
&#x017F;chweifend&#x017F;ten Vor&#x017F;pieglungen der Wollu&#x017F;t<lb/>
und des &#x017F;innlichen Genu&#x017F;&#x017F;es vor. Fu&#x0364;hrte<lb/>
ihre Fanta&#x017F;ie &#x017F;o ra&#x017F;ch und unmerklich vom<lb/>
Gei&#x017F;tigen zum Sinnlichen hinu&#x0364;ber, daß &#x017F;ie<lb/>
die Schattirung kaum gewahr werden konn-<lb/>
te. Wenn &#x017F;ie das Auge zuru&#x0364;ckziehen woll-<lb/>
te, &#x017F;o verwandelte &#x017F;ich der an&#x017F;to&#x0364;ßige Gegen-<lb/>
&#x017F;tand in ein erhabenes Bild, das den wi-<lb/>
drigen Eindruck auslo&#x0364;&#x017F;chte, und das Herz<lb/>
fu&#x0364;r das folgende zu&#x0364;ndbarer machte. Ihre<lb/>
Wangen glu&#x0364;hten, &#x017F;ie glaubte vor einer be-<lb/>
zauberten, unbekannten Welt zu &#x017F;tehen. In<lb/>
allen die&#x017F;en Scenen ließ der Tau&#x017F;endku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Fau&#x017F;ts Leben.</hi> P</fw><fw place="bottom" type="catch">ler</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0236] zu ſehen, und dem frommen Greiſe ein Al- moſen zufließen zu laſſen. Der Teufel ward gerufen. Er fuͤhlte ſich ſelbſt betroffen, von ih- rer wunderbaren Schoͤnheit, ihrer Sanft- muth und Guͤte, und ward um ſo begieri- ger ihre Sinne zu verwirren. Nun legte ſie ihr ſchwaͤrmeriſches Auge an die Oefnung des Kaſtens, der Teufel leyerte ſeine All- tagsſpruͤche herunter, und gaukelte ihr ſtu- fenweis die Scenen der Liebe bis zu den aus- ſchweifendſten Vorſpieglungen der Wolluſt und des ſinnlichen Genuſſes vor. Fuͤhrte ihre Fantaſie ſo raſch und unmerklich vom Geiſtigen zum Sinnlichen hinuͤber, daß ſie die Schattirung kaum gewahr werden konn- te. Wenn ſie das Auge zuruͤckziehen woll- te, ſo verwandelte ſich der anſtoͤßige Gegen- ſtand in ein erhabenes Bild, das den wi- drigen Eindruck ausloͤſchte, und das Herz fuͤr das folgende zuͤndbarer machte. Ihre Wangen gluͤhten, ſie glaubte vor einer be- zauberten, unbekannten Welt zu ſtehen. In allen dieſen Scenen ließ der Tauſendkuͤnſt- ler Fauſts Leben. P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/236
Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/236>, abgerufen am 07.05.2024.