"zu sprechen." Während die Pförtnerin die Geschichte mit allen Umständen erzählte, färbten sich die Wangen der jungen Non- nen hochroth, und die Sünde, die keine Gelegenheit entwischen läßt, unschuldige Herzen zu vergiften, schoß in ihr Blut, und dramatisirte in flüchtiger Eile ihrer Einbil- dungskraft, alle die gefährlichen Scenen vor. Wuth und Zorn zogen indessen ihre grimmigen Larven über die Gesichter der Al- ten. Die Aebtissinn zitterte an ihrem Sta- be, die Brille fiel von ihrer Nase, die Mut- ter Gottes stund indessen nackend in der Mitte, und schien den erstaunten und er- zürnten Nonnen zuzurufen, ihre Blöße zu decken. Da aber die Pförtnerin hinzu setzte, es sey die Schwester Klara, die der Teufel dem Dominikaner zugeführt hätte, so erfüll- te ein wilder Schrey den ganzen Saal. Nur Klara allein blieb gelassen, und nach- dem eine kleine Pause, auf das Zetergeschrey erfolgte, so sagte sie lächelnd: "Liebe "Schwestern, warum schreit ihr so fürchter-
"lich?
„zu ſprechen.“ Waͤhrend die Pfoͤrtnerin die Geſchichte mit allen Umſtaͤnden erzaͤhlte, faͤrbten ſich die Wangen der jungen Non- nen hochroth, und die Suͤnde, die keine Gelegenheit entwiſchen laͤßt, unſchuldige Herzen zu vergiften, ſchoß in ihr Blut, und dramatiſirte in fluͤchtiger Eile ihrer Einbil- dungskraft, alle die gefaͤhrlichen Scenen vor. Wuth und Zorn zogen indeſſen ihre grimmigen Larven uͤber die Geſichter der Al- ten. Die Aebtiſſinn zitterte an ihrem Sta- be, die Brille fiel von ihrer Naſe, die Mut- ter Gottes ſtund indeſſen nackend in der Mitte, und ſchien den erſtaunten und er- zuͤrnten Nonnen zuzurufen, ihre Bloͤße zu decken. Da aber die Pfoͤrtnerin hinzu ſetzte, es ſey die Schweſter Klara, die der Teufel dem Dominikaner zugefuͤhrt haͤtte, ſo erfuͤll- te ein wilder Schrey den ganzen Saal. Nur Klara allein blieb gelaſſen, und nach- dem eine kleine Pauſe, auf das Zetergeſchrey erfolgte, ſo ſagte ſie laͤchelnd: „Liebe „Schweſtern, warum ſchreit ihr ſo fuͤrchter-
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„zu ſprechen.“ Waͤhrend die Pfoͤrtnerin
die Geſchichte mit allen Umſtaͤnden erzaͤhlte,
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nen hochroth, und die Suͤnde, die keine
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vor. Wuth und Zorn zogen indeſſen ihre
grimmigen Larven uͤber die Geſichter der Al-
ten. Die Aebtiſſinn zitterte an ihrem Sta-
be, die Brille fiel von ihrer Naſe, die Mut-
ter Gottes ſtund indeſſen nackend in der
Mitte, und ſchien den erſtaunten und er-
zuͤrnten Nonnen zuzurufen, ihre Bloͤße zu
decken. Da aber die Pfoͤrtnerin hinzu ſetzte,
es ſey die Schweſter Klara, die der Teufel
dem Dominikaner zugefuͤhrt haͤtte, ſo erfuͤll-
te ein wilder Schrey den ganzen Saal.
Nur Klara allein blieb gelaſſen, und nach-
dem eine kleine Pauſe, auf das Zetergeſchrey
erfolgte, ſo ſagte ſie laͤchelnd: „Liebe
„Schweſtern, warum ſchreit ihr ſo fuͤrchter-
„lich?
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/23>, abgerufen am 24.11.2024.
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