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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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er starrte mechanisch dahin, wie wenn hier erst
der Vorhang des wahren Schauspiels für ihn
sich heben würde. Nach einer langen Pause
erschien eine einzelne ganz in schwarze Schleier
gehüllte hohe weibliche Gestalt, und hinter ihr
ein bildschöner Page, der durch den ausge-
spannten Sonnenschirm sie vor der Hitze schüzte.
Sie blieb unbeweglich auf der Tribune stehen,
und eben so unbeweglich stand ihr Juan gegen-
über; es war ihm als wenn das Räthsel sei-
nes Lebens hinter diesen Schleiern verborgen
wäre, und doch fürchtete er den Augenblick
wenn sie fallen würden, wie wenn ein bluti-
ger Bankos Geist sich daraus erheben sollte.

Endlich war der Moment gekommen, und
wie eine weiße Lilie blühete eine zauberische
weibliche Gestalt aus den Gewändern auf,
ihre Wangen schienen ohne Leben und die kaum
gefärbten Lippen waren still geschlossen; so
glich sie mehr dem bedeutungsvollen Bilde ei-
nes wunderbaren übermenschlichen Wesens, als
einem irdischen Weibe.


er ſtarrte mechaniſch dahin, wie wenn hier erſt
der Vorhang des wahren Schauſpiels fuͤr ihn
ſich heben wuͤrde. Nach einer langen Pauſe
erſchien eine einzelne ganz in ſchwarze Schleier
gehuͤllte hohe weibliche Geſtalt, und hinter ihr
ein bildſchoͤner Page, der durch den ausge-
ſpannten Sonnenſchirm ſie vor der Hitze ſchuͤzte.
Sie blieb unbeweglich auf der Tribune ſtehen,
und eben ſo unbeweglich ſtand ihr Juan gegen-
uͤber; es war ihm als wenn das Raͤthſel ſei-
nes Lebens hinter dieſen Schleiern verborgen
waͤre, und doch fuͤrchtete er den Augenblick
wenn ſie fallen wuͤrden, wie wenn ein bluti-
ger Bankos Geiſt ſich daraus erheben ſollte.

Endlich war der Moment gekommen, und
wie eine weiße Lilie bluͤhete eine zauberiſche
weibliche Geſtalt aus den Gewaͤndern auf,
ihre Wangen ſchienen ohne Leben und die kaum
gefaͤrbten Lippen waren ſtill geſchloſſen; ſo
glich ſie mehr dem bedeutungsvollen Bilde ei-
nes wunderbaren uͤbermenſchlichen Weſens, als
einem irdiſchen Weibe.


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[82/0084] er ſtarrte mechaniſch dahin, wie wenn hier erſt der Vorhang des wahren Schauſpiels fuͤr ihn ſich heben wuͤrde. Nach einer langen Pauſe erſchien eine einzelne ganz in ſchwarze Schleier gehuͤllte hohe weibliche Geſtalt, und hinter ihr ein bildſchoͤner Page, der durch den ausge- ſpannten Sonnenſchirm ſie vor der Hitze ſchuͤzte. Sie blieb unbeweglich auf der Tribune ſtehen, und eben ſo unbeweglich ſtand ihr Juan gegen- uͤber; es war ihm als wenn das Raͤthſel ſei- nes Lebens hinter dieſen Schleiern verborgen waͤre, und doch fuͤrchtete er den Augenblick wenn ſie fallen wuͤrden, wie wenn ein bluti- ger Bankos Geiſt ſich daraus erheben ſollte. Endlich war der Moment gekommen, und wie eine weiße Lilie bluͤhete eine zauberiſche weibliche Geſtalt aus den Gewaͤndern auf, ihre Wangen ſchienen ohne Leben und die kaum gefaͤrbten Lippen waren ſtill geſchloſſen; ſo glich ſie mehr dem bedeutungsvollen Bilde ei- nes wunderbaren uͤbermenſchlichen Weſens, als einem irdiſchen Weibe.

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/84>, abgerufen am 24.11.2024.