Jezt war's vorüber, das Räderwerk der Uhr machte sich Luft, der Zeiger rückte fort, und der erste Schlag der Mitternachtsstunde hallte langsam durch das öde Gewölbe. Da schien, wie durch das Anziehen des Uhrwerks, der Mann auf dem Grabe wieder Bewegung zu erhalten, der Dolch rollte rasselnd auf dem Steine hin, und zerbrach.
"Verwünscht sei die Starrsucht," sagte er kalt, wie wenn er's schon gewohnt wäre, "sie läßt mich nie den Stoß vollführen! --" Damit stand er, wie, wenn nichts weiter vor- gefallen wäre, auf, und wollte sich wieder entfernen.
"Du gefällst mir," rief ich, "es ist doch Haltung in deinem Leben, und ächte tragische Ruhe. Ich liebe die große klassische Würde im Menschen, die viel Worte haßt, wo viel gethan werden soll; und ein solcher salto mortale, wie der, zu dem du eben bereit warst, ist doch nichts
Jezt war’s voruͤber, das Raͤderwerk der Uhr machte ſich Luft, der Zeiger ruͤckte fort, und der erſte Schlag der Mitternachtsſtunde hallte langſam durch das oͤde Gewoͤlbe. Da ſchien, wie durch das Anziehen des Uhrwerks, der Mann auf dem Grabe wieder Bewegung zu erhalten, der Dolch rollte raſſelnd auf dem Steine hin, und zerbrach.
„Verwuͤnſcht ſei die Starrſucht,“ ſagte er kalt, wie wenn er’s ſchon gewohnt waͤre, „ſie laͤßt mich nie den Stoß vollfuͤhren! —“ Damit ſtand er, wie, wenn nichts weiter vor- gefallen waͤre, auf, und wollte ſich wieder entfernen.
„Du gefaͤllſt mir,“ rief ich, „es iſt doch Haltung in deinem Leben, und aͤchte tragiſche Ruhe. Ich liebe die große klaſſiſche Wuͤrde im Menſchen, die viel Worte haßt, wo viel gethan werden ſoll; und ein ſolcher salto mortale, wie der, zu dem du eben bereit warſt, iſt doch nichts
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0059"n="57"/><p>Jezt war’s voruͤber, das Raͤderwerk der<lb/>
Uhr machte ſich Luft, der Zeiger ruͤckte fort,<lb/>
und der erſte Schlag der Mitternachtsſtunde<lb/>
hallte langſam durch das oͤde Gewoͤlbe. Da<lb/>ſchien, wie durch das Anziehen des Uhrwerks,<lb/>
der Mann auf dem Grabe wieder Bewegung<lb/>
zu erhalten, der Dolch rollte raſſelnd auf dem<lb/>
Steine hin, und zerbrach.</p><lb/><p>„Verwuͤnſcht ſei die Starrſucht,“ſagte<lb/>
er kalt, wie wenn er’s ſchon gewohnt waͤre,<lb/>„ſie laͤßt mich nie den Stoß vollfuͤhren! —“<lb/>
Damit ſtand er, wie, wenn nichts weiter vor-<lb/>
gefallen waͤre, auf, und wollte ſich wieder<lb/>
entfernen.</p><lb/><p>„Du gefaͤllſt mir,“ rief ich, „es iſt doch Haltung<lb/>
in deinem Leben, und aͤchte tragiſche Ruhe. Ich<lb/>
liebe die große klaſſiſche Wuͤrde im Menſchen,<lb/>
die viel Worte haßt, wo viel gethan werden<lb/>ſoll; und ein ſolcher <hirendition="#aq">salto mortale,</hi> wie der,<lb/>
zu dem du eben bereit warſt, iſt doch nichts<lb/></p></div></body></text></TEI>
[57/0059]
Jezt war’s voruͤber, das Raͤderwerk der
Uhr machte ſich Luft, der Zeiger ruͤckte fort,
und der erſte Schlag der Mitternachtsſtunde
hallte langſam durch das oͤde Gewoͤlbe. Da
ſchien, wie durch das Anziehen des Uhrwerks,
der Mann auf dem Grabe wieder Bewegung
zu erhalten, der Dolch rollte raſſelnd auf dem
Steine hin, und zerbrach.
„Verwuͤnſcht ſei die Starrſucht,“ ſagte
er kalt, wie wenn er’s ſchon gewohnt waͤre,
„ſie laͤßt mich nie den Stoß vollfuͤhren! —“
Damit ſtand er, wie, wenn nichts weiter vor-
gefallen waͤre, auf, und wollte ſich wieder
entfernen.
„Du gefaͤllſt mir,“ rief ich, „es iſt doch Haltung
in deinem Leben, und aͤchte tragiſche Ruhe. Ich
liebe die große klaſſiſche Wuͤrde im Menſchen,
die viel Worte haßt, wo viel gethan werden
ſoll; und ein ſolcher salto mortale, wie der,
zu dem du eben bereit warſt, iſt doch nichts
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/59>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.