nur mich selbst! Kein Gegenstand war rings- um aufzufinden, als das große schreckliche Ich, das an sich selbst zehrte, und im Verschlingen stets sich wiedergebar. Ich sank nicht, denn es war kein Raum mehr, eben so wenig schien ich emporzuschweben. Die Abwechselung war zugleich mit der Zeit verschwunden, und es herrschte eine fürchterliche ewig öde Langeweile. Außer mir, versuchte ich mich zu vernichten -- aber ich blieb und fühlte mich unsterb- lich! --
Hier vernichtete sich der Traum in seiner eigenen Größe und ich erwachte tiefaufathmend -- das Licht war erloschen, ringsum tiefe Nacht; nur Ophelien hörte ich leise ihre Bal- laden singen, wie wenn sie jemand damit in den Schlaf wiegte. Ich tappte an den Wän- den aus meiner Kammer, neben mir schlichen draußen durch die Finsterniß noch Wahnsinnige und zischelten leise.
Ich öffnete Opheliens Thür, sie lag blaß auf ihrem Lager, bemüht ein todtes eben ge-
nur mich ſelbſt! Kein Gegenſtand war rings- um aufzufinden, als das große ſchreckliche Ich, das an ſich ſelbſt zehrte, und im Verſchlingen ſtets ſich wiedergebar. Ich ſank nicht, denn es war kein Raum mehr, eben ſo wenig ſchien ich emporzuſchweben. Die Abwechſelung war zugleich mit der Zeit verſchwunden, und es herrſchte eine fuͤrchterliche ewig oͤde Langeweile. Außer mir, verſuchte ich mich zu vernichten — aber ich blieb und fuͤhlte mich unſterb- lich! —
Hier vernichtete ſich der Traum in ſeiner eigenen Groͤße und ich erwachte tiefaufathmend — das Licht war erloſchen, ringsum tiefe Nacht; nur Ophelien hoͤrte ich leiſe ihre Bal- laden ſingen, wie wenn ſie jemand damit in den Schlaf wiegte. Ich tappte an den Waͤn- den aus meiner Kammer, neben mir ſchlichen draußen durch die Finſterniß noch Wahnſinnige und ziſchelten leiſe.
Ich oͤffnete Opheliens Thuͤr, ſie lag blaß auf ihrem Lager, bemuͤht ein todtes eben ge-
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nur mich ſelbſt! Kein Gegenſtand war rings-
um aufzufinden, als das große ſchreckliche Ich,
das an ſich ſelbſt zehrte, und im Verſchlingen
ſtets ſich wiedergebar. Ich ſank nicht, denn
es war kein Raum mehr, eben ſo wenig ſchien
ich emporzuſchweben. Die Abwechſelung war
zugleich mit der Zeit verſchwunden, und es
herrſchte eine fuͤrchterliche ewig oͤde Langeweile.
Außer mir, verſuchte ich mich zu vernichten
— aber ich blieb und fuͤhlte mich unſterb-
lich! —
Hier vernichtete ſich der Traum in ſeiner
eigenen Groͤße und ich erwachte tiefaufathmend
— das Licht war erloſchen, ringsum tiefe
Nacht; nur Ophelien hoͤrte ich leiſe ihre Bal-
laden ſingen, wie wenn ſie jemand damit in
den Schlaf wiegte. Ich tappte an den Waͤn-
den aus meiner Kammer, neben mir ſchlichen
draußen durch die Finſterniß noch Wahnſinnige
und ziſchelten leiſe.
Ich oͤffnete Opheliens Thuͤr, ſie lag blaß
auf ihrem Lager, bemuͤht ein todtes eben ge-
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/253>, abgerufen am 24.11.2024.
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