Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Gähnen, wenn tausend Narren und Verliebte
ihre Seufzer und Wünsche zu dir hinaufrich-
ten, und dich zu ihrem Vertrauten erkiesen;
so lange du auch schon um die Erde herumge-
laufen bist, als ihr Begleiter und Cicisbeo,
so hast du dich doch beständig als ein treuer
Confident gehalten, und man findet kein einzi-
ges Beispiel in der Weltgeschichte bis zu Adam
hin, wo du unwillig geworden wärest, die
Nase gerümpft, oder einige hämische Mienen
angenommen hättest, ob du gleich diese Seuf-
zer und Klagen schon tausend und abermaltau-
send male wiederholen hörtest. Noch immer
bist du gleich aufmerksam, ja man sieht dich
so oft gerührt das Wischtüchlein einer Wolke
vorhalten, um deine Thränen dahinter zu ver-
bergen. Welchen bessern Zuhörer könnte sich
ein seine Werke vorlesender Dichter wählen,
als dich, welchen innigern Vertrauten ich, der
ich hier im Tollhause mich liebend verzehre.
Wie blaß du bist, Guter, wie theilnehmend,
und zugleich wie aufmerksam auf alle, die noch

Gaͤhnen, wenn tauſend Narren und Verliebte
ihre Seufzer und Wuͤnſche zu dir hinaufrich-
ten, und dich zu ihrem Vertrauten erkieſen;
ſo lange du auch ſchon um die Erde herumge-
laufen biſt, als ihr Begleiter und Cicisbeo,
ſo haſt du dich doch beſtaͤndig als ein treuer
Confident gehalten, und man findet kein einzi-
ges Beiſpiel in der Weltgeſchichte bis zu Adam
hin, wo du unwillig geworden waͤreſt, die
Naſe geruͤmpft, oder einige haͤmiſche Mienen
angenommen haͤtteſt, ob du gleich dieſe Seuf-
zer und Klagen ſchon tauſend und abermaltau-
ſend male wiederholen hoͤrteſt. Noch immer
biſt du gleich aufmerkſam, ja man ſieht dich
ſo oft geruͤhrt das Wiſchtuͤchlein einer Wolke
vorhalten, um deine Thraͤnen dahinter zu ver-
bergen. Welchen beſſern Zuhoͤrer koͤnnte ſich
ein ſeine Werke vorleſender Dichter waͤhlen,
als dich, welchen innigern Vertrauten ich, der
ich hier im Tollhauſe mich liebend verzehre.
Wie blaß du biſt, Guter, wie theilnehmend,
und zugleich wie aufmerkſam auf alle, die noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0237" n="235"/>
Ga&#x0364;hnen, wenn tau&#x017F;end Narren und Verliebte<lb/>
ihre Seufzer und Wu&#x0364;n&#x017F;che zu dir hinaufrich-<lb/>
ten, und dich zu ihrem Vertrauten erkie&#x017F;en;<lb/>
&#x017F;o lange du auch &#x017F;chon um die Erde herumge-<lb/>
laufen bi&#x017F;t, als ihr Begleiter und Cicisbeo,<lb/>
&#x017F;o ha&#x017F;t du dich doch be&#x017F;ta&#x0364;ndig als ein treuer<lb/>
Confident gehalten, und man findet kein einzi-<lb/>
ges Bei&#x017F;piel in der Weltge&#x017F;chichte bis zu Adam<lb/>
hin, wo du unwillig geworden wa&#x0364;re&#x017F;t, die<lb/>
Na&#x017F;e geru&#x0364;mpft, oder einige ha&#x0364;mi&#x017F;che Mienen<lb/>
angenommen ha&#x0364;tte&#x017F;t, ob du gleich die&#x017F;e Seuf-<lb/>
zer und Klagen &#x017F;chon tau&#x017F;end und abermaltau-<lb/>
&#x017F;end male wiederholen ho&#x0364;rte&#x017F;t. Noch immer<lb/>
bi&#x017F;t du gleich aufmerk&#x017F;am, ja man &#x017F;ieht dich<lb/>
&#x017F;o oft geru&#x0364;hrt das Wi&#x017F;chtu&#x0364;chlein einer Wolke<lb/>
vorhalten, um deine Thra&#x0364;nen dahinter zu ver-<lb/>
bergen. Welchen be&#x017F;&#x017F;ern Zuho&#x0364;rer ko&#x0364;nnte &#x017F;ich<lb/>
ein &#x017F;eine Werke vorle&#x017F;ender Dichter wa&#x0364;hlen,<lb/>
als dich, welchen innigern Vertrauten ich, der<lb/>
ich hier im Tollhau&#x017F;e mich liebend verzehre.<lb/>
Wie blaß du bi&#x017F;t, Guter, wie theilnehmend,<lb/>
und zugleich wie aufmerk&#x017F;am auf alle, die noch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0237] Gaͤhnen, wenn tauſend Narren und Verliebte ihre Seufzer und Wuͤnſche zu dir hinaufrich- ten, und dich zu ihrem Vertrauten erkieſen; ſo lange du auch ſchon um die Erde herumge- laufen biſt, als ihr Begleiter und Cicisbeo, ſo haſt du dich doch beſtaͤndig als ein treuer Confident gehalten, und man findet kein einzi- ges Beiſpiel in der Weltgeſchichte bis zu Adam hin, wo du unwillig geworden waͤreſt, die Naſe geruͤmpft, oder einige haͤmiſche Mienen angenommen haͤtteſt, ob du gleich dieſe Seuf- zer und Klagen ſchon tauſend und abermaltau- ſend male wiederholen hoͤrteſt. Noch immer biſt du gleich aufmerkſam, ja man ſieht dich ſo oft geruͤhrt das Wiſchtuͤchlein einer Wolke vorhalten, um deine Thraͤnen dahinter zu ver- bergen. Welchen beſſern Zuhoͤrer koͤnnte ſich ein ſeine Werke vorleſender Dichter waͤhlen, als dich, welchen innigern Vertrauten ich, der ich hier im Tollhauſe mich liebend verzehre. Wie blaß du biſt, Guter, wie theilnehmend, und zugleich wie aufmerkſam auf alle, die noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/237
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/237>, abgerufen am 04.05.2024.