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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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fangen, wenn er weiter nichts mitbringt,
als sein naktes Ich und gesunde Glieder. Ich
kenne nichts einfältigeres in der Zeit worin wir
einmal leben, und wo die Aemter, die Wür-
den, die Ordensbänder und Sterne schon frü-
her fertig sind, als der, der sie tragen oder
bekleiden soll. Möchte ein armer Teufel, der
nicht mindestens bei seiner Geburt gleich in
einen warmen Rock fahren kann, nicht lieber
wünschen als ein Stumpf aus seiner Mutter-
leibe hervorzugehen, angestaunt und gespeiset
zu werden? Ich denke er versteht mich Kame-
rad!

Ich hab's auf alle Weise versucht mich fort-
zubringen, aber immer vergeblich; bis ich
endlich fand ich habe Kants Nase, Göthens
Augen, Lessings Stirn, Schillers Mund,
und den Hintern mehrerer berühmter Män-
ner; ich machte darauf aufmerksam und fand
Eingang, ja man fing an mich zu bewundern.
Jetzt trieb ich's weiter, ich schrieb an große

fangen, wenn er weiter nichts mitbringt,
als ſein naktes Ich und geſunde Glieder. Ich
kenne nichts einfaͤltigeres in der Zeit worin wir
einmal leben, und wo die Aemter, die Wuͤr-
den, die Ordensbaͤnder und Sterne ſchon fruͤ-
her fertig ſind, als der, der ſie tragen oder
bekleiden ſoll. Moͤchte ein armer Teufel, der
nicht mindeſtens bei ſeiner Geburt gleich in
einen warmen Rock fahren kann, nicht lieber
wuͤnſchen als ein Stumpf aus ſeiner Mutter-
leibe hervorzugehen, angeſtaunt und geſpeiſet
zu werden? Ich denke er verſteht mich Kame-
rad!

Ich hab’s auf alle Weiſe verſucht mich fort-
zubringen, aber immer vergeblich; bis ich
endlich fand ich habe Kants Naſe, Goͤthens
Augen, Leſſings Stirn, Schillers Mund,
und den Hintern mehrerer beruͤhmter Maͤn-
ner; ich machte darauf aufmerkſam und fand
Eingang, ja man fing an mich zu bewundern.
Jetzt trieb ich’s weiter, ich ſchrieb an große

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[204/0206] fangen, wenn er weiter nichts mitbringt, als ſein naktes Ich und geſunde Glieder. Ich kenne nichts einfaͤltigeres in der Zeit worin wir einmal leben, und wo die Aemter, die Wuͤr- den, die Ordensbaͤnder und Sterne ſchon fruͤ- her fertig ſind, als der, der ſie tragen oder bekleiden ſoll. Moͤchte ein armer Teufel, der nicht mindeſtens bei ſeiner Geburt gleich in einen warmen Rock fahren kann, nicht lieber wuͤnſchen als ein Stumpf aus ſeiner Mutter- leibe hervorzugehen, angeſtaunt und geſpeiſet zu werden? Ich denke er verſteht mich Kame- rad! Ich hab’s auf alle Weiſe verſucht mich fort- zubringen, aber immer vergeblich; bis ich endlich fand ich habe Kants Naſe, Goͤthens Augen, Leſſings Stirn, Schillers Mund, und den Hintern mehrerer beruͤhmter Maͤn- ner; ich machte darauf aufmerkſam und fand Eingang, ja man fing an mich zu bewundern. Jetzt trieb ich’s weiter, ich ſchrieb an große

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/206>, abgerufen am 23.11.2024.