Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

numente, auf denen steinerne Jungfrauen be-
tend schlummerten, mit künstlich abgeformten
Gesichtern, indeß drunten die Originale schon
die Masken abgeworfen hatten. --

Ich stellte mich hinter einen Pfeiler, drun-
ten war eine offene gemauerte Gruft -- ein
einsames Entkleidungskämmerchen für den ab-
gehenden Menschen -- im Kämmerchen brannte
eine blasse Todtenlampe und auf einem her-
vorragenden Steine befand sich ein Brod, ein
Krug Wasser, ein Kruzifix und ein Gebetbuch.
In der über die Gruft gebaueten Kirche herrschte
tiefe Stille unter den Heiligen, die von den
Wänden herabschaueten, nur wenn dann und
wann ein Windstoß durch das Orgelwerk fuhr,
heulte eine Pfeife unangenehm.

Der Zug ward endlich durch die Säulen
sichtbar -- viele schweigende Jungfrauen und
in der Mitte die wandelnde Braut des Todes
Der ganze Akt hätte für einen poetisch weich-

numente, auf denen ſteinerne Jungfrauen be-
tend ſchlummerten, mit kuͤnſtlich abgeformten
Geſichtern, indeß drunten die Originale ſchon
die Masken abgeworfen hatten. —

Ich ſtellte mich hinter einen Pfeiler, drun-
ten war eine offene gemauerte Gruft — ein
einſames Entkleidungskaͤmmerchen fuͤr den ab-
gehenden Menſchen — im Kaͤmmerchen brannte
eine blaſſe Todtenlampe und auf einem her-
vorragenden Steine befand ſich ein Brod, ein
Krug Waſſer, ein Kruzifix und ein Gebetbuch.
In der uͤber die Gruft gebaueten Kirche herrſchte
tiefe Stille unter den Heiligen, die von den
Waͤnden herabſchaueten, nur wenn dann und
wann ein Windſtoß durch das Orgelwerk fuhr,
heulte eine Pfeife unangenehm.

Der Zug ward endlich durch die Saͤulen
ſichtbar — viele ſchweigende Jungfrauen und
in der Mitte die wandelnde Braut des Todes
Der ganze Akt haͤtte fuͤr einen poetiſch weich-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0187" n="185"/>
numente, auf denen &#x017F;teinerne Jungfrauen be-<lb/>
tend &#x017F;chlummerten, mit ku&#x0364;n&#x017F;tlich abgeformten<lb/>
Ge&#x017F;ichtern, indeß drunten die Originale &#x017F;chon<lb/>
die Masken abgeworfen hatten. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;tellte mich hinter einen Pfeiler, drun-<lb/>
ten war eine offene gemauerte Gruft &#x2014; ein<lb/>
ein&#x017F;ames Entkleidungska&#x0364;mmerchen fu&#x0364;r den ab-<lb/>
gehenden Men&#x017F;chen &#x2014; im Ka&#x0364;mmerchen brannte<lb/>
eine bla&#x017F;&#x017F;e Todtenlampe und auf einem her-<lb/>
vorragenden Steine befand &#x017F;ich ein Brod, ein<lb/>
Krug Wa&#x017F;&#x017F;er, ein Kruzifix und ein Gebetbuch.<lb/>
In der u&#x0364;ber die Gruft gebaueten Kirche herr&#x017F;chte<lb/>
tiefe Stille unter den Heiligen, die von den<lb/>
Wa&#x0364;nden herab&#x017F;chaueten, nur wenn dann und<lb/>
wann ein Wind&#x017F;toß durch das Orgelwerk fuhr,<lb/>
heulte eine Pfeife unangenehm.</p><lb/>
        <p>Der Zug ward endlich durch die Sa&#x0364;ulen<lb/>
&#x017F;ichtbar &#x2014; viele &#x017F;chweigende Jungfrauen und<lb/>
in der Mitte die wandelnde Braut des Todes<lb/>
Der ganze Akt ha&#x0364;tte fu&#x0364;r einen poeti&#x017F;ch weich-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0187] numente, auf denen ſteinerne Jungfrauen be- tend ſchlummerten, mit kuͤnſtlich abgeformten Geſichtern, indeß drunten die Originale ſchon die Masken abgeworfen hatten. — Ich ſtellte mich hinter einen Pfeiler, drun- ten war eine offene gemauerte Gruft — ein einſames Entkleidungskaͤmmerchen fuͤr den ab- gehenden Menſchen — im Kaͤmmerchen brannte eine blaſſe Todtenlampe und auf einem her- vorragenden Steine befand ſich ein Brod, ein Krug Waſſer, ein Kruzifix und ein Gebetbuch. In der uͤber die Gruft gebaueten Kirche herrſchte tiefe Stille unter den Heiligen, die von den Waͤnden herabſchaueten, nur wenn dann und wann ein Windſtoß durch das Orgelwerk fuhr, heulte eine Pfeife unangenehm. Der Zug ward endlich durch die Saͤulen ſichtbar — viele ſchweigende Jungfrauen und in der Mitte die wandelnde Braut des Todes Der ganze Akt haͤtte fuͤr einen poetiſch weich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/187
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/187>, abgerufen am 06.05.2024.