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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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Ich wurde aber plözlich in meiner guten
Laune gerührt, so wie ein heftig Lachender
zulezt in Thränen ausbricht, als ich in einen
Winkel blikte, wo seine Kindheit gleichsam
als die einzige Freude und zugleich als die
einzige zurückgebliebene Möbel dem Erblaßten
stumm und bedeutend gegenübergestellt war;
es war ein altes verwittertes Gemälde, auf
dem die Farben schon halb verlöscht, so wie
dem Aberglauben nach auf den Portraiten Ver-
storbener die Wangenröthe verfliegt. Es stellte
den Poeten dar, wie er als ein freundlicher
lächelnder Knabe an der Brust seiner Mutter
spielte; ach das schöne Antliz war seine erste
und einzige Liebe und sie war ihm nur sterbend
untreu geworden. Hier in dem Bilde lachte
die Kindheit noch um ihn, und er stand in
dem Frühlingsgarten voll geschlossener Blumen-
knospen, nach deren Dufte er sich sehnte und
die ihm nur als Giftblumen aufbrachen und
den Tod gaben. Ich mußte mich schaudernd
abwenden als ich die Kopie, den lächelnden

Ich wurde aber ploͤzlich in meiner guten
Laune geruͤhrt, ſo wie ein heftig Lachender
zulezt in Thraͤnen ausbricht, als ich in einen
Winkel blikte, wo ſeine Kindheit gleichſam
als die einzige Freude und zugleich als die
einzige zuruͤckgebliebene Moͤbel dem Erblaßten
ſtumm und bedeutend gegenuͤbergeſtellt war;
es war ein altes verwittertes Gemaͤlde, auf
dem die Farben ſchon halb verloͤſcht, ſo wie
dem Aberglauben nach auf den Portraiten Ver-
ſtorbener die Wangenroͤthe verfliegt. Es ſtellte
den Poeten dar, wie er als ein freundlicher
laͤchelnder Knabe an der Bruſt ſeiner Mutter
ſpielte; ach das ſchoͤne Antliz war ſeine erſte
und einzige Liebe und ſie war ihm nur ſterbend
untreu geworden. Hier in dem Bilde lachte
die Kindheit noch um ihn, und er ſtand in
dem Fruͤhlingsgarten voll geſchloſſener Blumen-
knospen, nach deren Dufte er ſich ſehnte und
die ihm nur als Giftblumen aufbrachen und
den Tod gaben. Ich mußte mich ſchaudernd
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[138/0140] Ich wurde aber ploͤzlich in meiner guten Laune geruͤhrt, ſo wie ein heftig Lachender zulezt in Thraͤnen ausbricht, als ich in einen Winkel blikte, wo ſeine Kindheit gleichſam als die einzige Freude und zugleich als die einzige zuruͤckgebliebene Moͤbel dem Erblaßten ſtumm und bedeutend gegenuͤbergeſtellt war; es war ein altes verwittertes Gemaͤlde, auf dem die Farben ſchon halb verloͤſcht, ſo wie dem Aberglauben nach auf den Portraiten Ver- ſtorbener die Wangenroͤthe verfliegt. Es ſtellte den Poeten dar, wie er als ein freundlicher laͤchelnder Knabe an der Bruſt ſeiner Mutter ſpielte; ach das ſchoͤne Antliz war ſeine erſte und einzige Liebe und ſie war ihm nur ſterbend untreu geworden. Hier in dem Bilde lachte die Kindheit noch um ihn, und er ſtand in dem Fruͤhlingsgarten voll geſchloſſener Blumen- knospen, nach deren Dufte er ſich ſehnte und die ihm nur als Giftblumen aufbrachen und den Tod gaben. Ich mußte mich ſchaudernd abwenden als ich die Kopie, den laͤchelnden

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/140>, abgerufen am 24.11.2024.