Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleist, Ewald Christian von: Der Frühling. Berlin, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Frühling.
Die um sich giessenden Zoten. Bald sank der treulose Boden
Sie schnoben, schwammen zum Wald, umschlangen Tannen und
Eichen

Und huben sich träufelnd empor. Hier hingen sie ängstlich im
Wipfel

Von reissenden Winden, vom Heulen der Flüsse-speyenden Klippen
Und untern Tiefe gescheucht. Der Büsche versamlete Sänger
Betrachteten traurig und stumm von dürren Armen der Linden
Das vormals glückliche Thal, wo sie den flehenden Jungen
Im Dornstrauch Speise vertheilt. Die angekommene Lerche
Sich aufwerts schwingend, beschaute die Wasserwüste von oben
Und suchte verlassne Gefilde. Es flossen Schäuren und Wände
Und Dächer und Hütten herum. Aus Giebeln und gleitenden
Kähnen

Versah der trostlose Hirt sich einer Sündfluth, die vormals
Die Welt umrollte, daß Gemsen in schlagenden Wogen versan-
ken.

Der

Der Frühling.
Die um ſich gieſſenden Zoten. Bald ſank der treuloſe Boden
Sie ſchnoben, ſchwammen zum Wald, umſchlangen Tannen und
Eichen

Und huben ſich träufelnd empor. Hier hingen ſie ängſtlich im
Wipfel

Von reiſſenden Winden, vom Heulen der Flüſſe-ſpeyenden Klippen
Und untern Tiefe geſcheucht. Der Büſche verſamlete Sänger
Betrachteten traurig und ſtumm von dürren Armen der Linden
Das vormals glückliche Thal, wo ſie den flehenden Jungen
Im Dornſtrauch Speiſe vertheilt. Die angekommene Lerche
Sich aufwerts ſchwingend, beſchaute die Waſſerwüſte von oben
Und ſuchte verlaſſne Gefilde. Es floſſen Schäuren und Wände
Und Dächer und Hütten herum. Aus Giebeln und gleitenden
Kähnen

Verſah der troſtloſe Hirt ſich einer Sündfluth, die vormals
Die Welt umrollte, daß Gemſen in ſchlagenden Wogen verſan-
ken.

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="2">
            <pb facs="#f0010" n="8"/>
            <fw rendition="#i" type="header" place="top">Der Frühling.</fw><lb/>
            <l rendition="#i">Die um &#x017F;ich gie&#x017F;&#x017F;enden Zoten. Bald &#x017F;ank der treulo&#x017F;e Boden</l><lb/>
            <l rendition="#i">Sie &#x017F;chnoben, &#x017F;chwammen zum Wald, um&#x017F;chlangen Tannen und<lb/><hi rendition="#et">Eichen</hi></l><lb/>
            <l rendition="#i">Und huben &#x017F;ich träufelnd empor. Hier hingen &#x017F;ie äng&#x017F;tlich im<lb/><hi rendition="#et">Wipfel</hi></l><lb/>
            <l rendition="#i">Von rei&#x017F;&#x017F;enden Winden, vom Heulen der Flü&#x017F;&#x017F;e-&#x017F;peyenden Klippen</l><lb/>
            <l rendition="#i">Und untern Tiefe ge&#x017F;cheucht. Der Bü&#x017F;che ver&#x017F;amlete Sänger</l><lb/>
            <l rendition="#i">Betrachteten traurig und &#x017F;tumm von dürren Armen der Linden</l><lb/>
            <l rendition="#i">Das vormals glückliche Thal, wo &#x017F;ie den flehenden Jungen</l><lb/>
            <l rendition="#i">Im Dorn&#x017F;trauch Spei&#x017F;e vertheilt. Die angekommene Lerche</l><lb/>
            <l rendition="#i">Sich aufwerts &#x017F;chwingend, be&#x017F;chaute die Wa&#x017F;&#x017F;erwü&#x017F;te von oben</l><lb/>
            <l rendition="#i">Und &#x017F;uchte verla&#x017F;&#x017F;ne Gefilde. Es flo&#x017F;&#x017F;en Schäuren und Wände</l><lb/>
            <l rendition="#i">Und Dächer und Hütten herum. Aus Giebeln und gleitenden<lb/><hi rendition="#et">Kähnen</hi></l><lb/>
            <l rendition="#i">Ver&#x017F;ah der tro&#x017F;tlo&#x017F;e Hirt &#x017F;ich einer Sündfluth, die vormals</l><lb/>
            <l rendition="#i">Die Welt umrollte, daß Gem&#x017F;en in &#x017F;chlagenden Wogen ver&#x017F;an-<lb/><hi rendition="#et">ken.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <fw rendition="#i" type="catch" place="bottom">Der</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0010] Der Frühling. Die um ſich gieſſenden Zoten. Bald ſank der treuloſe Boden Sie ſchnoben, ſchwammen zum Wald, umſchlangen Tannen und Eichen Und huben ſich träufelnd empor. Hier hingen ſie ängſtlich im Wipfel Von reiſſenden Winden, vom Heulen der Flüſſe-ſpeyenden Klippen Und untern Tiefe geſcheucht. Der Büſche verſamlete Sänger Betrachteten traurig und ſtumm von dürren Armen der Linden Das vormals glückliche Thal, wo ſie den flehenden Jungen Im Dornſtrauch Speiſe vertheilt. Die angekommene Lerche Sich aufwerts ſchwingend, beſchaute die Waſſerwüſte von oben Und ſuchte verlaſſne Gefilde. Es floſſen Schäuren und Wände Und Dächer und Hütten herum. Aus Giebeln und gleitenden Kähnen Verſah der troſtloſe Hirt ſich einer Sündfluth, die vormals Die Welt umrollte, daß Gemſen in ſchlagenden Wogen verſan- ken. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_fruehling_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_fruehling_1749/10
Zitationshilfe: Kleist, Ewald Christian von: Der Frühling. Berlin, 1749, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_fruehling_1749/10>, abgerufen am 05.10.2024.