Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.pkl_164.001 pkl_164.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0190" n="164"/><lb n="pkl_164.001"/> des Worts) wird, und wir nicht wissen, ob wir die <lb n="pkl_164.002"/> Schuld davon mehr den <hi rendition="#g">Schauspielern,</hi> oder den <lb n="pkl_164.003"/> <hi rendition="#g">Dichtern,</hi> oder der irrationalen Größe, die man <hi rendition="#g">Publikum</hi> <lb n="pkl_164.004"/> nennt, beimessen sollen — so kann uns das <lb n="pkl_164.005"/> doch nicht hindern, der Bühne jenen <hi rendition="#g">höhern</hi> Standpunkt <lb n="pkl_164.006"/> einzuräumen. Das Theater <hi rendition="#g">soll unterhalten,</hi> <lb n="pkl_164.007"/> aber auf eine den <hi rendition="#g">Geist weckende, bildende, erhebende</hi> <lb n="pkl_164.008"/> Weise; die <hi rendition="#g">Kraft</hi> dazu liegt in ihm, denn der <lb n="pkl_164.009"/> <hi rendition="#g">vollendetste Kunstgenuß,</hi> den die Poesie zu bieten <lb n="pkl_164.010"/> vermag, läßt sich nur durch das <hi rendition="#g">Drama</hi> erreichen. <lb n="pkl_164.011"/> Aber das Theater <hi rendition="#g">soll mehr:</hi> — es <hi rendition="#g">soll bilden,</hi> es <lb n="pkl_164.012"/> <hi rendition="#g">soll befruchtend</hi> und <hi rendition="#g">belebend</hi> und <hi rendition="#g">allseitig <lb n="pkl_164.013"/> fördernd</hi> in das Rad der <hi rendition="#g">Kultur</hi> eingreifen — wer <lb n="pkl_164.014"/> wollte ihm die <hi rendition="#g">Befähigung</hi> dafür absprechen? Mit <lb n="pkl_164.015"/> keiner Gattung der Poesie, als mit der dramatischen, <lb n="pkl_164.016"/> lassen sich besondere Tendenzen so leicht und unvermerkt, <lb n="pkl_164.017"/> so dem eigentlichen Kunstzweck unbeschadet und eben <lb n="pkl_164.018"/> wegen der theatralischen Vorstellung so wirksam verbinden. <lb n="pkl_164.019"/> Nur hüte sich der Dichter Tendenzen zur Schau <lb n="pkl_164.020"/> tragen, oder den Zweck der Kunst Zwecken der Bildung <lb n="pkl_164.021"/> unterordnen und nachstellen zu wollen, denn damit <lb n="pkl_164.022"/> würde er nicht nur dem poetischen Gehalt seines Werkes <lb n="pkl_164.023"/> schaden, sondern jede Wirkung von vorn herein annulliren. <lb n="pkl_164.024"/> Die <hi rendition="#g">Kunst,</hi> auch die <hi rendition="#g">dramatische,</hi> wirkt <lb n="pkl_164.025"/> <hi rendition="#g">nur</hi> durch den <hi rendition="#g">Reiz</hi> des <hi rendition="#g">Vergnügens,</hi> sie ist <hi rendition="#g">allein <lb n="pkl_164.026"/> mächtig in der Freiheit.</hi> Hält <hi rendition="#g">das</hi> der Dichter <lb n="pkl_164.027"/> aber immer fest im Auge, so kann er sich mittelst der <lb n="pkl_164.028"/> Bühne große Verdienste um seine Nation erwerben. <lb n="pkl_164.029"/> Denn von der Bühne herab lassen sich die Thorheiten <lb n="pkl_164.030"/> und Verkehrtheiten der Zeit wirksamer geißeln, von <lb n="pkl_164.031"/> ihr aus die Gebrechen derselben erfolgreicher heilen, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [164/0190]
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des Worts) wird, und wir nicht wissen, ob wir die pkl_164.002
Schuld davon mehr den Schauspielern, oder den pkl_164.003
Dichtern, oder der irrationalen Größe, die man Publikum pkl_164.004
nennt, beimessen sollen — so kann uns das pkl_164.005
doch nicht hindern, der Bühne jenen höhern Standpunkt pkl_164.006
einzuräumen. Das Theater soll unterhalten, pkl_164.007
aber auf eine den Geist weckende, bildende, erhebende pkl_164.008
Weise; die Kraft dazu liegt in ihm, denn der pkl_164.009
vollendetste Kunstgenuß, den die Poesie zu bieten pkl_164.010
vermag, läßt sich nur durch das Drama erreichen. pkl_164.011
Aber das Theater soll mehr: — es soll bilden, es pkl_164.012
soll befruchtend und belebend und allseitig pkl_164.013
fördernd in das Rad der Kultur eingreifen — wer pkl_164.014
wollte ihm die Befähigung dafür absprechen? Mit pkl_164.015
keiner Gattung der Poesie, als mit der dramatischen, pkl_164.016
lassen sich besondere Tendenzen so leicht und unvermerkt, pkl_164.017
so dem eigentlichen Kunstzweck unbeschadet und eben pkl_164.018
wegen der theatralischen Vorstellung so wirksam verbinden. pkl_164.019
Nur hüte sich der Dichter Tendenzen zur Schau pkl_164.020
tragen, oder den Zweck der Kunst Zwecken der Bildung pkl_164.021
unterordnen und nachstellen zu wollen, denn damit pkl_164.022
würde er nicht nur dem poetischen Gehalt seines Werkes pkl_164.023
schaden, sondern jede Wirkung von vorn herein annulliren. pkl_164.024
Die Kunst, auch die dramatische, wirkt pkl_164.025
nur durch den Reiz des Vergnügens, sie ist allein pkl_164.026
mächtig in der Freiheit. Hält das der Dichter pkl_164.027
aber immer fest im Auge, so kann er sich mittelst der pkl_164.028
Bühne große Verdienste um seine Nation erwerben. pkl_164.029
Denn von der Bühne herab lassen sich die Thorheiten pkl_164.030
und Verkehrtheiten der Zeit wirksamer geißeln, von pkl_164.031
ihr aus die Gebrechen derselben erfolgreicher heilen,
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